Eine Ausnahme machten Marx und Engels mit ihren politischen Freunden. Sie wußten, daß die Geschichte in letzter Linie nicht durch die Absichten der einzelnen Menschen bestimmt wird, sondern durch die ökonomischen Verhältnisse. Von diesem Standpunkt aus machten sie sich einestheils an die Erforschung der Ursachen des Mißlingens der jüngsten revolutionären Erhebung und anderntheils an die Untersuchung der bestehenden ökonomischen Verhältnisse, um daran die Aussichten der nächsten Revolution zu bemessen. Und sie kamen zu dem Schlusse, daß die Revolution vorläufig geschlossen und keine Aussicht auf ihr Wiederaufleben in nächster Zeit vorhanden sei.
Marx und Engels gehörten nicht zu den Leuten, die die Flinte ins Korn warfen. Auch sie konnten sich lange nicht entschließen zu glauben, daß es mit der Revolution einstweilen vorbei sei, und sie bemühten sich, die revolutionären Erwartungen ihrer Genossen aufrecht zu halten, solange noch die Verhältnisse gestatteten, solche zu hegen. Sie reorganisirten den Kommunistenbund, und noch im März 1850 erklärten sie in einer Ansprache der Zentralbehörde an den Bund: »Die Revolution steht nahe bevor, sei es daß sie hervorgerufen wird durch eine selbständige Erhebung des französischen Proletariats oder durch eine Invasion der heiligen Allianz gegen das revolutionäre Babel.«
Aber bald mußten sie sich eingestehen, daß diese Erwartung nicht mehr aufrecht zu halten sei. Die Nachwahlen vom 10. März 1850 in Frankreich hatten ein Wiederaufleben der Revolution erwarten lassen. Aber die Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts daselbst durch das Gesetz vom 31. Mai, die in aller Ruhe vor sich ging, besiegelte den politischen Bankerott der kleinbürgerlichen Demokratie und bewies, daß die Junischlacht das Pariser Proletariat für Jahre hinaus kampfunfähig gemacht hatte. Und um dieselbe Zeit zeigte es sich, daß die industrielle Krisis, die 1847 eingesetzt, überwunden war und eine Aera des »wirthschaftlichen Aufschwungs« begonnen hatte. Unter diesen Umständen war es für Marx und Engels offenbar, daß an einen baldigen Wiederausbruch der Revolution nicht mehr zu denken sei. Sobald sie zu dieser Ueberzeugung sich durchgearbeitet, trugen sie kein Bedenken, ihr sofort Ausdruck zu geben. Im Oktober 1850 schrieben sie bereits in der Revue der »Neuen Rheinischen Zeitung«: »Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein ... Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.«
Der Schlußsatz zeigt uns allerdings, daß Marx und Engels zur Zeit, wo diese Artikel geschrieben wurden, noch überzeugt waren, die Revolution werde nach einer kurzen Reihe von Jahren wieder beginnen – noch im September 1851 schrieb Marx in dem ersten der hier vorliegenden Artikel von der »wahrscheinlich sehr kurzen Ruhepause, die uns zwischen dem Schluß des ersten und dem Beginn des zweiten Aktes der Bewegung gegönnt ist«.
Immerhin, trotz aller revolutionären Leidenschaft und alles revolutionären Dranges, eine Thatsache stand für sie fest, im Gegensatz zur übrigen Emigration: für Jahre hinaus war es mit der Revolution zu Ende. Es galt, sich für den Friedenszustand einzurichten. Marx gehörte aber nicht zu jenen, die den Märtyrer vor einem zahlungsfähigen Publikum posirten oder Anleihen auf die kommende Revolution aufnahmen; sich auf den Friedenszustand einrichten, hieß für ihn also eine bürgerliche Existenz gründen. Es galt aber auch, ein Organ zu erhalten, in dem er die Ergebnisse seiner Beobachtungen der Oeffentlichkeit mittheilen konnte. Es gab jedoch keines, in dem er zum deutschen Publikum hätte sprechen können. Die Demokratie boykottete Marx. Seine Revue der »Neuen Rheinischen Zeitung«, die er mit Engels seit Januar 1850 herausgab, erlag diesem Boykott; das Doppelheft 5 und 6, dem wir die oben zitirte Stelle entnommen, war ihr letztes. Die deutsche Presse war Marx verschlossen. Von dem Untergang der »Neuen Rheinischen Zeitung« an bis zum Aufkommen einer sozialdemokratischen Presse in Deutschland ist von Marx, mit Ausnahme einiger Korrespondenzen für die »Neue Oderzeitung« in Breslau (im Jahre 1855), nichts in deutschen Zeitungen veröffentlicht worden.
Angesichts dieses Boykotts mußte es ihm um so willkommener sein, im Herbst 1851 von einer angesehenen amerikanischen Zeitung, der »New York Tribune«, zur Mitarbeiterschaft aufgefordert zu werden.
Heute ist die »Tribune« ein ganz gewöhnliches kapitalistisches Zeitungsgeschäft. In ihren Anfängen dagegen trug sie einen weit höheren Charakter, der sie der Mitarbeiterschaft eines Marx wohl werth machte.
Sie war ein Kind der fourieristischen Bewegung, die in den vierziger Jahren unter den literarisch gebildeten Klassen der Vereinigten Staaten eine große Bedeutung erlangt hatte, einer Bewegung, die den Reflex einer ähnlichen in Europa bildete. Es war das zu der Zeit, als das Proletariat begann, eine Macht zu werden; noch war es nicht stark und selbständig genug, um die besitzenden Klassen ernstlich zu erschrecken und zu einer »reaktionären Masse« zusammenzuschweißen, aber bereits stark genug, um in den Kämpfen der besitzenden Klassen untereinander – der Großgrundbesitzer, der Finanz, der industriellen Kapitalisten – der einen oder der anderen als Bundesgenosse willkommen zu sein. Die Sympathien mit dem Proletariat, die Anklagen gegen seine Ausbeutung und Degradirung, ja selbst Bestrebungen zu seiner Aufhebung, die bis zu einem utopistischen Sozialismus sich versteigen durften, waren damals sicher, bei einer oder der anderen Fraktion der besitzenden Klassen Duldung, mitunter sogar Förderung zu finden. Das gab einem großen Theil der »Intelligenz« den Muth, dem Sozialismus näher zu treten. Ohne proletarisches, aber auch ohne kapitalistisches Klassenbewußtsein, konnte sie unbefangen die entsetzlichen Greuel des Kapitalismus beurtheilen, die viele ihrer Mitglieder zum Theil berufsmäßig – z. B. als Aerzte – zum Theil auch durch Erfahrungen am eigenen Leibe kannten. Das war die Zeit der glänzendsten Schilderungen eines Dickens und Disraeli, eines Carlyle und Kingsley, einer George Sand und eines Eugen Sue und ihrer Nachtreter in Deutschland. Das war auch die Zeit, in der der Fourierismus in Amerika gedieh, allerdings mehr ein literarischer Nachhall, als ein Produkt der sozialen Zustände des eigenen Landes, die wohl in einigen Großstädten bereits schlimm genug waren, aber noch nicht so sehr den Stempel der Hoffnungslosigkeit trugen, wie die des alten Europa. Der besitzlose Amerikaner selbst betrachtete das Proletariat als ein bloßes Durchgangsstadium, das er durchmachen müsse, nicht als den Zustand, in den er lebenslänglich gebannt sei.
Zu denjenigen, für die das Proletariat nur ein Durchgangsstadium war, gehörte auch Horace Greeley, der sich vom Schriftsetzer zum Journalisten emporarbeitete und 1841 die »New York Tribune« gründete. Sie stellte sich sofort in den Dienst der fourieristischen Bewegung. Schon am 14. Dezember 1841 erschien in der »Tribune« ein Artikel » Association – plan of Fourier«, in dem über die beabsichtigte Gründung einer fourieristischen Kolonie in Frankreich berichtet wurde. »Wir haben schon einiges geschrieben«, heißt es in dem Artikel, »und werden noch weit mehr schreiben, um jene große soziale Revolution zu beleuchten und zu befürworten, die zu beginnen die Bestimmung unseres Jahrhunderts ist, indem es alle nützliche Arbeit gleichzeitig anziehend und ehrenvoll macht und die Noth sammt der mit ihr verbundenen Verkommenheit vom Erdball verbannt. Der Keim dieser Revolution ist in den Schriften Ch. Fouriers enthalten« u. s. w.