Breathe. Elena MacKenzie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena MacKenzie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177631
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eine Schönheit, nicht einmal ihre zerschlissene Kleidung und ihre kurze knabenhafte Frisur können das verstecken. Auch nicht, dass sie selbst keine Ahnung hat, wie sie auf Männer wirkt. Sogar mir wird ganz heiß im Magen, wenn ich ihren Hüftschwung sehe und ihren nachdenklichen Blick auf mir spüre. Sie sieht mich häufig an. Immer dann, wenn sie glaubt, ich würde es nicht bemerken. Wahrscheinlich versucht sie nur herauszufinden, wer ich bin und was ich hier will. In diesem Kaff kennt jeder jeden, niemand bleibt freiwillig länger als nötig. Deswegen falle ich hier auf. Alle in dieser Bar sehen mich mit diesem Blick an, selbst nach Tagen noch. Vielleicht auch genau deswegen, weil ich schon viel zu lange hier bin und mit all meinen Tattoos nicht in diese Spießerwelt passe.

      »Du verlässt die Stadt?«, höre ich den Jungen entrüstet ausrufen. Er dürfte ein paar Jahre jünger sein als Raven, aber ist bis über beide Ohren verknallt in sie. Er schiebt die Hände in seine Jeans und tritt etwas vom Tresen zurück, der die beiden trennt. Seine schlaksige Figur wirkt plötzlich noch viel kindlicher. Auf sein Gesicht ist Trotz und Unverständnis getreten. Was gibt es daran nicht zu verstehen, dass eine Frau wie Raven hier nicht versauern will? Sie gehört hier ebenso wenig her wie ich. In ihrem Blick liegt ein Feuer, das Teile von mir entzündet, die ich schon vor einer Weile vergessen hatte. Auf der Flucht denkt man nicht oft an Frauen, schon gar nicht, wenn man mit seinem kleinen Bruder unterwegs ist. Aber Raven hat mich in der ersten Sekunde, in der ich sie gesehen habe, aufgeweckt. Und deswegen sitze ich selbst nach einer Woche noch hier und warte, statt endlich zu handeln. Ich zögere nie. Aber bei ihr tue ich es. Und das macht mich verdammt noch mal ziemlich wütend.

      Ich konzentriere mich auf Raven, damit ich hören kann, was sie ihm antwortet. »Ja, schon heute. Gleich nach der Schicht. Ich hab bei deinem Vater schon vor ein paar Tagen gekündigt.«

      Damit habe selbst ich nicht gerechnet. Ich versteife mich und falle fast in so etwas wie eine Schockstarre. Verdammter Mist, ich habe mich noch nicht entschieden, was ich tun soll. Mein ursprünglicher Plan ist hin. Die zweite Option wäre gewesen, mir Raven zu schnappen und sie zu erschießen. Wahrscheinlich würde das Sherwood sogar noch mehr treffen, immerhin hat er seine Tochter vor allen geheim gehalten. Er wollte sie beschützen, also muss sie ihm etwas bedeuten. Aber bisher konnte ich mich nicht dazu durchringen, weil Raven nichts mit alldem zu tun hat. Aber ich kann auch nicht auf meine Rache verzichten. Ich muss meinem Zorn ein Ventil geben. Sherwood hat Sam und mir zu viel genommen. Unseren Vater, unsere Mutter, das Leben, das wir hatten, und unsere Kindheit.

      Meine Hände umklammern zitternd mein Bierglas. Mir läuft die Zeit davon. Ich muss mich entscheiden. Töte ich sie oder vergesse ich meinen Plan? Schon der Gedanke, Sherwood mit dem, was er unserer Mutter angetan hat, durchkommen zu lassen, ist mir so zuwider, dass mein Magen krampft und mein Puls sich beschleunigt. Niemals kann ich ihn damit davonkommen lassen. Wut rollt über mich hinweg und weckt in meinem Körper den Drang, herausgelassen zu werden. Ich muss tief und langsam einatmen, um mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Meine Finger zittern, in meinen Ohren rauscht es und in meinem Kopf brüllt das unbeherrschte Monster auf, das ich kaum in der Lage bin, zu kontrollieren, wenn die Wut mich übernommen hat. Das Monster in mir will töten, es will sich am Geruch von Blut laben und seinen Trieben nachgeben. Ein Teil von mir wurde so geboren. Ein anderer wurde dazu gemacht und erzogen. Aber dann steigt mir ihr Duft in die Nase, als ein Gast die Tür öffnet, um die Bar zu verlassen, und ein Windhauch hereinweht. Und etwas passiert in mir. Die Wut wird zurückgedrängt, kurz bevor sie mich zerreißen kann. Als würde ein Schwall kaltes Wasser mich treffen. Nur auf eine angenehme, erregende Art.

      Ich mustere Raven, die langsam an meinen Tisch kommt und deren Augen bei jedem Schritt fest auf mich gerichtet bleiben. Ich balle die Hände zu Fäusten, damit sie das Zittern nicht sieht, und setze ein Lächeln auf. »Kann ich dir noch was bringen? Wir schließen gleich.«

      Ich lasse mir Zeit damit, jeden Zentimeter ihres schlanken Körpers zu betrachten, der in langärmeligen Shirt und knielangen Shorts steckt und nicht viel nackte Haut zeigt. Aber ihre Kleidung kann nicht ihre schlanken Kurven verbergen. Als mein Blick über ihre Oberschenkel gleitet, kann ich sehen, wie sich ihre Muskeln unter dem Stoff der Jeans anspannen. Ich sehe in ihr Gesicht, ihre Lippen sind leicht geöffnet und ihre Atmung geht viel schneller als sie sollte. Siehst du Junge, denke ich, was diese Frau braucht, ist einen Mann wie mich. Einen Mann, der ihr gibt, was sie will, obwohl sie selbst es nicht einmal ahnt. Aber ein Blick in diese tiefblauen Seen und ich weiß, wonach sie sucht. Sehnsucht flammt in ihrem Gesicht auf, als sie mich nervös ansieht und ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne zieht. Eine Geste, die, ob beabsichtigt oder nicht, ihre Wirkung bei mir nicht verfehlt. Raven ist noch jung, gerade erst der Highschool entkommen, aber sie strahlt eine Selbstsicherheit aus, der ich selbst bei älteren Frauen nicht häufig begegne. Ich sehe sie an und mir wird klar, vor mir steht eine Frau, die genau weiß, was sie will, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie schon früh auf sich allein gestellt war. Aber sie ist Sherwoods Tochter, das darf ich niemals vergessen. Auch wenn sie keine von uns ist und mit alldem nichts zu tun hat, sie ist die Tochter meines Feindes.

      »Nein danke«, antworte ich ihr völlig gelassen, während ich mir in Gedanken schon ausmale, wie sie vor mir knien wird, der Waldboden wird sich in ihre empfindliche Haut drücken, ihre Augen werden schreckgeweitet zu mir aufsehen und über ihre Lippen wird kein einziger wimmernder Ton kommen, denn sie wird mich nicht um ihr Leben anflehen. So ist sie nicht. Und dann werde ich abdrücken.

      Mit jeder Sekunde, die verstreicht, mit jeder Sekunde, in der das Schichtende näher rückt, fühle ich mich nervöser. Ich kann mich kaum noch auf meine Arbeit konzentrieren. In meinem Magen steigt ein flaues Gefühl auf, und ich kann lediglich daran denken, dass es nur noch Minuten sind, bis ich dieser Stadt und all den Menschen hier endlich den Rücken kehren werde. Der Gedanke verängstigt mich etwas, obwohl ich in Black Falls immer eine Außenseiterin war und nie wirklich Freunde hatte, schmerzt mich die Vorstellung, alle hier zurückzulassen. Sie vielleicht nie wiederzusehen. Es ist, als würde etwas tief in mir drin versuchen, mich zurückzuhalten. Aber ich werde mich von meiner Angst nicht zurückhalten lassen. Das lasse ich auf gar keinen Fall zu. Es ist doch normal, etwas Angst vor einer unbekannten Zukunft zu haben. Aber davon sollte niemand sich aufhalten lassen, auch ich nicht. Besonders ich nicht. Die Angst macht alles erst aufregend. Und ich liebe es aufregend, weil ich mich lebendig fühlen möchte. In Black Falls fühlt jeder sich tot. Als stecke die ganze Stadt in einem immerwährenden Schlaf. Besonders seit meine Mutter fort ist, die es in ihren schlimmen Phasen geschafft hat, die ganze Stadt gegen sich aufzubringen.

      Meine Mutter ist schon vor Monaten einfach verschwunden. Sie ist in das Auto ihres aktuellen Kerls und Drogendealers gestiegen und hat mich allein in unserem Trailer zurückgelassen. Aber das war mir gleich, sie war seit Jahren schon keine Mutter mehr. In unserer Beziehung war ich die Erwachsene. Ich habe dafür gesorgt, dass ihre Kleidung sauber war, sie etwas zu essen hatte und wir die Miete für den Trailer bezahlen konnten, damit wir unser Zuhause nicht verlieren. Ich habe ihre aufgeplatzten Lippen und blauen Flecken versorgt, wenn mein Vater mal wieder vorbeigeschaut hat. Ich habe sie in den Armen gehalten, wenn sie Angst vor seinem nächsten Besuch hatte. Und ich habe versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen, die sie während ihrer betrunkenen Anfälle zerstört hat, damit die Bewohner von Black Falls uns nicht noch mehr hassen. Dass ich in der Bar arbeiten durfte, um unseren Unterhalt zu verdienen, verdanke ich nur Nick, unserem Nachbarn und dem Mann, dem ich erlaubt habe, die Finsternis in mir zu befriedigen. Der Rest der Stadt hat uns gemieden. Ich denke, niemand hier hat mich gehasst, aber dank meiner Mutter hatte ich es nicht leicht. Auch in der Schule nicht. Die Menschen sind mir aus dem Weg gegangen und waren nur aus der Distanz nett zu mir. Haben mir höchstens diese mitleidigen Blicke zugeworfen und eilig ein paar Worte mit mir gewechselt.

      Ich freue mich, dass heute endlich der Tag ist, an dem ich Black Falls verlassen werde. Ich werde nichts in dieser langweiligen Stadt vermissen. Außer vielleicht meinen Garten vor dem Trailer, den ich vor vielen Jahren angelegt habe. Es gibt ein Stück Rasen, auf dem steht die Liege, auf der ich die meiste Freizeit mit einem Buch verbracht habe, es gibt eine bunte Mischung Phlox-Blumen und einen Fliederstrauch. Ich liebe es, meine Hände in dunkle Erde zu tauchen, etwas anzupflanzen und dabei zuzusehen, wie es wächst. Ich liebe es, in der Natur zu sein, zu laufen, zu wandern