"Darf ich dein Buch lesen?", frage ich.
"Na, klar."
"Wie heißt es?" Mir ist die Freude ins Gesicht geschrieben. Ich bin froh, wenn ich in Aidens Seele schauen darf. Denn bei Schriftstellern ist es so, dass sich in ihren Büchern auch ihre Seele spiegelt.
Doch Aiden schüttelt nur schelmisch grinsend den Kopf.
"Du willst es mir nicht sagen?", sage ich empört.
"Erfasst."
"Brauchst du auch nicht. Ich gebe einfach deinen Namen bei Google ein."
"Da wirst du nichts finden. Ich habe mein Buch unter einem falschen Namen veröffentlicht."
Wie bitte? "Wieso?"
"Weil Bücher, die hier von diesem College veröffentlicht werden, international veröffentlicht werden und ich möchte nicht, dass die Leute mich sehen."
"Sondern nur dein Buch", vervollständige ich seinen Satz.
Er nickt. Wow, dass er das Ansehen der Leute nicht genießen möchte ist wirklich das selbstloseste, das ich je mitbekommen habe.
Aiden und ich verbringen noch eine Stunde im Restaurant und gehen um halb zwei morgens zurück zum Campus.
Gähnend lehne ich wieder meinen Kopf an die Fensterscheibe und schaue den Lichtern und den Straßen beim Vorbeiziehen zu. Das leichte Wackeln des Autos bringt mich immer mehr zum Ermüden.
"Was hat es eigentlich mit deinem August auf sich?", fragt Aiden nach Momenten der Stille.
Oh nein, er weiß es noch. Sofort schäme ich mich wieder und halte mir die Hände vors Gesicht. "Ich habe gehofft, du hast es vergessen", murmle ich verlegen.
"Habe ich nicht." Er lacht.
"Das ist wirklich peinlich. Muss das sein?"
"Definitiv, du hast mich wirklich neugierig gemacht."
"Na gut". Ich seufze ergeben und setze mich richtig auf, blicke aber immer noch auf die Straße. Schon wieder wundere ich mich darüber, wie leicht es mir doch fällt, mit Aiden so offen zu reden. "August ist für mich irgendwie ... wie soll ich das sagen? Perfekt? Als wir unendlich waren habe ich schon etliche Male gelesen, einfach nur, weil der Autor es geschafft hat, eine Figur zu erschaffen, die einfach alles hat."
"Zum Beispiel?"
"Diesen sarkastischen Humor, Mut, Intelligenz und ..." Ich werde zum Ende immer leiser. Mir ist das wirklich unangenehm.
Aiden sieht mich mit erhobener Braue von der Seite an. "Und was?"
Ich zögere. "Er weiß, wie es funktioniert. Liebe. August war der erste, der mir gezeigt hat, dass Liebe ... existieren kann und wie er in dem Buch um seine Frau gekämpft hat, wie er jede Sekunde, jeden Tag, seine große Liebe vermisst hat und ..." Ich reibe mir mit der Hand über die Stirn. "Aiden, das ist wirklich peinlich."
"Raven, das braucht dir nicht peinlich zu sein. Ich bin es ja schließlich nur", lächelt er mir aufmunternd zu. „Und glaubst du, du findest deinen perfekten August?"
"Ich weiß es nicht, ich hoffe es." Ich hebe die Knie an meinen Körper und kuschle mich gähnend in den Sitz.
"Schlaf ruhig, bis wir am Campus sind. Immerhin sind es noch knapp zwanzig Minuten", sagt Aiden leise.
Ich nicke und schließe die Augen.
Das Stoppen des Autos weckt mich und ich öffne verschlafen meine Augen. "Wir sind da", flüstere ich, nachdem ich den Campus erblickt habe.
"Ja", gähnt Aiden. "Dir beim Schnarchen zuzuhören macht wirklich müde."
Ich hab geschnarcht? Oh Gott. Ich reiße meine Augen auf und starre ihn entsetzt an. "Ich hab geschnarcht?"
Aiden wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut. "Du solltest aufhören, alles so ernst zu nehmen, Raven."
"Du hast echt einen kranken Humor." Augenrollend öffne ich die Autotür und steige aus. Mein Grinsen kann ich trotzdem nicht verbergen. Ich steige aus und beuge mich nochmal ins Auto. "Danke für dein Fahrdienst."
"Danke für diese durchaus interessante Nacht mit interessanten Gesprächen", grinst Aiden und startet den Motor.
Ich schließe die Tür und warte noch auf dem Parkplatz bis Aiden weggefahren ist. Er winkt mir zu und biegt dann um die Kreuzung. Ich atme einmal tief und lasse auf dem Weg in mein Zimmer die letzten Stunden durch meinen Kopf gehen.
Eigentlich wollte ich ja nur zu einer einfachen Lesung und daraus wurde ... ich glaube, die beste Nacht meines Lebens? Ich fange definitiv an, Aiden zu mögen. Er bringt mich in jeder Sekunde zum Lächeln, egal was er macht. Er hat ständig einen Spruch auf den Lippen und sieht nie etwas zu eng.
Aber gleichzeitig ist er auch so solidarisch. Aiden gibt mir das Gefühl, dass ich mehr bin, als ich von mir denke und das fühlt sich gut. Ja, in seiner Gegenwart fühle ich mich gut. Vielleicht brauche ich keine Partys, Drogen oder Alkohol, um in meinem Leben Spaß zu haben. Ich denke, das einzige, das ich brauche, ist so etwas. Freundschaften.
Und in dieser Nacht träume ich von grünen Augen und vorbeiziehenden Lichtern.
Ich werde von meinem Handyklingelton geweckt und stöhne genervt auf. Mit geschlossenen Augen greife ich auf meinen Nachttisch und nehme den Anruf an, ohne meine Augen zu öffnen. "Ja?", krächze ich ins Telefon.
"Ravely? Hast du noch geschlafen?", fragt mich die Person an der anderen Leitung, bis sich nach kurzem Überlegen herausstellt, dass es mein Vater ist.
"Ganz offensichtlich."
"Tut mir leid, Mäuschen." Er lacht. "Sieht dir gar nicht ähnlich, bis halb zwei zu schlafen."
Sofort reiße ich meine Augen auf und schaue auf die Uhr auf meinem Handy. 1.34 PM. Tatsächlich, ich habe den halben Sonntag geschlafen. "O, ähm, ja", stottere ich. "Ich hab letzte Nacht einfach zu lange geschrieben." Mein Dad muss nicht wissen, dass ich letzte Nacht so lange mit Aiden unterwegs war. Ich hab keine Ahnung, wie er reagieren würde.
Mein Dad seufzt in die Leitung. "Ravely ..."
"Ja?"
"Ich finde es ja gut, dass du viel lernst und schreibst, aber ... meinst du nicht, dass du - wenn du schon mal auf einem College bist - eventuell ein paar neue Leute kennenlernen möchtest?"
Ich runzle verwirrt die Stirn. Selbst mein Dad sagt, dass ich Freundschaften knüpfen sollte. Kurz schweige ich, entschließe mich aber, ihm zu Liebe die Wahrheit zu sagen. "Um ehrlich zu sein, war ich letzte Nacht mit jemandem aus."
"Wirklich? Das freut mich wirklich, Schatz. Ist es deine Zimmerkameradin?"
"Ähm, nein, eigentlich war ich mit einem Jungen aus meinem Kurs unterwegs. Aiden."
"O." Er ist unverkennbar überrascht. "Na ja, du bist alt genug und ich hoffe du weißt das ganze ... mit der Verhü -"
"Oh Gott, Dad, ja!", unterbreche ich ihn. Darüber will ich mit meinem Vater wirklich nicht reden. "Es ist auch eher nur eine Freundschaft." Ich betone das Wort Freundschaft extra, damit auch keine Missverständnisse aufkommen.
"Gott sei Dank! Du fehlst mir hier ganz schön. Ohne dich ist das Haus so leer."
"Ich vermisse dich auch, Dad. Aber weißt du, wie du nicht mehr so einsam sein würdest?"
Dad stöhnt genervt ins Telefon, "Schatz, bitte nicht scho -"
"Richtig, wenn du dir eine Frau suchst. Du bist doch noch ein attraktiver Mann. Wenn du einmal alt und runzlig bist, werden die Frauen dir nicht mehr hinterherrennen." Ich grinse breit.
"Ravel - "
"Ich meine, allein schon unsere Nachbarin. Die schmachtet dich doch schon seit Jahren an."
"Ravely!",