Oliver hält mich immer noch. Vertraut und doch befremdlich. Er ist nicht mein Oliver. Er ist die Version, die schon alles erlebt hat, was Cute-Oli noch erleben muss und ist es nicht spannend, zu sehen, wie jemand zu genau dieser Person wird, die einfach die bestmögliche Version von einem sein kann? Deshalb wächst doch jede Partnerschaft zu einer Einheit zusammen, weil man keinen Schritt ausfallen lässt.
Niemand sagt etwas zu meinen seltsamen Gedanken, aber ich weiß, dass sie es gehört haben. Alles.
Irgendwann entknotet sich Oliver wieder von mir, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und legt sich hin. Ich bin erledigt, komplett im Eimer und versuche nun endlich zu schlafen, aber meine Gedanken fahren Achterbahn.
»Aufwachen!«, hören wir die Stimme einer Frau. Licht geht an, und alles scheint erdrückend hell zu sein.
Ich reibe mir die Augen, muss aber gegen das Licht mehrfach blinzeln, und fahre mit der Hand durch meine Haare.
»Penelope, was machst du hier?«
»Komm, steh auf. Wir haben Wichtiges zu tun. Zieh das an«, befielt sie und schmeißt mir ein Bündel mit Kleidung zu. Sie geht raus. Ich blicke mir die Sachen an. Alles schwarz. Das passt ja. Ohne groß nachzudenken, ziehe ich mich um: Enge Hose und T-Shirt, mehr nicht. Automatisch dreht sich Oliver weg und wartet, bis Penelope wieder reinkommt. Zufrieden nickt sie.
»Gut, du schreibst dich hierhin«, sagt sie fordernd und reicht mir einen Zettel. Stirnrunzelnd lese ich, was darauf steht, und fahre zusammen, als ich Oliver meinen Namen rufen höre. Ich drehe mich zu ihm und entdecke, dass jemand mit einem Messer bei ihm steht. Mein Blick wandert zu einer Ecke im Raum und ich sehe eine zweite Person, die eine Pistole in der Hand hält und damit auf ihn zielt.
»Also gut.« Schnell hole ich meinen Stift hervor und Penelope gibt mir noch einen Brief, den ich aber erst »vor Ort« öffnen darf. Seltsam, wie ist es mir plötzlich möglich, mit dem Stift zu schreiben? Warum konnte ich es vorhin noch nicht? Hat sie etwas geändert?
Ich darf nicht zu viel nachdenken.
Registriere nicht mal, die Zahlen und den Ort. Ein eigenartiges Ziehen nimmt Besitz von mir, als ich zwischen Raum und Zeit bin. Es ist anders, als das, was ich bisher gespürt und gesehen habe. Möglicherweise liegt es daran, dass ich nicht vorwärts, sondern rückwärts in der Zeit reise. Vielleicht ist es dieser Butterfly Effect, der mich schon vorwarnt, ehe ich wirklich einen Schmetterling zertrete.
Vergangenheit. Irgendwann 1813. Wo? Kanada. Die Worte verschwimmen vor meinen Augen. Ich muss blinzeln und erinnere mich an den anderen Brief. Mir ist schwindelig und schlecht, aber ich möchte nicht länger verweilen, als nötig. Mir ist unheimlich zumute und alles wirkt hier so grau und trist, farblos und ohne Liebe.
Ich öffne den Brief und entdecke zwei Karten, die nummeriert sind.
Karte 1:
»Du solltest jetzt ein Haus sehen,
nicht weit von dir entfernt. Du kannst es nicht verfehlen, denn es gibt nur dieses eine hier. Geh hinein und mach, was auf Karte 2 steht. Solltest du schummeln oder die Aufgabe nicht vollständig erfüllen, werde ich es erfahren.«
Stirnrunzelnd drehe ich mich um und erspähe tatsächlich ein Haus nicht weit von mir. Es ist noch trister anzusehen, als die gesamte Umgebung. Selbst die Bäume scheinen in Dunkelheit gehüllt.
Langsam nähere ich mich dem Gebäude und stelle fest, dass die Fenster verrammelt sind. Holzbretter sind von außen an gebracht worden. Seltsam. Denn die Tür ist, wie ich direkt feststelle, als ich den Knauf berühre und umdrehe, nicht abgeschlossen. Ergibt doch gar keinen Sinn.
Bevor ich hinein gehe, öffne ich die zweite Karte.
»Im Boden ist etwas versteckt. Bring es mit.«
Abgestandene Luft kommt mir entgegen, so, als wäre wochenlang nicht gelüftet worden. Viele Spinnenweben registriere ich und in einer Ecke kann ich sogar eine richtig große Spinne erkennen.
Der Boden ist mit Dielenbrettern ausgelegt, ansonsten ist der Raum komplett leer. Das Haus scheint aus nur einem einzigen Zimmer zu bestehen. Während ich mir die Bretter anschaue und mit meinem Fuß eine lose Stelle versuche auszumachen, wird die Luft, je weiter ich von der Tür weggehe, immer dünner und stickiger. Endlich höre ich ein Knirschen im Boden, ich bücke mich und kontrolliere, ob das Brett wirklich locker genug ist, um etwas zu verstecken. Zum Glück lässt es sich ganz leicht anheben und ich versuche, nicht panisch zu werden. Licht erhalte ich nur durch die offene Tür, aber es ist zu wenig, um zu erkennen, was sich im Boden verbirgt. Eine Taschenlampe wäre jetzt wirklich hilfreich. Augen zu und durch, oder? Okay. Vorsichtig und langsam schiebe ich meine Hand durch den Spalt und tauche dabei direkt in Spinnenweben ein. Zum Glück habe ich keine Phobie oder dergleichen, ansonsten wäre es echt die Hölle. Trotzdem muss ich tief durchatmen, was mich zum Husten bringt. Mein Hals fühlt sich an, als hätte ich gerade Spinnweben eingeatmet. Ich taste mich weiter vor und kann endlich etwas fühlen. Vor Schreck zucke ich zurück und lande dabei unglücklich auf meinem Hintern. Okay, okay. Was auch immer das ist. Es kann mir nicht wehtun.
Nun, da ich weiß wo es genau ist, greife ich, so schnell ich kann, hinein und ziehe es hinaus. Eine Tasche kommt zum Vorschein. Puh. Keine Leiche. Sollte ich vielleicht hineinsehen? Nein, das wird zum Test zählen. Und ich bin mir sicher, dass dies einer ist. Warum sonst sollte ich hier sein?
Knall.
Dunkelheit.
Schlüssel dreht sich.
Stille.
»Verdammt«, rufe ich aus und stehe auf. Es dringt kein Licht zu mir durch. Nicht ein Brett an den Fenstern ist irgendwie schief. Meine Augen beginnen zu brennen, den Stift habe ich sicher verwahrt aber bei der Dunkelheit etwas zu schreiben, wird beinahe unmöglich sein.
Ich ertaste mir den Türknauf, drehe, drücke, rüttele. Nichts. Mit voller Kraft stemme ich mich dagegen, renne davor, will die Tür eintreten. Schreie laut.
›Hört mich wer?‹, frage ich verzweifelt, denn die Knopfhördinger hab ich noch im Ohr. ›Bitte, hört mich jemand? Julian? Oliver?‹
Nichts. Langsam habe ich das Gefühl, dass mich die Luft erdrückt, so stickig ist es. Als würde sie meine Lunge festhalten und keine Luft durchdringen lassen. Wenn ich tief durchatme, muss ich direkt husten. Nachdenken. Eine Lösung muss her! Ganz schnell! Ich blicke mich in der Dunkelheit um und versuche mich zu orientieren. Vielleicht gehen die Bretter an den Fenstern auf? Die sind von außen befestigt, ich weiß. Aber wenn ich dagegen schlage? So fest, ich kann? Ich stehe im Zimmer und versuche, die Panik zu unterdrücken, damit ich mich daran erinnere, wo ein Fenster ist. Gerade aus. Ich gehe vorsichtig und mit ausgestreckten Händen nach vorn, darauf bedacht, nicht versehentlich in das Loch zu treten, wo ich gerade eben noch das Brett entfernt habe. Spinnenweben überall. Die Luft ist stickig und stinkt einfach fürchterlich. War der Geruch eben schon so verfault? Nein, so schlimm war es nicht. Es ist warm hier. Mit meinem Fuß ertaste ich das Dielenstück und hebe es auf, das könnte nützlich sein. Ich konzentriere mich auf das Fenster. Schritt für Schritt. Endlich kann ich die Wand fühlen und taste mich zum Glas vor. Okay, da ist es. Meine Augen haben sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und ich kann Umrisse erkennen, aber nicht wirklich viel. Mit dem Ende des Holzstücks schlage ich gegen die Scheibe. Es knackst leicht. Mehr Kraft und Druck und tatsächlich, es geht zu Bruch. Überall fliegen die Glasscherben, meine Augen habe ich geschlossen, aber die Splitter verfehlen mich dennoch nicht. Nachdem das Geräusch verklungen ist, beruhige ich mich etwas und öffne wieder meine Augen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und so langsam hab ich das Gefühl, meine Übelkeit nicht mehr lange unter Kontrolle halten zu können. Aber als ich schwer schlucke, steigt eine Bitterkeit in mir hoch, die noch widerlicher ist.
Die Dunkelheit ist so erdrückend