Einführung
Wer menschliches Verhalten zu analysieren versucht muss wissen, wo wir herkommen. Er muss die anthropologische Evolution befragen. Sie schuf ein in unseren Genen verankertes Fundament, das menschliches Verhalten lenkt, Lernen ermöglicht und Nachdenklichkeit schafft. Entstanden ist ein in unterschiedlichen evolutionären Epochen geprägtes komplexes Erbe, das in der menschlichen Geschichte im Kompromiss unser Handeln lenkt oder zu Entfremdungen führt, so der Kompromiss misslingt. Wer den Menschen nur mit einer Eigenschaft oder einem Teil unseres genetischen Erbe zu charakterisieren versucht macht aus ihm eine Spekulation. Wer im Menschen nur den Egoisten sieht macht aus ihm eine Bestie. Wer menschlichen Verstand und menschliche Vernunft allein betont macht aus dem Menschen ein „reflexives Produkt“ 1 und mitunter gar ein göttliches Wesen. Der Mensch ist weder Bestie noch ist er Gott. Er ist ein evolutionäres Produkt mit vielen Eigenschaften, die zusammen nur sein bisheriges Überleben sicherten und dieses auch weiterhin sichern sollen.
Die Geschichte des Menschen beginnt nicht, wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte beschrieben, vor 6000 Jahren als Gott „den Menschen ihm zum Bilde (1. Mose 1, 17) aus einem Erdenkloß schuf“ (1. Mose 2, 7). Sie beginnt auch nicht vor 70 000 Jahren weil der Mensch anfängt seinen handwerklichen Verstand zu benutzen und in der „Zivilisatorischen Wende“ eine kognitive Revolte 2 einleitet, in welcher der Jäger und Sammler zum Tierhalter und Landwirt wird und mit kognitiver Intelligenz „eine Geschichte von Morgen“ einleitet 3. Viel früher schon sind dem Menschen und seinen hominiden Vorfahren Großtaten gelungen: Er überlebt in einem gefährlichen Umfeld, weil er sich anzupassen versteht und die Fähigkeit zu Überleben in sich erkennt. Er benutzt sein biologisches Erbe, lernt und passt sich seinem Umfeld an. Bevor der Mensch sich anschickt, sich an seinem Umfeld zu vergehen und dieses zu manipulieren, richtet er seine Sinne und seine Intentionen an die Natur, lernt sie zu verstehen und sichert sich sein Überleben. Menschliches Verhalten wird von einem Erbe gesteuert, das mit der biologischen Evolution vor ca. 3,5 Milliarden Jahren beginnt und als früheste Eigenschaft des Lebens aus „Irritation und Reaktion“ das Prinzip der „Unterscheidung“ erfindet. Dieses Prinzip wird in der Evolution vielfach variiert und schafft in den letzten 2 - 3 Millionen Jahren einen Sonderweg des Menschen durch die Entwicklung menschlicher Mentalität.
Im christlichen Abendland wird der Mensch zunächst zum Objekt der Spekulation. Für Christen ist der Mensch ein Sünder, zumal eine natürliche Mentalität sein Verhalten lenkt und göttliche Gebote dies verändern sollen. Für Christen ist der Mensch auch ein göttliches Geschöpf, ist Teil einer göttlichen Familie. Mit dem Versprechen einer göttlichen Gnade muss der Christ sein Leben fristen und auf sein Ende warten. Für Idealisten ist der Mensch mit Verstand und Vernunft geadelt, ist zur Vervollkommnung und zur Herrschaft über seine Natur aufgerufen. Nicht das vom Menschen Erreichbare ist Ziel der Idealisten. Ihr Ziel ist eine schöpferische Kreativität, mit welcher der Mensch sich über seine Möglichkeiten erhebt und zum „Homo Deus“ wird 3 und sein Umfeld verändert. Seit Darwins Evolutionslehre aus dem Jahre 1856 erst wird im christlichen Abendland der Mensch zum Objekt einer evolutions-historischen Forschung 4,5. Ausgangspunkt für jede biologische Entwicklung und auch die Entwicklung zum Menschen ist eine von Charles Darwin beschriebene „evolutionäre Intelligenz“. Evolutionäre Intelligenz vollzieht sich ohne Anleitung oder Führung, orientiert sich an den in stetem Wandel sich einstellenden Gegebenheiten und ist ohne Ziel. Evolutionäre Intelligenz übernimmt das mit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren aufgekommene Gesetz von „Ursache und Wirkung“ und macht daraus ein biologisches Gesetz von „Reiz und Reaktion“. Es lenkt bis heute die biologische Evolution. Wie es zum Urknall kam und wie das Leben auf unserer Erde entstand, wissen wir nicht. Was aber entstanden ist und existiert hat Eigenschaften und Qualitäten. Aus Existenz wird Essenz, die als Kosmologie, mit dem Beginn des Lebens als Biologie, mit der Entwicklung mentaler Eigenschaften als mentale Evolution des Menschen wissenschaftlich beschreibbar wird. Evolutionäre Intelligenz entwickelt sich aus einem dialektischen Zusammenspiel von Umwelt und biologischem Akteur. Klimatische-, vulkanologische- oder Plattenbewegungen verändern das Umfeld, in welchem ein biologischer Akteur lebt und durch genetische Mutationen verändert wird. Zusammen schaffen Umwelt und biologischer Akteur eine biologische Divergenz und eine kaum noch überschaubare Artenvielfalt als Konsequenz von Dialektik oder „evolutionärer Intelligenz“. Evolutionäre Intelligenz ist ein Dreiklang aus Reproduktion, aus Distanzierung und Veränderung und schließlich aus Einpassung:
Jedes Lebewesen entsteht aus einer „Reproduktion“ des vorher Bestehenden und pflanzt sich wiederum durch Selbstreproduktion fort. Das Junge entsteht, das Alte stirbt. Alt und Jung, Jahrmillionen alte- oder frühe Geschöpfe der Evolution existieren neben Mutanten der jüngsten Zeit und alle reproduzieren sich. Reproduktion stabilisiert eine mögliche Art und stabilisiert das Leben.
Neben einer „Wiederkehr des Gleichen“ durch Reproduktion wird Evolution durch „Distanzierung“ und „Veränderung“ bestimmt. Genetische Mutationen bewirken Veränderung und schaffen Differenzierung und auch das Umfeld unterliegt einem fortwährenden Wandel. Veränderung und Spezialisierung biologischer Akteure in einem sich verändernden Umfeld werden zum Motor des Wandels und diversifizieren das Leben in eine Vielfalt einzigartiger Geschöpfe.
Dies aber nur, wenn die „Einpassung“ gelingt, wenn das Veränderte oder Neue die Arterhaltung und die Überlebenschancen verbessert. Was bisher Bestand hatte wird vom Angepassteren ersetzt. Der Nutzen des Neuen für die Einpassung ins Umfeld entscheidet über die Geschwindigkeit der Evolution.
—
Unterschiedliche Geschichten werden beschrieben: Charles Darwin beschreibt eine Geschichte des Entstehens, beschreibt eine „Evolutionsgeschichte“, aus der auch der Mensch mit seiner anthropologischen Evolution hervorgeht. In unserer abendländischen Vorstellung ist kognitive Intelligenz das uns vom Homo sapiens überlassene- und uns Menschen charakterisierende Erbe. Es macht uns Menschen zu etwas Besonderem in der biologischen Evolution. Die Weitergabe von Gedanken und Ideen von Mensch zu Mensch schafft eine zweite-, eine Kulturgeschichte des Menschen. Ist Hararis „Kurze Geschichte der Menschheit“ 2 eine Kulturgeschichte, zumal eine „kognitive Revolution“ diese Geschichte einleitet? „Kognitive Intelligenz“, Gedanken und Ideen bewirken die schöpferische Intelligenz des Menschen. Bestimmen schöpferische Intelligenz, bestimmen Gedanken und Ideen aber auch das menschliche Verhalten? Zweifel sind angebracht: Der Homo sapiens steht am Ende einer biologischen Entwicklungsreihe und beschenkt uns mit Gedanken und Ideen, deren eventuelle Auswirkungen auf die menschliche Geschichte wir heute erst erahnen. Zuvor haben die Hominiden in Millionen Jahren ein Verhalten entwickelt, das ihnen ein Überleben in einem wechselnden Umfeld ermöglicht. Eine Analyse der Entwicklung des menschlichen Verhaltens, eine „mentale Evolution“ des Menschen und deren Auswirkungen auf seine Geschichte versuche ich in einer „Mentalgeschichte des Menschen“ zu analysieren. „Evolutionsgeschichte“, „Kulturgeschichte“ und „Mentalgeschichte“ haben einen jeweils anderen Ausgangspunkt und auch eine unterschiedliche Zielorientierung.
—
Seit Darwins Evolutionslehre wird der Mensch zu einem Objekt der archäologischen Anthropologie. In vielen Regionen unserer Erde werden unterschiedlich erhalten gebliebene Schädel- und Skelettreste von Hominiden oder vom Homo sapiens ausgegraben. Erstmals werden Entwicklungslinien des Menschen diskutiert. Aus Veränderungen