›Julian?‹, sage ich gedanklich.
›Bin wach, kleine Fee. Was ist los?‹
Ich seufze. ›Du hast deinen eigenen Stift, richtig? Wie ist das möglich? Es gibt doch nur zwei insgesamt.‹
Er holt tief Luft und scheint darüber nachzudenken. Ich warte, denn es ist etwas, was eigentlich niemand wissen sollte.
›Das ist richtig. Penelope hat mich zu vielen Missionen geschickt. Missionen, die‹, er stockt und erneut atmet er tief ein und aus. ›nun ja, sie haben mich abgestumpft. Wie auch immer ... Es gab jedes Mal ein zeitliches Fenster, was ich abpassen musste.
Penelope konnte mich so kontrollieren. Aber ich habe sie oft austricksen können, in dem ich schneller war oder die Zeit zu meinen Gunsten genutzt habe. Es gab da dieses Gerücht von dem Mann, der die Stifte erstellt hat. Niemand wusste, wer er war oder wo man ihn finden konnte, oder gar wann. Aber das hielt mich nicht davon ab Nachforschungen anzustellen. Und so bin ich beinahe zehn Jahre Hinweisen nachgegangen, die überall gestreut waren – zu jeder Zeit, an jedem Ort. Egal wann, wo oder wie. Ich bin jedem Hinweis nachgegangen und schließlich habe ich ihn gefunden: Den Mann, der die beiden Stifte erstellt hatte. Einen an meinen Vorfahren, einen für deinen. Ich weiß allerdings nicht, warum ausgerechnet unsere Vorfahren ausgesucht worden.
Das Blut wurde im Stift verarbeitet und somit können wir ihn ebenfalls benutzen, aber nur wir. Niemand anderes. Es war natürlich gefährlich, diesem Mann zu begegnen, aber ich musste das Risiko eingehen. Deshalb suchte ich ihn auf, als er gerade den zweiten Stift vollendet hatte. Er starrte mich an, aber schien bereits geahnt zu haben, dass ich komme. Denn er runzelte nur die Stirn, setzte sich wieder an seinen Arbeitstisch und kreierte einen dritten Stift. Ich fragte ihn, woher er wüsste, dass ich es bin und er mir vertrauen könnte.
›Weil ich die Hinweise nur für dich gelegt habe. Du bist derjenige, der all das Chaos in der Zukunft bereinigen kann.‹
Von welchem Chaos er spreche, wollte ich wissen, doch da schnitt er bereits in meinen Finger und träufelte etwas Blut in ein Gefäß, nahm eine Pipette und füllte diese mit meinem Blut, was er schließlich in die Tinte des Stiftes hat einfließen lassen. Er sah mich nicht wieder an, als er mir den Stift reichte.
›Es ist aussichtslos, noch einmal nach mir Ausschau zu halten. Du wirst mich nicht mehr finden können‹, sagte er zum Abschied.
Bevor ich zu Penelope zurückkehrte, besuchte ich deinen Vater und erzählte ihm, dass ich Erfolg hatte. Von nun an konnte ich für Paul arbeiten, meine Fassade in der Organisation aber aufrecht erhalten.‹
›Mmh. Penelope hat es herausgefunden.‹ Keine Frage. Sondern eine Feststellung, nur so konnte es gewesen sein.
›Ja. Zur Strafe schickte sie mich mit einer Aufgabe an einen ähnlichen Ort, wie ihr seid. Ich kam nicht mehr raus, konnte mich nicht wegschreiben.‹
Ich höre ihn schlucken und habe Angst vor dem, was er nun erzählen wird.
›Der ›Fight Club‹ ist ein Kindergeburtstag zu dem, was ich erlebt habe.‹
›Brad Pitt‹, seufze ich und höre auch Julian schmunzeln. Okay, Fokus. ›Was ist dann geschehen? Hat sie dich brechen können?‹
›Sie hat es versucht und am Ende hat sie meine Loyalität ihr gegenüber auf die Probe gestellt.‹
›Was ... Wie?‹, stoße ich hervor und bekomme Angst.
›Ich musste ...‹, er bricht ab und ich höre ihn schluchzen. Was hat sie von ihm verlangt? ›Es tut mir so leid.‹
›Was hast du getan?‹
Er antwortet mir nicht. Es scheint, als würde er in sich zusammenbrechen. Ich reiße die Augen auf, setze mich ruckartig hin und spüre meinen eigenen Herzschlag. Wild, wilder rasend und eine Panikattacke will sich ausbreiten.
»Melanie?« Narben-Oli (das klingt immer noch nicht richtig) richtet sich ebenfalls auf und streicht meinen Rücken. »Was ist los?«
»Julian. Was hat er getan?« Ich werde zur Ruhe ermahnt, aber das ist mir jetzt auch egal.
Er seufzt und setzt sich nun hinter mich. Seine Beine streckt er nach vorne und beinahe sieht es so aus, als würden sie mich einrahmen.
»Du weißt es.« Julian weint noch immer. Es muss etwas extrem Schlimmes gewesen sein, etwas, was sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Oder? Wir können in der Zeit reisen, verdammt. Wir können ... Auch 2117er Oli ist inzwischen wach und möchte wissen, was los ist.
›Julian, du musst es ihr erzählen‹, sagt Oliver neben mir und ich spüre nun seine Hände an meinen Schultern. Er bereitet sich selbst darauf vor, mich aufzufangen. Weiß Oliver doch mehr, als er zugibt? Kennt er die Zukunft? Ist er eingeweiht? Ich hasse diese Ungewissheit.
›Kleine Fee ... Es tut mir so unglaublich leid. Penelope hat ... Sie wollte ... VERDAMMT! Ich musste Paul umbringen.‹
»WAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAS?«, schreie ich so laut, ich kann.
»Melanie, ruhig.«
»Ist er wirklich tot? Mein Vater?«
Ich will nicht mehr zwischen Gedankengänge und Lautreden unterscheiden müssen. Penelope weiß doch eh schon alles. Als ob sie nicht auch dieses Hindernis mit einbezogen hätte. Sie weiß auch das mit den Knopf-Dingern. Sie wird nicht locker lassen. Sie wird weitermachen. Erst Olivers Vater, dann dessen Verlobte und nun meinen Vater. Seinen ... Scheiße, Schwiegervater? Stiefvater?
»Sie will Oliver in die Ecke treiben, damit er in der Zukunft die Organisation nicht stilllegt, damit er es nicht in Grund und Boden rammen wird. Aber sie können doch alles neu aufbauen. Ich versteh es nicht. Und es ist mir vollkommen egal, wer mich gerade hört«, sage ich, weil mich die Olivers zur Ruhe ermahnen.
›Dein Vater hatte sie überwältigt und ihren Stift an sich genommen. Er hatte deinen, weil du zu jenem Zeitpunkt nicht reisen konntest, und hat ihren Stift verschwinden lassen. Worauf sie schließlich Julian auf Paul angesetzt hat. Die Organisation hat ebenfalls ständigen Kontakt zu Penelope. Sie hatten eine exakte Kopie des Stiftes erstellt, mit dem sie auch durch die Zeit reisen konnte. Aber es ist eben nur eine Fälschung und sie ist krank davon geworden.
Paul wusste, welches Risiko er eingeht. Aber indem er den Stift hat verschwinden lassen, konnte er verhindern, was passiert wäre. Es war oder wäre etwas sehr Gravierenden gewesen ...‹, stammelt einer der Jungs. Alles verschwimmt zu einem irren Wirrwarr aus Worten und in meinem Kopf herrscht ein Chaos, was ich nicht einordnen kann. Es ist zu viel. All das.
›Moment, was? Warum konnte ich nicht reisen? Ich hätte meinen Vater doch nicht solch einem Risiko ausgesetzt. Es sei denn ...‹ Nein, nein, nein. Das ... NEIN. ›War ich schwanger?‹ Betretenes Schweigen, was mir Antwort genug ist. Wäre ich dann nicht trotzdem mit dem Stift gereist? Penelope hat es doch auch gemacht.
»Du durftest nicht«, höre ich Oliver neben mir und ich starre ihn lediglich an. Mehr kann ich nicht machen.
Kopfschmerzen breiten sich aus. Olivers Blick verändert sich. Er sieht mich an, wie ein Mann, der seine Frau gerade wiedergefunden hat.
Missionen in der Nacht
Überall in der Zeit
Julian hat also meinen Vater im Auftrag von Penelope umgebracht, weil er vorher ihren Stift verschwinden ließ. Sie aber hatte vorgesorgt und eine Kopie anfertigen lassen. Doch hat diese Nachahmung bewirkt, dass sie krank wurde. Nun ... So krank sah sie gar nicht aus, wenn wir mal ehrlich sind.
›Kleine Fee‹, wagt sich Julian vor.
›Ich weiß.‹
Ich reibe mir