Wir bekamen sogleich einen kleinen Schwarm indischer Leute aufs Schiff: Ansichtskartenhändler, ambulante Flickschuster, einen Medizinmann, welcher die Schiffsbesatzung von Hühneraugen befreien will, zwei schwarzbärtige muslimische Schneidermeister, die sich anbieten, weiße Tropen-Anzüge zu verfertigen; dann Beamte von der Agentur unserer Schifffahrtsgesellschaft und andere Gäste.
Auch Dienerinnen der Liebe kommen an Bord.
Die „Fleischmädchen“.
Ich nenne sie so, weil sie während unseres Aufenthaltes im Hafen von Bombay alltäglich in den ersten Vormittagsstunden Küchenvorräte an Bord bringen, vor allem das Fleisch.
Es sind arme Hindu-Frauen, die als Trägerinnen bedienstet sind. Ob sie „Mädchen“ sind oder Gattinnen, weiß ich nicht.
Sie tragen, wie hierzulande üblich, die Lasten auf dem Kopf.
Lebensalter: zwischen zwanzig und dreißig.
Sie sind wie die vielen, vielen Hindu-Frauen der unteren Bevölkerungsklassen, die „Kulifrauen“, die man im Hafen und in den Straßen von Bombay sieht, – braun, barfuß, notdürftig gekleidet, mager, oder sagen wir: schlank.
Wenn ich nicht irre, sind die „Fleischmädchen“, die heute an Bord waren, noch ebendieselben, die auch vor einem Jahre in der gleichen Eigenschaft tätig gewesen.
Diese Hindu-Frauen also versorgen die Küche mit Fleisch und nebenbei stellen sie auch ihr eigenes Fleisch den Schiffsleuten, die zahlungswillig sind, zur Verfügung.
Ich glaube, die armen Trägerinnen widmen sich der käuflichen Zärtlichkeit mehr der Geldnot gehorchend als dem Liebestriebe. Die Arbeitslöhne, die man in Bombay den Eingeborenen zahlt, sind sehr niedrig, die Geldmünze ist dem armen Hindu-Mädchen ein heiß begehrter Gegenstand. Diese Wertschätzung, die dem Geld zuteilwird, kommt auch zum Ausdruck in dem kärglichen Preis, den die Fleischmädchen als Liebeslohn festsetzen; wenn sie in eine Kabine hineingelassen werden, nennen sie anticipando die Taxe, für die sie ihr leibliches Ich hergeben: 1 Rupie.
1 Rupie beträgt ungefähr 1? Mark. Es ist die Rede von den Währungsverhältnissen der Vorkriegszeit. (Nachträgliche Anmerkung.)
Sie haben eine unaufdringliche stille Art, sich anzubieten. Drei Hindu-Frauen stehen in einer Nische auf dem Gang, in den die Küche, eine Kesselfeuerstelle, die Kabinen der Offiziere und die Postkabine münden, sie stehen in der Nische bei einander und ihre dunklen Augen schauen die vorübergehenden Männer mit einem Blick an, der zu sagen scheint: „Ich brauch' dir meine Anwesenheit nicht näher zu erklären, du weißt schon, weshalb ich hier warte; – willst du?“ – Sie enthalten sich aller sonstigen Anlockmittel. Kein Wort, kein Wink, keine Geste. Ein Lächeln oder ein Wort nur dann, wenn man ihnen eine freundliche Miene oder eine Anrede zuteilwerden lässt.
Ebenso wenig-auffällig wie das Werben dieser Hindu-Frauen ist die Art, wie man ihren stummen Antrag annimmt. Mit einem Augenwink oder einer leichten Kopfbewegung nach der Gegend, wo die Kabine liegt, gibt der Mann sein „Ja!“ zu verstehen. Er geht mit harmlosem Gesichtsausdruck in die Kabine, lässt die Tür ein wenig offen und die braune Frau folgt ihm rasch nach.
Sie hat ein eiliges Auffassungsvermögen für die kaum merklichen Mienen-Zeichen, mit denen der Mann seine Zustimmung ausdrückt. Manchmal gar ein voreiliges Auffassungsvermögen. Es kann vorkommen, dass man im Vorübergehen ein Hindu-Mädchen mit einem Blick ansieht, in dem lediglich Aufmerksamkeit für eine bemerkenswerte Erscheinung ist, oder dass man nichts-ahnend und nichts-andeutend die Kabinentür ein wenig offenlässt: im nächsten Moment ist eine Hindu-Frau, die ein herbeirufendes Zeichen zu sehen wähnt, in der Kabine.
Oder tut sie manchmal nur so, als sähe sie eine Einladung?
Genau vor der Tür meiner Kabine hockt heute ein ungefähr zwanzigjähriges Hindu-Mädchen und schaut mit jenem ernsten „Willst Du?“-Blick zu mir auf.
Dieses Mädchen gehört allem Anschein nach nicht zu den „Fleischmädchen“.
Es kommen nämlich außer unseren Fleischträgerinnen, welche die Liebe gewissermaßen nur im Nebenamt ausüben, zu Zeiten auch andere Hindu-Mädchen an Bord, die das Schiff bloß deshalb besuchen, um sich gegen Entgelt hinzugeben. Das Mädchen vor meiner Tür gehört, wie mich dünkt, dieser Gruppe an.
Jedes Mal, wenn ich, aus- oder hineingehend, bei der Inderin vorüber muss, trifft mich ihr sonderbarer Blick, aus dem stumme Bereitwilligkeit, verständlicher Antrag und forschendes Erwarten sprechen.
Wie eine Sklavin kauert sie auf dem Boden, in ihrem Verhalten drückt sich das Kleinheitsgefühl aus, das die Engländer durch ihr Herren-Gebaren den „Natives“, den Eingeborenen, den Indern suggeriert haben.
Dies braune Menschenkind vor meiner Tür, das in jedem europäischen Mann den „Sah'b“, den Sahib, den Machthaber und Herrn sieht, ist gewiss erfüllt von „seines Nichts durchbohrendem Gefühle“, es hat eine Empfindung, dass es etwas Verachtetes ist und gleichsam einer niedrigeren Wesen-Spezies angehört, – und dennoch – dennoch mag zugleich in dem Seelchen des Hindu-Mädchens, näher oder ferner der Bewusstseinsschwelle, ein Gefühl leben, welches raunt: „Und trotz allem bin ich dem Sah'b, dem weißen Mann, eine Art Kostbarkeit. – Nur ein Gegenstand, gewiss! Aber ein Wertgegenstand. – Ein Etwas, an dem er sich zu heißen Wonnen entflammen kann. – Ich weiß es aus Erfahrung. – Das Zündhölzchen ist ein kleiner armseliger Span, aber was für Brände kann es erwecken! –“
Da sind zwei Regungen geeint: die Verschüchtertheit des „Native“-Kindes, welches weiß: „Jedermann kann mich in jedem Augenblick von Bord wegjagen“; und zugleich ein Selbstbewusstsein, geschöpft aus der Zugehörigkeit zur Großmacht „Weib“, – das geschlechtliche Machtgefühl, das heller oder matter in jeglichem Weiblein flackert: „Ich habe ein gewisses Recht, hier auf dem Schiff zu weilen. Denn ich kann euch etwas bieten. Wie unbedeutend ich auch sonst bin, ich kann jederzeit zur Spenderin emporwachsen, kann auch die Reichsten unter euch noch mit einer allgeschätzten Gabe beschenken.“
Die Gewandung dieser Hindu-Frauen besteht aus einem großen, rot- oder blau-farbenen, leichten, baumwollenen Stoffrechteck, das sie in geschickter Weise als Gesamtkleidungsstück verwenden; sie schlingen das eine Ende dergestalt um die Oberschenkel, dass eine Art Hose entsteht, und den Rest, das andere Endstück, schlagen sie über den Rücken, eine Schulter und den Kopf empor.
So bleiben Füße und Unterschenkel unbekleidet, desgleichen Teile der Oberschenkel. Das einzige „Beinkleid“ ist dieses um den oberen Teil der Oberschenkel und um den Unterkörper (bis zur Taille) hosenartig gewundene Zeugstück; also eine nachlässig über die bloße Haut geschlungene Schurzhose. Sonst keine Bedeckung für Beine und Unterkörper.
Auch der Oberleib ist nur recht notdürftig bedeckt. Ein knapp anliegendes „Leibchen“ aus einem dunkelfarbigen, sehr einfachen, leichten Stoff reicht nicht viel tiefer als über den unteren Rand der Brüste, so dass zwischen diesem Leibchen und der oberen Grenze jenes Hosenschurzes eine nackte Bauch- und Lendenzone frei bleibt, sichtbar wird. Rückwärts läuft über das Leibchen die obere Partie des früher erwähnten langen Zeugstückes zur Schulter und zum Kopf empor.
Das sehr kurze Leibchen hat sehr kurze Ärmelchen, daher sind auch die Arme fast unbedeckt.
An der Entstehung solch karger Tracht ist gleichermaßen die Armut dieser Hindu-Frauen, der „Kulifrauen“, beteiligt und das heiße Klima, wie auch das Streben nach Bewegungsfreiheit während des Gehens, während der Arbeit.
Diese Tracht ist nahezu wie eine Uniform. Sie wird in der geschilderten Anordnung von den Hindu-Frauen der unteren Volksklassen getragen, von den Arbeiterinnen im Hafen, von den Arbeiterinnen, die bei Straßenarbeiten, beim Häuserbau, in industriellen Unternehmungen beschäftigt sind,