Nachdem wir die zehnte Tür hinter uns gelassen haben, lässt er uns die Augenbinden abnehmen. Langsam streife ich sie mir über den Kopf und öffne erst dann vollständig meine Augen.
Aber ... was ist das?
Wir befinden uns auf einem Felsvorsprung in einer Art Höhle. Zögerlich wage ich mich auf dem glatten Stein etwas weiter und mir bleibt das Herz stehen!
»Emilian? Weißt du, was das ist?«, fragt mich meine Mutter atemlos. Ihre schwarzen Locken zittern vor Aufregung auf ihrem Kopf umher.
»Ich glaube, ich weiß es.«
Der Name dieses Ortes kreist die ganze Zeit in meinem Kopf herum. Er war zwar Thema in der Schule, aber wo er zu finden ist und was sich dahinter tatsächlich verbirgt, haben wir nie erfahren.
Dann spricht es Herr Kerkov selbst aus. »Willkommen im Lebensgrund! Der Ort, an dem alle unsere Rohstoffe angebaut, geerntet und verarbeitet werden!«
Während meine Mutter und ich wie angewurzelt dastehen und uns umschauen, schreitet Herr Kerkov eine in den Felsen gehauene Treppe nach unten.
Wie oft habe ich mir gewünscht, diesen Ort einmal sehen zu können! Warum wird er nur so geheim gehalten? Langsam lösen wir uns aus unserer Starre und folgen Herrn Kerkov.
Überwältigt fahre ich mit der Hand über das dunkelbraune Gestein, aus dem hier alles besteht. Es ist warm wie eine lauwarme Herdplatte.
Vor uns erstreckt sich ein großer Garten, mit allen möglichen Pflanzen und Bäumen. Ich erkenne Apfelbäume und daneben viele Tomatensorten. Alles, was wir haben und essen, wird hier angebaut. Doch ich entdecke auch Pflanzen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Unglaublich!
Endlich habe ich meine Stimme wieder gefunden. »Wie kann es sein, dass all diese Pflanzen hier wachsen? So tief unter der Erde, so ganz ohne Sonnenlicht und Sauerstoff?«
»Wie wir das ganze geregelt haben, halten wir streng geheim.«
Wir schleichen weiter nach unten und an den Beeten steigt mir der Geruch von frischen Erdbeeren in die Nase. Jetzt sehe ich sogar Gewächshäuser, die von den Felsen, von denen wir kommen, verdeckt wurden. In diesen wachsen Gurken, Tomaten, Zucchini, Obergienen und anderes Gemüse, das wir fast täglich auf unserem Speiseplan haben.
An einer großen silbernen Tür dreht der Direktor den Griff nach links und schon öffnet sich der Durchgang. Wir gehen weiter und kommen in einer Kammer an, in der aufgeregt einige Menschen hin und her springen und Maschinen bedienen.
»Was tun die da?«, fragt meine Mutter.
»Streng vertraulich.«
»Und warum werden wir dann von Ihnen hier runtergebracht, wenn wir sowieso nicht wissen dürfen, was hier passiert?«
Herr Kerkov geht nicht auf meine Frage ein, stattdessen führt er uns zu einer weiteren Tür.
Ich sehe mir die Maschinen nochmal genauer an. Sie erstellen merkwürdige Gegenstände. Mit etwas Fantasie glaube ich, eine Art Hammer zu erkennen und ein weiteres Objekt sieht aus wie ein riesiges Messer.
Neben den großen Maschinen, die ohne Pause arbeiten, sitzt ein junges Mädchen mit mahagoniroten Haaren an einem schlichten Holztisch. Mit einem Bleistift bearbeitet sie einen Zettel.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken - sie kommt mir so bekannt vor.
»Wer ist das?«, frage ich.
»Wer?«, fragt meine Mutter.
Ich deute mit dem Finger in die Richtung des Mädchens.
»Ich sehe niemanden, da ist nur ein Tisch.«
Ich starre meine Mutter verwirrt an.
»Da ist niemand, kommt weiter«, drängt Herr Kerkov, scheinbar gelassen. Doch seine Augen erzählen etwas anderes.
Wie kann es sein, dass niemand dieses Mädchen sieht?
Ich sehe wieder zu ihr hoch, gerade rechtzeitig, denn auch sie dreht sich um und sieht mich überrascht an.
Bilde ich mir das doch alles nur ein?
Selbst auf diese Entfernung erkenne ich die grauen Augen wieder, die mich am See so geheimnisvoll fixiert haben.
Wer ist sie?
Erneut überkommt mich Schwindel und der Boden gibt nach. Doch ehe ich auf dem Grund ankomme, wird alles schwarz um mich herum.
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