Heidesilber. Herbert Weyand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Weyand
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847659464
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Seitdem bin ich nicht mehr ich.« Kendric staunte, dass er einem fremden Menschen die geheimsten Gedanken anvertraute. Bestand hier eine Seelenverwandtschaft? Die Natur meinte es, trotz allen Missgeschicks, gut mit ihm. Diesem Menschen, den er bis vorhin nicht kannte, vertraut er, wie sonst niemand auf der Welt.

      »Du bist doch einer dieser geheimnisvollen Männer? Ich habe schon einmal einen gesehen, der tief aus den Wäldern kam«, sagte Knut halb fragend.

      »Ich bin Druide.«

      »Was ist das? Ein Heiler?«

      »Nein. Jetzt wo ich es dir erklären soll, tue ich mich schwer. Ich würde sagen, Sehender oder Wissender.«

      »Und, was tust du?«

      »Ich beobachte die Vergangenheit, das Wissen, das wir in vergangenen Generationen gesammelt haben. Ich bewahre es für die Seelen, die wiedergeboren werden. Und …? Ich versuche daraus die richtigen Schlüsse, für das Jetzt zu ziehen.«

      »Bei Zeus. Das ist aber eine schwierige Arbeit.« Knut sah ihn mit den treuherzigen Augen an. »Und jetzt? Du bist doch nicht ohne Grund unterwegs?«

      »Nein. Ich suche den Römer, der meine Familie und meinen Stamm umgebracht hat.«

      »Und? Wenn du ihn findest?«

      »Dann werde ich ihn ganz langsam töten.«

      Sinnend sah ihn Knut an. »Nervier hatte auch Begegnungen mit den Römern. Die schlimme Zeit hätte ihn bald das Leben gekostet. Wir befanden uns lange Zeit auf der Flucht, um doch wieder an diesen Ort hier zu gelangen. Hier verlor er seine Frau und ich einen Freund. Jetzt du, deine Familie. Meine Brüder und ich sind in der Zeit zurückgegangen. Was ich damit sagen will: Dieser Platz hier hat eine besondere Bestimmung. Ich habe ein ungutes Gefühl.«

      »Für mich ist hier meine Heimat. Ein heiliger Ort und eine friedliche Stimmung, wenn nicht gerade Römer hier eindringen.« Kendric richtete den Blick in unendliche Fernen. »Hier wurde ich ein mächtiger Mann. Doch Mutter Natur dämpfte meinen Hochmut. Ich sonnte mich darin, auserwählt zu sein, die Druiden unseres Volkes gegen die Eindringlinge zu vereinen. Ich wurde bestraft. Dennoch werde ich meine Strafe nicht klaglos hinnehmen. Für das, was die Römer meiner Familie und mir angetan haben, werden sie büßen.«

      »Ich verstehe dich«, Knut sah ihn mitfühlend an. »Wir haben alle unser Schicksal und unsere Aufgabe zu erfüllen. Welche ich aufgetragen bekomme, weiß ich noch nicht. Ich habe Dinge gesehen, die mein Verstand nicht aufnehmen, und die ich nicht wiedergeben kann. Ich weiß ganz sicher, dass wir über viele Generationen, in die Zukunft hinein, leben werden. Nicht wir in Person, sondern über unsere Nachfahren.«

      »Mein Freund«, Kendric lächelte, »das ist nichts Neues. Wir werden wiedergeboren, immer und immer wieder. Nach unserem Tod werden sich unsere Seelen erneuern.«

      »Ich habe davon gehört«, erwiderte Knut. »In meiner Zeit, nur eine kurze Spanne von der jetzigen entfernt, ist dein Glaube Vergangenheit.«

      *

       zehn

      Das Wasser floss träge und trug sie langsam weiter in Richtung Rhône. Seit ungefähr einer halben Stunde paddelten sie die Ardèche hinunter. Rechts und links ragten steile zerklüftete Felsenwände hoch. Der blaue Himmel zeigte lediglich einen schmalen Streifen und wurde von den Felskanten der Gipfellinien abgegrenzt. Als sie losfuhren, begann der Tag hell und heiß. Hier in der Schlucht herrschte diffuses Dämmerlicht und die Luft zog empfindlich kühl den Fluss herauf. Erst gegen Mittag erreichte die Sonne die Talsohle. Ein Bonelli-Adler kreiste hoch oben in der Luft und betrachtete die kleinen Menschen, die ihren unterschiedlichen Tagesverrichtungen nachgingen. Er stieß einen klagenden Laut aus, der in der Schlucht dumpf widerhallte.

      Hinter ihrem Paddelboot verfolgte sie eine blaue Kunststofftonne, in der ihre Sachen verstaut lagen. Sie wurde als Beigabe von der Bootsvermietung gestellt. Griet rekelte sich im Boden des Bootes und das Shirt spannte verführerisch über ihren Brüsten. Sie trug enge Shorts, die, die langen braunen Beine zur Geltung brachten. Die Niederländerin strahlte die Sexualität der gemeinsam verbrachten Nacht aus. Trotz der ähnlichen Kleidung, er trug anstatt der kurzen Hose eine Jeans, fühlte sich Paul nicht halb so attraktiv, wie er sie mit seinen Augen sah.

      »Du musst die Wände, nicht meine Hügel beobachten«, bemerkte Griet, der Pauls auf ihr ruhender Blick angenehme Erinnerungen an den gestrigen Abend hervorrief. »Es ist nicht weit vom Felsentor, sonst hätte Kendric eine andere Ortsangabe gewählt. Achte auf Abweichungen in der Felsformation.«

      »Wir halten alle zehn oder zwanzig Meter an und suchen die Wände mit dem Fernglas ab.« Paul hielt ihr eines hin. Er hatte es am Morgen noch schnell gekauft.

      »Das ist eine prima, Idee. Die Strömung ist stark. Wir müssen ans Ufer.«

      »Ich halte das Boot schon in der Mitte. Du schaust durch das Glas. Wahrscheinlich weißt du besser als ich, wonach du suchst.«

      Griet kniete im Boot und beobachtete von unten nach oben die Wand. Einmal die linke und dann die rechte Seite.

      »Nach meinem Gefühl sind wir zu weit runter. Die Spannung, die ich hatte, ist weg. Wir beginnen noch einmal von vorn«, sagte Griet nach einer weiteren halben Stunde.

      »Aber nicht gegen die Strömung paddeln. Wir sind genauso schnell, wenn wir den nächsten Anlaufpunkt nehmen.« Der Bootsverleih sagte ihnen, dass nach drei bis fünf Stunden, je nach Geschwindigkeit, der erste Ausstieg aus der Schlucht komme.

      »Gut. Dann machen wir uns einen schönen Tag.« Griet glitt wie eine Schlange auf ihn zu und an ihm empor. Paul umfasste und streichelte sie.

      »Mach mich nicht verrückt. Wir sind nicht allein hier.« Er zeigte auf weitere Boote um sie herum.

      »Ich weiß.« Sie nuschelte an seinen Lippen.

      Am späten Nachmittag standen sie wieder an der Flussbiegung hinter dem Felsentor und suchten die Felswände nochmals mit den Ferngläsern ab. Es dauert lange, bis Paul schließlich etwas auffiel. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Grat des rechten aufragenden Uferfelsens. Ein V-förmiger Ausschnitt, im oberen Rand der Felswand markierte eine goldene Linie Sonnenlicht, die auf der gegenüberliegenden, von ihnen aus gesehen linken, Seite herunterlief.

      »Griet.« Er bemühte sich um einen möglichst ruhigen Tonfall. »Diese Linie des Sonnenlichts auf der Wand.«

      Sie nahm ihr Glas von den Augen, um es gleich wieder anzusetzen.

      »Du hast es. Ein Zeichen der Natur. Ich kann es mir richtig vorstellen. Der Druide, der gleichzeitig, Kelte ist, steht an dieser Stelle und bekommt diesen Fingerzeig. Ob er wohl die gleiche Aufregung spürte, wie ich jetzt? Die Sonne zeigte ihm den Weg.« Sie sprudelte die Worte enthusiastisch und mit leuchtenden Augen hervor.

      Binnen Minuten verschwand die Sonne und damit auch die Markierung.

      *

      Früh am nächsten Morgen paddelten sie zu der Stelle, an der sie am Abend den Sonnenstrahl ausmachten. Am gegenüberliegenden Ufer der Felswand zogen sie das Boot auf einen kleinen Uferstreifen und beobachteten die Stelle, die der Sonnenstrahl markiert hatte.

      »Das sind vierzig, fünfzig Meter«, zeigte Griet nach oben.

      »Wenn nicht mehr«, meinte Paul, die Wand absuchend. »In den letzten zweitausend Jahren kann der Fluss sich nicht so tief eingeschnitten haben. Lass es mal einen Meter sein, dann ist es schon sehr viel.«

      »Du hast recht. Wenn es die Stelle ist, die wir suchen, muss da noch etwas sein.« Angespannt glitten die Augen über Felswand.

      »Hier. Schau mal meinen Finger entlang.« Paul machte wieder die Entdeckung. »Diese Dellen sind zu gleichmäßig, als dass sie von der Natur geschaffen wurden.«

      »Möglich. Lass uns rüber paddeln.«

      »Da sind Einkerbungen, wie Tritte. Aber das sind, bestimmt vier Meter von hier unten. Da kommen wir nie hoch.« Griet zog fröstelnd die