Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Achim Kaul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748593393
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kannte ihn solange wie ich. Doch was heißt schon kennen?« Sie seufzte. »Ich weiß wie seine Stimme klang, welche Länder er bereist hatte, was er als kleiner Junge anstellte, um beachtet zu werden. Aber ich habe keine Ahnung davon, was in ihm vorging, was seine Pläne waren, seine Absichten. Es ist vielleicht seltsam, so etwas zu sagen, aber ich sehe ihn eher als Gast in meinem Leben. Ein Gast, der allerdings selten zu Besuch kam. Daher weiß ich nichts von seinen Freunden, wenn er welche hatte. Und noch weniger von seinen Feinden, wenn Sie danach fragen.« Zweifel rieb sich mit der linken Hand bedächtig über seine Glatze. Er richtete seine dunklen Augen auf sie.

      »Dennoch steht für Sie außer Frage, dass er ermordet wurde. Er war demnach jemand, den Sie für geeignet halten, ermordet zu werden?«

      »Sie haben eine merkwürdige Art, sich auszudrücken, Herr Zweifel, um nicht zu sagen, eine zynische Art. Finden Sie das angebracht?«

      »Dann lassen Sie es mich anders formulieren. Hatte Ihr Bruder Talent dazu, sich Feinde zu machen?« Sie warf einen scharfen Blick auf ihn.

      »Davon müssen wir konsequenterweise wohl ausgehen, oder nicht?«

      »Wissen Sie, womit er sich in der letzten Zeit beschäftigte?«

      »Er war Kunstsachverständiger. Soviel ich weiß schrieb er an einem Buch über verlorengegangene Gemälde. Er hat aber ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht.«

      »Hatten Sie den Eindruck, dass er mit diesem Buch ein Risiko einging?«

      »Sie meinen, ob er jemandem auf der Spur war?« Sie zögerte etwas. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«

      »Aber ausschließen können Sie es ebenso wenig?« Sie nickte nach abermaligem Zögern.

      »Hören Sie, Herr Kommissar, wir sind gleich am Hauptbahnhof. Ich habe dort eine eminent wichtige Verabredung.«

      »Sie verreisen?«

      »Das weiß ich noch nicht. Es könnte sich aus diesem Gespräch ergeben.«

      »Und mit wem treffen Sie sich?« Sie schaute ihn an und versuchte ein Lächeln, doch sie beantwortete seine Frage nicht. Wieder rieb er kreisförmig mit der linken Hand über seinen kahlen, gebräunten Schädel. Für dieses Mal würde er ihr Schweigen akzeptieren.

      »Ich möchte, dass Sie für uns in den nächsten Tagen erreichbar sind. Können Sie das einrichten?«

      »Nun, falls ich verreise, ist es nur für ein oder zwei Tage. Ich werde mich ja auch um die Beerdigung kümmern müssen, nicht wahr?« Zweifel nickte. Willoughby bog gerade in die Taxibucht vor dem Haupteingang des Bahnhofs ein und hielt. Zweifel reichte Marie-Theres Mindelburg die Hand und Willoughby öffnete ihm schweigend den Wagenschlag. Fürs Erste war alles gesagt.

      4. Kapitel

      »Nicht dahin!«, sagte Ferdinand Alba zu Melzick, die sich gerade etwas außer Atem auf einen kleinen Hocker setzen wollte, der aussah wie eine Kreuzung aus Buschtrommel und Klavierstuhl. »Der hält Sie nicht aus. Ist auch eher als Tisch gedacht. Nehmen Sie das dort.« Gleichgültig ließ sie sich auf einem schmalen Brett, das längs an der Wand angebracht war, nieder und schaute sich um. Das Baumhaus bestand aus zwei übereinander angebrachten Räumen. Der Untere, Größere, in dem sie sich befanden, war eine Art Wohnraum. Außer dem Brett, auf dem Melzick saß, gab es eine große Anzahl von Regalbrettern, die mit unzähligen vergilbten und zerfledderten Taschenbüchern gefüllt waren. In der Mitte stand der Hocker, auf den sie sich beinahe gesetzt hatte. In einer Ecke war ein Sitzsack platziert, wie sie in den siebziger Jahren beliebt gewesen waren, in dem für damals typischen Orange. Auf diesen ließ Alba sich nun fallen. Auch ihn hatte der Aufstieg angestrengt. In zwei Wänden war je ein quadratisches Fenster ausgespart. Auf dem Fußboden lag ein Sisalteppich. Rund um die niedrige Eingangstür waren mit Reißzwecken alte Schwarzweißfotos, zum Teil noch mit weiß gezacktem Rand, befestigt. Über die Strickleiter gelangte man auf einen schmalen Sims, der sich rund um die vier Wände hinzog. An einer Außenwand waren Vierkanthölzer als Stufen montiert, über die man den oberen Raum erreichte. Was Melzick nicht sehen konnte: Dort war ein Atelier eingerichtet. Fenster in allen Wänden sowie eine gläserne Lichtluke im Dach. Ein alter Rattantisch, übersät mit rostigen Konservendosen, in denen sich hunderte von Pinseln mit farbverschmierten Griffen von ihrer Arbeit ausruhten. An den Wänden wenig Leinwand. Der Boden »Jackson-Pollock«-mäßig gesprenkelt. Terpentin- und Ölfarbenduft in der staubigen, grünschimmernden Luft. Mitten im Raum eine alte Staffelei, die schon viel ertragen hatte, und die aktuell einer unbefleckten Leinwand Halt und Sicherheit gab.

      »Was sind das für Fotos?«, fragte Melzick.

      »Die hab’ ich von meinem Großvater«. Sie stand auf und ging näher heran.

      »Wer ist die Frau?« Sie hatte festgestellt, dass praktisch auf jedem Bild dieselbe Person zu sehen war.

      »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Zumindest habe ich keinen gefunden, der es mir sagen könnte.« Sie betrachtete die Bilder genauer. Sie mussten über einen längeren Zeitraum hinweg aufgenommen worden sein.

      »Ihr Großvater muss sich sehr für sie interessiert haben. Warum haben Sie die hier aufgehängt?«

      »Keine Ahnung«, sagte er. »Ungewöhnlich helle Augen«, dachte er bei sich. »Blasses Coelinblau«.

      »Die müssen ziemlich alt sein«, sagte sie.

      »Keine Ahnung«, sagte er. »Vielleicht noch ein Spritzer Indigo, aber ganz wenig«, dachte er, »für die Schatten in der Iris«. Er bemerkte, wie sie ihn anstarrte und versuchte, sich auf eine vernünftige Antwort zu konzentrieren.

      »Fünfziger Jahre schätze ich. Ist aber nicht wichtig. Ich meine – mir ist es egal. Das Licht – ich finde das Licht auf alten Schwarzweißfotos sehr schön. Nicht auf allen natürlich. Eigentlich sind es nur wenige. Man findet es selten. Auf denen da ist es gut zu erkennen. Die alten Momente leuchten auf, finde ich. Man kommt ganz leicht hinein in die Bilder. Ich bin da gerne. Deswegen …, sicher habe ich sie aus diesem Grund da aufgehängt. Ich …, ach was rede ich denn da wieder für einen sentimentalen Schwachsinn.« Er warf beide Hände in die Luft. Melzick hatte sich wieder gesetzt.

      »Wie haben Sie den Professor kennen gelernt?« Er schaute nervös an die Decke.

      »Wollen Sie eigentlich etwas trinken? Ich habe Ihnen ja noch gar nichts angeboten.«

      »Was haben Sie denn hier draußen?«, fragte sie skeptisch. Statt einer Antwort schwang er sich aus seinem bequemen Sitzmöbel in die Höhe, verschwand durch die schmale Öffnung des Eingangs und kletterte an der Außenwand auf den Holzstufen nach oben in sein Atelier. Sie war drauf und dran, ihm zu folgen, überlegte es sich aber anders und blieb sitzen. Von draußen klang heftiges Blätterrauschen herein, ein Wind war aufgekommen. Sie fragte sich, ob er hier oben auch übernachtete. Und wie es sich wohl anfühlen mochte, nachts bei Sturm und Regen, fünfzehn Meter über dem Waldboden in einer schwankenden Hütte zu schlafen. Der Gedanke begann ihr zu gefallen. Alba kam nach einigen Minuten zurück mit einer dampfenden Thermoskanne Kaffee und zwei blauen Keramikbechern.

      »Solarzellen?«, fragte sie. Er nickte.

      »Für die Kaffeemaschine reicht es aus«, sagte er und schenkte ein.

      »Ich sehe keine Lampen.«

      »Natürlich nicht. Elektrisches Licht im Wald – das geht ja gar nicht. Dafür hab’ ich Kerzen«, sagte er und streckte ihr einen vollen Becher entgegen. Dann setzte er sich mit seinem Kaffee wieder in seine Ecke.

      »Verstehe«. Sie versuchte einen Schluck und verbrannte sich die Zunge. »Also – wie haben Sie Professor Mindelburg kennen gelernt?« Er nippte vorsichtig an seiner Tasse und ließ sich Zeit mit der Antwort. Sie zog ebenso genervt wie auffordernd die Augenbrauen in die Höhe. Ihre Zungenspitze fühlte sich ganz rau an und brannte.

      »Er hat mir geholfen.«

      »Wobei?«

      »Er hat ein paar meiner Bilder gekauft. Außerdem kennt er die richtigen Leute in dem Metier.