"Und zu guter Letzt: Lucas."
Lucas schüttelt meine Hand. "Hey, Rave. Wir haben gehört, dass dich nachts Bilder von Boybands verfolgen, stimmt das?", fragt er ernst.
Ich sehe ihn fragend an. "Ähm ..."
"War doch nur ein Spaß! Aby hat uns nur erzählt, wie du geguckt hast, als die ganzen Bilder von den Beatles in eurem Zimmer hingen. Es soll ein Meisterwerk von einem Drama gewesen sein." Er lacht laut. Seine Lache klingt wie die einer Hexe. Um Gottes Willen.
"Für mich war es eher eine Komödie", stimmt jetzt Aby mit ein.
"Für mich war es purer Horror!", lache ich mit und fühle mich gleich ein wenig sicherer in dieser Konversation.
Lachen ist immerhin ein gutes Zeichen.
Ein älterer Mann bittet alle Anwesenden durch ein Mikrofon sich zu setzen, damit die Autoren ihre Geschichten vorlesen können. Ich bin froh, dass wir uns in die letzte Reihe setzen, obwohl rechts neben mir noch ein Platz frei ist und ich Angst haben muss, dass sich dort jemand Fremdes hinsetzen würde und mich vollsülzt, während ich die Geschichte hören möchte.
Ich bin froh, dass dort immer noch niemand sitzt, als der erste Autor sein Buch vorstellt.
Er beginnt mit dem Prolog. Es scheint ein Drama zu sein.
"Seine Tochter leidet an Krebs, stirbt und er bringt sich letzten Endes um." Jemand scheint sich doch auf den freien Platz neben mir gesetzt zu haben.
Ich drehe mich nach rechts und ... Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein.
"Das ist hoffentlich ein schlechter Scherz", sage ich mehr zu mir selbst und verdrehe die Augen.
Mister Neunmalklug.
"Nein, es ist eine Tatsache. Er hat das komplette Konzept des Buches von Morris Hendler geklaut. Das bemerkt eigentlich jeder Vollidiot." Er macht sich immer unsympathischer und soll einfach die Klappe halten.
"Könntest du bitte still sein? Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, wenn ständig dumme Worte aus deinem Mund kommen.“ Ich sehe ihn nicht mal an.
Aiden schnaubt, ist dann aber tatsächlich still. Tja, leg dich bloß nicht mir an.
Ich kann ihn bis hier hin riechen. Moschus und Jasmin. Ich liebe Jasmin ... Stop, konzentrier dich auf die Lesung. Stell dir einfach vor, er wäre gar nicht hier. Leider gar nicht so einfach. Sein betörender Duft vernebelt meine Sinne total und ich höre der Geschichte nur noch halbherzig zu.
Aiden hatte Recht. Die Tochter des Protagonisten litt an Krebs und der Vater brachte sich am Ende um.
Nachdem noch zwei weitere Autoren ihre Bücher vorgelesen haben war ich erleichtert, dass Aiden keine Kommentare mehr abgegeben hat, sondern einfach nur noch schweigend neben mir saß und seine Düfte verteilt hat.
Ich wende mich an Aby, die links neben mir sitzt. "Was machen wir jetzt?"
"Wir könnten -" Aby stoppt und sieht hinter mich. "Hey, Aiden, ich wusste gar nicht, dass du auch kommst."
Ich verdrehe die Augen und sehe nicht mal hinter mich. Wahrscheinlich grinst er wieder blöd mit seinem Grübchenlächeln.
"Hab mich spontan dazu entschieden mal wieder vorbeizuschauen. Auch, wenn ich heute nichts vorlese", höre ich ihn sagen.
"Aby", quengle ich ungeduldig. Ich will keine Sekunde mehr neben diesem arroganten, gut riechenden Grübchenlächeln sitzen. Er bringt mich durcheinander und macht mich nur wütend, das kann ich momentan nicht gebrauchen.
Aby sieht jetzt wieder mich an. "Ach so, ja, wir könnten zu Clavers in die Bar gehen. Die anderen Jungs wollen auch mit." Sie sieht wieder grinsend zu Aiden rüber.
Nein, tu es bitte nicht. Bitte, bitte nicht. Lass ihn einfach hier und lass uns gehen.
„Aiden, komm doch mit, wenn du heute Abend nichts mehr vorhast."
Verflucht. Natürlich fragt sie, ob er mitkommt. Wie sollte es auch anders kommen? Innerlich verdamme ich sie dafür. Ich hatte ihr doch heute Mittag erzählt, dass ich ihn nicht ausstehen kann.
"Gerne." Ich höre, dass Aiden aufsteht.
Ich koche und funkle Aby wütend an.
Sie schaut mich nur entschuldigend an, als würde das jetzt meinen Abend retten.
Also machen wir uns zu sechst auf den Weg zu Clavers, um - wie Aby es ausgedrückt hat - uns besser kennenzulernen. Die Lust ist mir durch Aiden stetig vergangen.
Wir betreten eine kleine typische Bar mit Billiardtisch und Frauen mit aufreizenden Kleidern die irgendwelche betrunkenen Kerle anschmachten. Es riecht hier nach Alkohol und Rauch und man hört durch versteckte Lautstärker das Lied Come As You Are von Nirvana. Wenigstens läuft keine Technomusik. Das hätte mir jetzt noch den Rest gegeben.
Wir setzen uns an einen Tisch ganz hinten in der Ecke. Aby sitzt schräg von mir gegenüber, neben Leon. Lucas und Noah sitzen neben mir und Aiden sitzt mir genau gegenüber. Was auch sonst.
Eine männliche Bedienung kommt an unseren Tisch. "Hi, ich bin Colder, was darf ich euch denn bringen?"
Lucas, Leon, Noah und Aby bestellen ein Bier.
"Einen On The Rocks, bitte", sagen Aiden und ich gleichzeitig.
Wir schauen uns verwirrt an. Ich zucke nur mit den Schultern, als wäre das ein kleiner Zufall gewesen. Dabei kenne ich niemanden, der auch gerne On The Rocks trinkt.
"Also Ravely." Noah beginnt als erster ein Gespräch. "Erzähl mal was von dir! Wir kennen uns ja schon alle gegenseitig."
"Nenn mich bitte Rave. Aby hat sich so viel Mühe mit dem Spitznamen gemacht, also sollte er auch benutzt werden." Wow, das habe ich selbstbewusster gesagt, als ich dachte.
"Genau!" Aby lacht.
"Also ich bin Rave, achtzehn Jahre alt, komme aus den tiefsten Tiefen Englands und bin jetzt auf der ZOS um englische Literatur zu studieren", erzähle ich. Um ehrlich zu sein, schäme ich mich ein wenig, dass ich nicht mehr erzählen kann. Ich wette alle von ihnen hier, könnten schon einen Bestseller über ihr Leben schreiben.
Ich bin ein absoluter Langweiler.
"Das war‘s?", fragt Leon und schaut mich erstaunt an.
"Ja, ich denke schon."
"Hast du einen Freund?", fragt Lucas mich ganz direkt und ich schnappe erschrocken nach Luft. Das kam unerwartet.
Die Bedienung kommt gerade wieder an den Tisch und bringt unsere Getränke. Ich lächle dem Kellner zu und bedanke mich stumm dafür, dass er mir geholfen hat dieser Frage aus dem Weg zu gehen.
Doch nichts da. "Also?" Lucas lässt nicht locker.
Mist. Alle, bis auf Aiden, warten gespannt auf meine Antwort.
"Nein, habe ich nicht." Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk, um nicht mehr dazu sagen zu müssen.
"Wie kommt das denn? Du bist doch hübsch." Noah lächelt.
Ich spüre wie mir leicht die Röte in den Kopf schießt. Das war mal offen. "Danke, aber Beziehungen sind einfach nichts für mich. Ich bin achtzehn Jahre alt. Ich hab noch mein ganzes Leben lang Zeit so etwas wie Beziehungen zu führen." Ich spüre klar Aidens Blick auf mir.
"Endlich mal eine Frau, die weiß, was sie will", lacht Leon.
"Ey, ich weiß auch was ich will!", wirft Aby gespielt beleidigt ein und verschränkt die Arme.
"Nein, weißt du nicht."
Auch Noah stimmt zu. "Du hast jede Woche eine neue große Liebe. Also ich bitte dich."
"Jahaa, weil es immer der Richtige sein kann!"
"Ich denke, man weiß von der