Sanft dirigiere ich meine Cousine in Richtung einer der Bars, auch um zu verhindern, dass noch jemand dahinterkommt, dass wir keinen Eintritt bezahlt haben, weil wir uns auffällig am Hintereingang herumdrücken. Auf weiteren Stress kann ich heute Nacht echt verzichten. Daher ziehe ich vorsichtshalber meine Lederjacke mit dem MC-Symbol aus. In dem Aufzug hätte mich der Türsteher wohl kaum hereingelassen. Ice, unser President, würde mir den Arsch aufreißen, wenn er erfahren würde, dass ich die Kutte abgelegt habe – zurecht. Aber manchmal heiligt der Zweck die Mittel und vermutlich ist niemand hier, der es ihm erzählen wird. Ich verdränge jeden weiteren Gedanken über die Folgen dieser Nacht für mich. Den Konsequenzen stelle ich mich morgen. Neues Jahr, neues Glück, oder wie war das?
Unruhig sehe ich mich um.
Seit ich siebzehn bin und im MC rumhänge, habe ich keine andere Bar mehr als die unseres Clubhauses betreten und keine anderen Frauen als die Mädels, die sich uns im MC zur Verfügung stellen, gevögelt. Das hier könnte auf jeden Fall mal eine nette Abwechslung sein. Die Musik ist zwar komplett zum Kotzen, aber man kann eben nicht alles haben.
Carly und ich streifen durch den riesigen Partytempel und suchen uns eine der Bars aus, die nicht ganz so voll ist. Mir fallen sofort einige Singlefrauen auf und meine Laune steigt. Die erneute Schnapsinfusion lässt mich mein Unwohlsein vergessen und der Alkohol tut sein Übriges. Immerhin ist heute Silvester und ich habe vor, es jetzt doch noch richtig krachen zu lassen. Carly offenbar auch, sie hält mit jedem Drink, den ich in mich hineinschütte, mit. Eigentlich sollte ich sie dringend davon abhalten, denn dass sie sich in ihrem emotionalen Zustand so dermaßen besäuft, bedeutet nur Ärger. Noch mehr Ärger. Und davon haben wir beide eigentlich genug. Aber ich habe überhaupt keinen Bock, den Moralapostel zu spielen.
Eine Weile beobachte ich die feiernden und aufgetakelten Menschen. Mit meinen zerschlissenen Jeans, den unzähligen, sichtbaren Tattoos und den kurzgeschorenen schwarzen Haaren passe ich keinen Meter hier rein. Und genau das scheint einigen der anwesenden Frauen sehr gut zu gefallen. Ich flirte, aber so richtig festlegen kann ich mich nicht, denn die Auswahl ist groß.
Eine Stunde später fällt mir endlich eine Frau auf, die mir wirklich gefällt. Eine absolute Schönheit. Wenn ich sie vergleichen müsste, dann würde ich es wohl mit Schneewittchen tun. Ohne mich um den gesellschaftlichen Unterschied zu scheren, spreche ich sie an. Die anderen Frauen hätten mich liebend gern in ihr Bett geschleift, um sich mal von einem Bad Boy richtig hart ficken zu lassen. Warum sollte diese hier das anders sehen?
»Hey Süße, bist du allein hier?«, beginne ich das Gespräch ziemlich eloquent. Nicht. Verdammt, ich bin mittlerweile zu besoffen, aber jetzt einen Rückzieher zu machen, kommt nicht infrage. »Du siehst echt gut aus.« O verdammt Paul, halt einfach deine Fresse.
»Du bist betrunken, verzieh dich«, höre ich die heiße Schwarzhaarige sagen. Komisch, diese Worte höre ich an diesem Abend zum ersten Mal.
»Baby, du stehst doch auf die bösen Jungs!«, labere ich grinsend und leider ziemlich dämlich weiter. Eines steht fest, sie hat Klasse, auch wenn ihre Brüste fast aus dem Kleid fallen.
»Sag mal, hast du es immer noch nicht kapiert? Ich habe keinen Bock auf dich!«
Schade aber auch, bedauere ich mich innerlich.
»Als würdest du es mit diesem Kleid nicht darauf anlegen flachgelegt zu werden.« Fuck. Das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt?! Meinem besoffenen Ego gefällt es offenbar nicht, jetzt auf einmal abgelehnt zu werden, wo ich mir bisher doch hätte, einfach eine aussuchen können.
Neben mir ertönt auf einmal ein raues Lachen. Irgendso ein fremder Kerl starrt mich missmutig an. Scheint so, als wäre er ebenfalls scharf auf die Braut. Dass er mir bekannt vorkommt, bilde ich mir wahrscheinlich nur ein.
»Hey Mann, du solltest dich bei ihr entschuldigen und dich dann schnell vom Acker machen. Kapiert?!«
Was für ein Lappen!
»Und warum sollte ich das tun? Was glaubst du, wer du bist, einfach mein Gespräch mit der Lady zu unterbrechen?« Genervt fixiere ich ihn. Wieder so ein Vollidiot, der mich wegen meines Äußeren verurteilt und glaubt, etwas Besseres zu sein.
»Es ist nicht wichtig, wer ich bin, es ist nur entscheidend, was ich mit dir mache, wenn du es nicht tust, Freundchen.«
Freundchen. Das hat der Penner nicht wirklich gesagt? Belustigt baue ich mich vor ihm auf. Der kriegt jetzt auf die Fresse, mit seinem dummen Gelaber.
Shit. In dem Moment, in dem ich mich von dem Barhocker erhebe, merke ich, wie mir schwindelig wird. Vermutlich habe ich mittlerweile hohes Fieber und der verdammte Alkohol macht es nicht besser.
Angewidert von mir selbst, zögere ich eine Sekunde. Dieser Kerl nutzt den Augenblick meiner Schwäche aus und bekommt mein Handgelenk zu fassen. Er schafft es, mich zur Seite zu drehen und mir in die Armbeuge zu schlagen. Ich versuche, ihn mit der anderen Hand zu erwischen, aber er drückt meinen Ellenbogen gegen seine Brust und verdreht mir mein verdammtes Gelenk. Fuck! Fluchend lasse ich die freie Hand sinken.
»Hol aus und ich breche dir das Gelenk«, knurrt er warnend.
Gott, ich möchte gerade nichts lieber, als diesem Pisser die Zähne rauszuschlagen. Doch leider darf ich hier nicht auffallen. Sollte Ice, mein Pres, mich jetzt hier aus der Scheiße holen müssen – und das auch noch ohne die Kutte am Leib! – würde ich wohl bis zum Ende meines Lebens der dämliche Prospect bleiben. Oder viel schlimmer noch: Ich würde vielleicht endgültig rausfliegen. Dann ... Fuck!
Angepisst nicke ich, als auf einmal ein weiterer Typ auftaucht. Mist. Scott Tyrell. Auch das noch. Seinem Aufzug nach, arbeitet er jetzt wohl in diesem Club als Türsteher. Ich kenne ihn von früher aus dem Boxclub, den ich schon lange nicht mehr besucht habe, seit ich mir meine dämliche Hand verstaucht habe, um genau zu sein. Doch ich mag den griesgrämigen Typ, der ein paar Jahre älter ist als ich.
»Paul, sag mal, was ist hier los? Und wie zum Teufel kommst du überhaupt hier rein?«, fragt er ruhig. Offenbar versucht er, die Situation sachlich einzuschätzen. Scott verengt die Augen und die Tatsache, dass er den anderen Typ offenbar auch kennt, rettet mir wohl gerade den Arsch. Finster sieht er den Kerl an. »Cole!«, knurrt er.
»Scott«, ätzt dieser, ohne mich loszulassen.
»Lass mich los«, blaffe ich und versuche mich aus dem Klammergriff zu befreien. Ich muss unbedingt hier weg! Leider muss ich zugeben, dass dieser Cole verdammt kräftig ist. Doch zum Glück stößt er mich dann endlich von sich.
»Verzieh dich und lass dich bloß nicht mehr in ihrer Nähe sehen«, schnauzt er mich an.
Ich würde ihm gern noch sagen, dass er seine Fresse halten soll, aber auf Tyrell habe ich noch weniger Bock. Ich schnappe mir meine Kutte, die über dem Barhocker hängt, auf dem ich gesessen habe, und laufe los.
»Hey!«, ruft Scott und folgt mir. Doch ich verschwinde in der Menge, ohne dass er mich erwischt.
Keine Ahnung, wo Carly ist, aber ich muss hier weg, bevor ich eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekomme. Nachdem ich Scott in der Menschenmenge abgehängt habe, sehe ich mich kurz suchend um. Keine Spur von Carly. Verdammt. Gerade als ich weiterlaufen will, pralle ich mit einer Blondine zusammen.
»Immer langsam, Großer!«
Um ein Haar hätte ich mit meiner Unachtsamkeit dafür gesorgt, dass sie ihr Getränk über sich schüttet. Ihre perfekt gezupfte helle Augenbraue hebt sich mit einem Hauch von Arroganz und ihr Blick fährt an meinem Körper auf und ab. Noch immer trage ich nur ein schlichtes schwarzes Shirt, welches sich eng um meinen Körper spannt, und halte meine Jacke in der Hand. Keine Ahnung, was in ihr vorgeht, doch statt des überheblichen Blickes tritt auf einmal ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ihr dunkelblondes Haar drapiert sich perfekt frisiert um ihre nackte Schulter. Sie trägt ein enges weißes