Über die wissenschaftliche Anerkennung der Hochsensibilität
Bevor die amerikanische Psychotherapeutin Elaine Aron sich in den 1990er-Jahren intensiv mit der Hochsensibilität befasst und die Thematik an allgemeiner Aufmerksamkeit gewonnen hatte, beschäftigte sich der Chemiker, Naturforscher und Philosoph Dr. Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach im 19. Jahrhundert bereits mit diesem Persönlichkeitsmerkmal. Er verfasste drei Bücher über die Hochsensibilität, in denen er Verhaltensweisen und Empfindungen hochsensibler Personen darstellte sowie seine Erkenntnisse in zahlreichen Versuchen aufzeigte. Seinen eigenen Angaben zufolge untersuchte er rund zweihundert hochsensible Menschen. Diese Arbeit war zu der damaligen Zeit jedoch nicht sehr angesehen und wurde aus diesem Grunde wenig beachtet. So ist es Elaine Aron zu verdanken, dass das Thema neu an Bedeutung gewonnen hat. Sie prägte insbesondere den Begriff „Highly Sensitive Person“. Bis heute forscht die Psychotherapeutin an diesem Phänomen und arbeitet mit Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Bereichen zusammen. Aus der Wissenschaft entwickelte sich die verfeinerte Bezeichnung „High Sensory-Processing-Sensitivity“ (HSPS), bei der nicht nur die Kriterien der Hochsensibilität beleuchtet werden, sondern auch die Entstehung und Ausprägung untersucht wird. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Projekten, bei denen zu diesem Thema geforscht wird. Ungeachtet dessen gibt es dennoch nach wie vor Psychologen und Ärzte, denen der Begriff Hochsensibilität fremd ist. Doch auch wenn an mancher Stelle noch Aufklärungsarbeit nötig ist, gewinnt die Hochsensibilität durch verschiedene Psychologen und Betroffene immer mehr an medialer Aufmerksamkeit.
Was Hochsensible Frauen so wertvoll macht
Gerade die Empathiefähigkeit ist bei hochsensiblen Frauen besonders ausgeprägt. Auch wenn die Hochsensibilität Frauen und Männer gleichermaßen betrifft, so werden die Auswirkungen dessen schnell den Frauen zugesprochen. Die sensitiven Attribute gelten in unserer Gesellschaft als weiblich, was das Verständnis für hochsensible Männer umso schwieriger macht. Ihre betont einfühlsame Art kommt Frauen sowohl in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie in Verbindung mit Tieren als auch im Beruf zugute. Die Stimmung ihrer Mitmenschen wahrnehmen, sich in diese hineinversetzen zu können; zu spüren, wie es ihrem Gegenüber geht und auf einfühlsame Art auf dessen Situation eingehen zu können, macht diese Frauen zu wertvollen Zeitgenossinnen. Sie haben immer ein offenes Ohr für Freunde und Verwandte und stehen ihnen mit hilfreichen Ratschlägen zur Seite. Da Hochsensible durch ihre spezielle Denkweise Sachverhalte aus anderen Blickwinkeln betrachten, geben sie wichtige Impulse zur Problemlösung. Aus all diesen Gründen liegt es nahe, dass es einen Großteil der Frauen in soziale Berufe zieht. Dort können sie nicht nur ihre empathischen Eigenschaften frei entfalten und mit Freude ausleben – sie sind eine echte Bereicherung, indem sie ihren Beruf mit Erfolg ausüben. Von diesem Erfolg profitieren in erster Linie die Menschen, denen diese Frauen mit ihrer Arbeit helfen. In zweiter Linie stellt diese Art von Arbeit eine tiefe innere Erfüllung für die hochsensible Frau dar. Auch die therapeutischen Fähigkeiten sind dank dieser Grundlage charakteristisch für weibliche HSPs. Das häufig vorkommende Interesse für psychologische und esoterische Themen leistet einen ergänzenden Beitrag bei der Ausübung psychotherapeutischer wie spiritueller Berufe.
Und auch die Kreativität spielt bei hochsensiblen Frauen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich eine entscheidende Rolle: Die Kunst hilft ihnen dabei, ihre Fantasie zu verarbeiten und Gefühle auszudrücken. So überrascht es nicht, dass viele der weiblichen HSPs einen Ausgleich in einer künstlerischen Tätigkeit finden oder sogar in entsprechenden Berufen arbeiten.
Die Gefühlswelt – eine komplexe Angelegenheit
Gehen wir einmal genauer auf die Gefühle von HSPs ein. Was bedeutet es, intensiver zu fühlen? Neben der stärkeren Wahrnehmung von den eigenen Grundgefühlen wie Freude, Trauer, Wut, Angst und Scham spüren hochsensible Gemüter auch die Stimmung anderer oder nehmen die gesamte Atmosphäre innerhalb eines Raumes wahr. Die Gefühle, die spontan in ihnen hochkommen, erreichen Hochsensible mit voller Wucht. Diese kommen so plötzlich und fühlen sich so überwältigend an, dass die Betroffenen sie kaum verbergen können. Je nachdem, ob es sich dabei um ein positives oder negatives Gefühl handelt, haben sie stark damit zu kämpfen. Auch können sie durch äußere Einflüsse emotional aufgeladen werden, wie etwa durch traurige Filme oder Lieder. Nicht selten fangen insbesondere hochsensible Frauen durch entsprechende Anreize schnell zu weinen an.
Kommen andere Menschen ins Spiel, macht das die Sache eine Spur komplexer: Nun sind HSPs nicht nur ihren eigenen Gefühlen ausgesetzt, sie müssen auch noch mit der Stimmung anderer zurechtkommen. Da sie hier unter einem besonderen Einfluss stehen, überträgt sich die Gefühlslage anderer oft auf sie selbst. Sowohl positive als auch negative Emotionen wirken auf sie ein. So können sie von der guten Laune ihrer Mitmenschen angesteckt werden, schlechte Laune oder Disharmonie hingegen bringt sie emotional auf den Tiefpunkt und stellt eine weitere Belastung dar. Gerade Frauen beschäftigen sich viel mit den Begebenheiten und der Frage nach dem Warum. Die Hochsensiblen unter ihnen sind erst einmal eine Weile damit beschäftigt, diese Spannungen und aufkommenden Überlegungen zu verarbeiten. Der Grund für die starke Wahrnehmung fremder Gefühle liegt in der Unfähigkeit, sich abgrenzen zu können. Das ist ein typisches Merkmal von Hochsensiblen und hat mit den Spiegelneuronen zu tun: Diese sind als eine Art Resonanzsystem des Gehirns zu sehen. Die Stimmungen anderer Menschen werden von Nervenzellen erfasst – und das bereits beim bloßen Beobachten eines Geschehnisses. Die Reaktion der Nervenzellen ist exakt die Gleiche wie beim Erleben der eigenen Gefühle. Auch Normalsensible kennen das: Sieht man dabei zu, wie sich jemand verletzt, fühlt man gleich mit. Durch ihre besondere Sensitivität verstärkt sich dieses Empfinden bei Hochsensiblen. Je nachdem, worum es sich gerade handelt, führt das zu intensivem Mitfühlen. Das verstärkte Bedürfnis, anderen zu helfen oder auch der weibliche Hang zur Fürsorge trägt sein Übriges bei.
Hinzu kommt, dass ihr Ich erweitert ist, anstatt nur auf sich selbst fokussiert zu sein. Dies zeigt sich auch in anderen Bereichen: HSPs neigen dazu, nicht Nein sagen zu können. An erster Stelle kommen andere Menschen, dann erst sie selbst. Das hat zur Folge, dass eigene Bedürfnisse schnell in den Hintergrund geraten und sie sich voll und ganz jemand anderem widmen. Auch fällt es Hochsensiblen oft schwer, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu definieren. Zudem stehen sie unter einem hohen Einfluss ihrer Umwelt; die Gesamtsituation muss stimmen, damit es auch ihnen gut geht. Ihr Harmoniebedürfnis ist groß, was HSPs zu engagierten Streitschlichtern macht.
Die Verwundbarkeit von Hochsensiblen ist ein weiterer zu beachtender Aspekt. So sind sie sehr schnell zutiefst verletzt, wenn sie nicht respektiert und ernst genommen werden. Ähnlich verhält es sich, wenn ihre Glaubhaftigkeit infrage gestellt wird. Unterstellungen – egal welcher Art – können HSPs nur schwer auf sich sitzen lassen. Umso mehr sind sie daran interessiert, die Dinge richtigzustellen. Auch hier zeigt sich die bei Frauen oft deutlich ausgeprägtere Art, Worte und Taten anderer sehr genau zu nehmen.
Die Wahrnehmung – ein Leben voller Impressionen
Kommen wir zum Ausgangspunkt der Hochsensibilität: dem veränderten Wahrnehmungssystem. Im Gegensatz zu Normalsensiblen nehmen HSPs mehr und andere Dinge wahr. Während das Gehirn Normalsensibler zum eigenen Schutz den Großteil aller Reize, die im Alltag auf uns einwirken, ausfiltert, ist dieser Filter bei Hochsensiblen durchlässiger. Somit nehmen HSPs eine Reihe an Eindrücken wahr, die anderen Menschen nicht oder nur kaum auffallen. Das führt zu einer erhöhten Gehirnaktivität, da es ein höheres Maß an Verarbeitung erfordert. Demzufolge wenden hochsensible Personen mehr Energie auf und haben ihre Grenze der Belastbarkeit schneller erreicht. Das äußert sich in Ermüdungserscheinungen bis hin zu gravierenden körperlichen