Endlich hielt der Held des Tages an dem Balkone, auf dem Lady Rowena saß, und die Spannung aller Anwesenden stieg aufs höchste. Wenn sich der Enterbte bei seinem Urteil davon beeinflussen ließ, welche Zuschauer eine lebhaftere Teilnahme an seinem Glücke bekundeten, so verdiente allerdings der jetzt vor ihm liegende Teil der Tribünen den Vorzug. Cedric der Sachse lehnte vor Freude über den Fall des Templers und über die Niederlage seiner boshaften Nachbarn Front-de-Boeuf und Malvoisin mit halbem Leibe über der Brüstung und war dem Sieger nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen und der ganzen Seele gefolgt. Lady Rowena hatte dem Erfolge des Tages wohl mit gleicher Aufmerksamkeit, doch nicht mit gleich herzlichem Anteil zugeschaut. Selbst der apathische Athelstane bekundete den besten Willen, sich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuraffen, indem er sich einen großen Humpen Wein bringen ließ, den er auf das Wohl des Enterbten leerte. Nicht weniger Anteil an dem Verlauf des Turniers bekundete eine andere Gruppe von Zuschauern, die unter den Plätzen der Sachsen saßen.
»Vater Abraham!« rief Isaak von York, als der erste Gang zwischen dem Ritter und dem Templer ausgefochten war. »Wie reitet der Heide so kühn! Das wackere Pferd hat den weiten Weg von der Berberei her gemacht, und er geht mit ihm um, als wäre es das Füllen eines wilden Esels! Die edle Rüstung ist manche Zechine wert – siebzig Prozent sind bei dem mailändischen Waffenschmied Joseph Pareira noch heruntergeschunden worden – und er sieht sich so wenig damit vor, als wäre sie auf der Landstraße aufgelesen worden!«
»Setzt er doch Leben und Glieder aufs Spiel, Vater!« sagte Rebekka. »Wie sollte er in so furchtbarem Kampfe noch des Pferdes und der Waffen schonen!«
»Kind!« versetzte Isaak ein wenig ungestüm. »Du weißt nicht, was du schwätzest! Wohl, der Hals und die Glieder sind sein eigen, aber Pferd und Rüstung – heiliger Jakob! Was sage ich da – nun, trotz allem bleibt er ein braver junger Mann! – Doch schau, Rebekka! Schon wieder fängt er einen Kampf mit dem Philister an. Bete, mein Kind, bete, dass der gute junge Mann nicht Schaden leide an seiner Gesundheit! Und auch, dass das Pferd und die feine Rüstung ja nicht ruiniert werden! – Gott meiner Väter!« rief er wieder. »Sein ist der Sieg! Vor seiner Lanze ist gefallen der unbeschnittene Philister wie der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter – gewiss werden ihm zufallen ihr Gold und ihr Silber und ihre Streitrosse und ihre Rüstungen von Erz und Stahl – als Beute und als Preis!« Mit der gleichen ängstlichen Teilnahme verfolgte der würdige Jude jeden Gang, und immer berechnete er flüchtig, was wohl das erbeutete Pferd samt der Rüstung wert sein mochten.
Der Sieger des Tages blieb – ob aus Unentschiedenheit oder einem anderen Grunde eine Weile regungslos an derselben Stelle, dann endlich senkte er langsam und voller Grazie die Lanze und legte die Atlaskrone der schönen Rowena vor die Füße. Sogleich schmetterten die Trompeten, und die Herolde riefen Lady Rowena zur Königin der Minne und des Liebreizes aus. Wer sich ihrer Autorität widersetzen würde, dem stünde Bestrafung bevor.
Lange Hälse machten die normannischen Damen, höchlichst verwundert, dass eine Sächsin gekrönt worden war. Aber sie hatten auch schon lange Hälse gemacht, als ihre Edelherren einer nach dem andern besiegt worden waren. Aber wenn einzelne auch ihrer Unzufriedenheit Luft machten, diese Rufe gingen unter in dem allgemeinen Jubelgeschrei:
»Lang lebe Lady Rowena, die auserkorene Königin des Liebreizes und der Minne!« Hin und wieder war auch der Zusatz zu hören: »Lang lebe die sächsische Fürstin! Lang lebe das Geschlecht des unsterblichen Alfred!«
Der enterbte Ritter war in seinem Zelt allein mit seinem Knappen, einem Burschen, der wie ein Bauer aussah und über Kopf und Gesicht eine normannische Pelzmütze gezogen hatte, als wünschte er ebenso unerkannt zu bleiben wie sein Herr. Er nahm ihm die schwere Rüstung ab und setzte ihm Speise und Wein vor, die ihm nach den Anstrengungen des Tages sehr erwünscht waren. Kaum hatte der Ritter in Eile seine Mahlzeit eingenommen, als ihm der Knappe die Ankunft von fünf Männern meldete, die jeder ein Berberross am Zügel führten.
Der Enterbte hatte an Stelle seiner Rüstung ein langes Kleid angelegt, wie es bei den Leuten seines Standes zu jener Zeit allgemein in Gebrauch war, die Kapuze, die er trug, ließ sich über das ganze Gesicht ziehen, aber es war schon finster, so dass er einer Hülle nicht mehr bedurfte. So trat er denn vor sein Zelt und fand dort die Knappen der Herausforderer, die er an ihrer dunkeln oder ganz schwarzen Tracht leicht erkannte, jeder hielt das Pferd, das sein Herr an diesem Tage geritten hatte, und war mit der Rüstung beladen.
»Den Bestimmungen der Ritterschaft gemäß,« sagte der erste dieser Männer, »biete ich, der Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch den Enterbten nennt, das Ross und die Rüstung an, mit denen mein Herr den Waffengang gegen Euch ausgefochten hat. Es ist Euch überlassen sie zu behalten oder Lösegeld dafür zu bestimmen.«
Die anderen sagten fast das gleiche und warteten auf den Bescheid, den ihnen der enterbte Ritter geben würde.
»Euch, Ihr vier Knappen,« antwortete der Ritter, indem er sich an die wandte, die zuletzt gesprochen hatten, »und Euern ehrenfesten und tapferen Herren habe ich nur das eine zu erwidern: Empfehlt mich Euern Gebietern und sagt ihnen, es wäre unrecht von mir, wollte ich von ihnen Pferde und Rüstungen nehmen, die nie von besseren Rittern gehandhabt werden können. Ich wollte, das wäre das einzige, was ich durch Euch den tapferen Rittern zu bestellen hätte. Aber ich bin nicht nur dem Namen nach, sondern in vollem Ernste der Enterbte, und so muss ich insofern das Anerbieten Eurer Herren annehmen, als ich sie ersuchen muss, ihre Rüstungen auszulösen, da die, die ich trage, gar nicht einmal meine eigene ist.«
»Wir haben den Auftrag,« sagte der Knappe des Front-de-Voeuf, »für Pferd und Rüstung hundert Zechinen zu bieten.«
»Das ist ausreichend,« sagte der Enterbte. »Ich bin durch meine derzeitige Lage gezwungen, die Hälfte dieser Summe anzunehmen, die andere Hälfte mögt Ihr unter Euch, den Herolden und sonstigem Dienstvolk des Turniers verteilen.« Mit tiefen Verbeugungen sprachen die Knappen ihren Dank für eine so seltene Freigebigkeit aus, und der Enterbte wandte sich nun an den Knappen des Bois-Guilbert.
»Von Euerm Herrn,« sagte er, »nehme ich weder die Waffen noch ein Lösegeld an. Bestellt Euerm Herrn, unser Zweikampf sei noch nicht beendet, und wir müssten erst noch mit Schwert und mit Lanze, zu Ross und zu Fuß miteinander fechten. Zum Kampfe auf Leben und Tod hat er mich herausgefordert, und des werde ich eingedenk sein. Einstweilen sagt ihm, ich behandelte ihn nicht wie seine Gefährten, mit denen ich Höflichkeiten tauschte, sondern ich stünde mit ihm auf dem Fuße tödlicher Herausforderung.«
»Mein Herr,« antwortete der Knappe, »weiß nicht nur Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, sondern auch Hass mit Hass und Stoß mit Stoß. Ihr verschmäht es, ein Lösegeld von ihm zu nehmen, ich muss aber gleichwohl Pferd und Rüstung hierlassen, denn an beide wird er die Hand nicht mehr legen.«
»Gut und kühn gesprochen, wackerer Knappe,« erwiderte der enterbte Ritter. »So geziemt es sich, für den abwesenden Herrn zu reden. Doch lass nur Pferd und Rüstung nicht hier, sondern gib sie deinem Herrn wieder, und wenn er sie nicht haben will, so nimm du sie selber, mein braver Freund, soweit sie mir gehören, sind sie dir geschenkt.«
Balduin verneigte sich tief und ging mit seinen Gefährten ab, der Enterbte trat in sein Zelt zurück. »Gurth,« sagte er zu seinem Diener, »bis hierher habe ich der englischen Ritterschaft keine Schande gemacht.«
»Und ich für mein Teil,« antwortete Gurth, »hab ich nicht als sächsischer Schweinehirt meine Rolle als normannischer Schildknappe fein gespielt?«
»Jawohl,« versetzte der Ritter. »Ich habe nur fortwährend Angst gehabt, dass du dich durch dein bäuerisches Wesen verraten könntest.«
»Ich hatte gar keine Angst, dass mich jemand erkennen könnte,« sagte Gurth. »Nur vor meinem Kameraden Wamba ist mir bange gewesen. Mir ist überhaupt noch nie so recht