»Ausgerechnet,« versetzte Gurth, »aber mein Herr behält dann keinen Heller mehr. Da dies aber wohl dein letztes Gebot ist, so muss ich mich ja wohl drein geben.«
»Schenk dir noch einen Becher ein,« sagte der Jude, »aber fürwahr, achtzig Zechinen sind zu wenig. Nicht mal zu meinen Zinsen komm ich dabei – und am Ende hat das gute Pferd auch Schaden gelitten, denn es war ja ein gewaltiger Zweikampf. Sind die Menschen und die Pferde nicht aufeinander losgerannt wie die Stiere von Basan? Es kann gar nicht anders sein, das Pferd muss gelitten haben.«
»Und ich sage dir, es steht schon wieder in seinem Stall, gesund und mit heiler Haut, du kannst gehen und dirs anschauen. Siebzig Zechinen sind sattsam genug. Wenn du nicht mit siebzig zufrieden bist, dann trag ich den Beutel hier wieder zu meinem Herrn.«
Mit diesen Worten ließ er das Geld darin klimpern.
»Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Jude, »leg nur her die Summe, die achtzig Zechinen, und du sollst sehen, du sollst nicht leer ausgehen.«
Gurth gab nach, er zählte die achtzig Zechinen auf und bekam von Isaak die Quittung. Als der Jude die ersten siebzig Goldstücke einstrich, zitterte seine Hand vor Freude. Die letzten zehn zählte er langsam, nachdenklich, oft innehaltend und vor sich hinmurmelnd. Anscheinend lag eine bessere Regung im Zwiespalt mit seinem Geiz, er wollte gar zu gern Zechine auf Zechine in seinen Beutel tun, und doch hätte er auch gern seine Großmut gezeigt und dem Überbringer etwas gegeben. Als der Jude bei der letzten Zechine angelangt war, hielt er inne und sah die Münze an. Er wog sie auf dem Finger und ließ sie auf den Tisch fallen, dass sie klang. Wenn der Klang nicht rein gewesen wäre, so hätte vielleicht die Großmut über den Geiz gesiegt, aber zum Unglück für Gurth war der Klang voll und rein, die Münze war von neuer Prägung und hatte sogar ein Gran Übergewicht. Isaak konnte es nicht übers Herz bringen, sich von ihr zu trennen und warf sie wie aus Gedankenlosigkeit in seinen Beutel. »Achtzig ist eine runde Summe,« sagte er dabei, »ich denke, dein Herr wird dich schon belohnen und dir geben, was dir zukommt. Du hast,« setzte er hinzu, nach dem Beutel schielend, »sicher noch mehr Goldstücke da drinnen.«
Gurth grinste ihn breit an. »Nochmal so viel, wie du ebenso behutsam gezählt hast, Itzig.«
Dann faltete er den Empfangsschein zusammen, legte ihn in seine Kapuze und sagte:
»Wehe deinem Barte, Mauschel, wenn das hier nicht stimmt.« Ohne auf eine Einladung zu warten, goss er sich noch einen dritten Becher Wein ein und verließ dann ohne Umstände das Zimmer.
»Rebekka,« sagte Isaak, »dieser Ismaelit hat mir einen argen Streich gespielt . . .« Aber er ward inne, dass seine Tochter hinausgegangen war.
Als Gurth sich draußen durch das Dunkel tastend den Weg suchte, erschien eine weiße Gestalt, die in der Hand eine silberne Lampe trug, und winkte ihm, in ein Seitengemach zu treten. Gurth hatte aber wenig Lust, sich auf so etwas einzulassen. Wenn er auch, sobald es irdische Kräfte galt, rau und wild wie ein Eber war, so hatte er doch die schwachen Seiten, die allen Sachsen charakteristisch waren. Vor weißen Frauen, Waldschratten, Wehrwölfen und all jenen Gespenstern, die sie aus ihren deutschen Wildnissen mitgebracht hatten, hegte er ein heiliges Grauen. Außerdem dachte er daran, dass er sich in einem jüdischen Hause befände, und diesem Volk wurden neben manchen unangenehmen Eigenschaften auch Zauberei und Hexenkünste zugeschrieben. Aber nach kurzer Pause fasste er sich doch ein Herz und trat in das Gemach. Hier stand der Schweinehirt vor Rebekka.
»Mein Vater hat nur seinen Spaß gemacht mit Euch, guter Mann,« sagte sie. »Er verdankt Euerm Herrn mehr, als diese Rüstung mitsamt dem Pferde wert ist, wäre ihr Wert auch zehnmal so hoch. Wieviel habt Ihr meinem Vater gegeben?«
»Achtzig Zechinen,« sagte Gurth, der nicht wusste, wie ihm geschah.
»Hier in diesem Beutel sind hundert,« sagte Rebekka. »Gebt Euerm Herrn sein Geld wieder und behaltet das übrige für Euch. Gebt Acht, dass Ihr nicht durch die belebte Stadt geht. Leicht könntet Ihr dort Leben und Geld einbüßen.«
Als Gurth durch den finsteren Flur hinausstolperte, sagte er bei sich selber: »Nein, beim heiligen Dunstan! Das ist keine Jüdin, das ist ein Engel des Himmels. Zehn Zechinen von meinem braven Herrn, zwanzig von dieser Perle Zions – ein Glückstag meiner Treu! Noch so ein Tag, und du kannst dich loskaufen von der Knechtschaft und frei werden wie der beste. Dann aber sag ich dem Schweinehirten Ade und lege Horn und Stab nieder und nehme das Schwert eines Freien und folge meinem jungen Herrn in den Tod. Da will ich aber meinen Namen und mein Gesicht' nicht verbergen.«
Neuntes Kapitel.
Gurths nächtliche Abenteuer waren aber noch nicht zu Ende, und er kam selbst auf diesen Gedanken, nachdem er an ein oder zwei einsam stehenden Häusern, die an der Grenze des Dorfs lagen, vorübergegangen war und sich nun in einem tiefen Hohlwege befand, der mit Haselsträuchern und Hollunder überwachsen war.
Gurth beschleunigte seine Schritte, um in die offene Gegend zu gelangen. Aber als er am oberen Ende des Hohlweges angelangt war, wo das dichteste Gestrüpp stand, sprangen vier Männer auf ihn los und hielten ihn so fest, dass aller Widerstand umsonst gewesen wäre. – »Gib her, was du bei dir hast,« schrie einer, »wir sind die Empfänger des allgemeinen Reichtums, ein jeder muss uns seine Bürden geben.«
»Meine solltet ihr nicht so leicht kriegen,« murmelte Gurth, »könnt ich euch nur'n paar Püffe geben, um sie zu retten.«
»Das wollen wir gleich sehen,« sagte der Räuber, und zu seinen Gefährten redend, sprach er: »bringt den Schurken her, ich sehe, er will seinen Schädel eingeschlagen und seinen Beutel aufgeschnitten haben.«
Gurth wurde nach des Räubers Befehl fortgeschleppt und musste seinen unfreundlichen Führern bis in die Tiefe des Gehölzes folgen; auf einmal machten sie in einem offenen Raume, der, nur in einiger Entfernung von Bäumen umkränzt, das volle Mondlicht in sich aufnahm, halt. Hier kamen noch zwei Männer zu den Räubern, die wahrscheinlich zur Bande gehörten. Sie hatten kurze Schwerter an der Seite und große Stöcke in den Händen, und Gurth bemerkte erst jetzt, dass alle sechs Masken trugen.
»Wie viel Geld hast du, Kerl?« fragte ihn einer von den Dieben.
»Dreißig Dukaten gehören mir,« erwiderte Gurth mürrisch.
»Verfallen, verfallen!« riefen die Räuber. »Ein Sachse hat dreißig Dukaten und kommt nüchtern aus einer Ortschaft? Sie sind uns unwiderruflich verfallen mit allem, was er sonst noch bei sich hat.«
»Ich sammelte sie mir, meine Freiheit damit zu erkaufen,« sagte Gurth.
»Du bist'n Esel,« erwiderte einer der Diebe, »drei Flaschen Doppelbier hätten dich ebenso frei gemacht wie deinen Herrn, und freier noch, wenn er ein Sachse ist wie du.«
»Leider wahr,« versetzte Gurth, »aber wenn mich dreißig Dukaten von euch loskaufen können, so gebt mir die Hände frei, und ich will sie euch bezahlen.«
»Halt,« sagte der eine, der bei den andern in Ansehn zu stehen schien, »dieser Beutel enthält, wie ich durch den Rock fühlen kann, mehr Gold, als du gesagt hast.«
»Das gehört dem guten Ritter, meinem Herrn,« antwortete Gurth; »gewiss hätt ich nicht ein Wort davon gesprochen, hättet ihr euern Willen an meinem Eigentum ausgeübt.«
»Du bist 'ne ehrliche Haut,« erwiderte der Räuber; »wir verehren den heiligen Nikolaus nicht so genau, und ich versichere dich, deine dreißig Dukaten werden dir bleiben, wenn du aufrichtig gegen uns bist. Einstweilen aber gib uns dein anvertrautes Gut in Verwahrsam.« Dies sagend, nahm er von Gurths Brust die breite lederne Tasche, darin der Beutel von Rebekka mit den übrigen Dukaten eingeschlossen war; dann fuhr er fort zu fragen:
»Wer ist dein Herr?«
»Der enterbte Ritter,« sagte Gurth.
»Dessen gute Lanze den Preis im letzten Turnier gewann? Wie ist sein Name und sein Stammbaum?«
»Das soll verborgen bleiben,« antwortete