"Schöner Name. Wusstest du, dass Rave Raabe heißt?"
Ich verdrehe gespielt die Augen. "Ja, habe ich tatsächlich schon öfter gehört."
Nach ungefähr fünfzehn Minuten geht die Tür der Bar ein weiteres Mal auf und Aiden betritt den Raum. Er trägt heute mal keine schwarze Jeans, sondern eine helle, diese hat aber auch Löcher an den Knien. Sie steht ihm mindestens genauso gut, wie die andere. So sieht man seine durchtrainierten Beine. Dazu trägt er einen schwarzen Hoodie. Selbst mit solch einfachen Klamotten sieht er wieder unglaublich gut aus. Als er mich erblickt, zeigt er mir wieder sein Grübchenlächeln und seine weißen Zähne. Mir ist das definitiv unangenehm, denn mittlerweile bin ich ihm echt was schuldig.
"Na, du Nomade", grüßt er mich und setzt sich auf den Hocker neben mir. Jasmin, Moschus und Aiden.
Ich sehe, wie die vier Gestalten sich zu ihm umdrehen und sich etwas zuflüstern. Ich verdrehe wieder die Augen. "Jaja, hau bloß jegliche Sprüche raus, die du dir auf der Fahrt hier her ausgedacht hast."
"Okay, also.“ Er räuspert sich kurz und will gerade zum Sprechen ansetzen, wird aber unterbrochen.
"Bender!", ruft Andy vom anderen Ende der Bar, wo er gerade Gläser abspült. Er trocknet sich die Hände ab und kommt auf uns zu.
Aiden dreht sich zu ihm um und hebt den Arm. "Hey, Alter. Du arbeitest ja immer noch in diesem Puff." Er deutet unauffällig auf die Frauen hinter uns.
Die kennen sich? Kennt Aiden eigentlich jeden? Ich beobachte stirnrunzelnd die Szene vor mir.
"Irgendwie muss ich ja um die Runden kommen. Und du bist heute Nacht der Fahrdienst für Ravely?" Andy nickt zu mir.
Wow, ich scheine nicht mehr anwesend zu sein.
Aiden sieht verwirrt zu mir und wieder zu Andy. "Ihr kennt euch?"
Andy antwortet: "Ja, sie saß so verzweifelt hier am Tresen und da haben wir uns angefangen uns zu unterhalten."
"Hallo? Ich sitze hier und kann euch hören", melde ich mich jetzt auch mal zu Wort.
"Na, wenn das so ist, werden wir jetzt fahren." Aiden steht auf und nickt Andy noch zum Abschied zu.
Ich krame noch zwei Geldstücke aus meinem Geldbeutel und reiche es Andy.
"Lass, geht aufs Haus", zwinkert er mir zu. "Mach's gut Ravely. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder."
Ich lächle ihm noch zu, lege heimlich doch noch Geldstücke hin und folge Aiden aus dem Pub.
"Mein Wagen steht hier drüben", meint Aiden und zeigt auf einen Parkplatz ein wenig weiter weg.
Ich nicke und folge ihm reumütig. Draußen ist die Temperatur auf gefühlte -10 Grad gesunken. Als wir endlich in seinem Auto sitzen, kommen wieder Erinnerungen von gestern Nacht hoch. Wie er mir an den Po gefasst hat ... Sofort steigt mir die Röte ins Gesicht und ich schaue aus dem Fenster.
"Also jetzt erzähl mal." Aiden startet den Motor und sieht mich an.
Ich sehe ihn fragend an und versuche ihm nicht zu zeigen, wo meine Gedanken gerade sind.
"Wie du hier her gekommen bist, meine ich."
Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe und sage: "Ich war bei einer Lesung hier in der Nähe. Musste dann aber schnell feststellen, dass mein Akku fast leer war, ich dadurch mein Navi nicht benutzen konnte und ich mich hier außerdem null auskenne. Dann war da halt diese Bar." Ich rubble mir mit meinen Händen über die Arme, um mich aufzuwärmen.
Als Aiden das bemerkt, dreht er die Heizung voll auf. "Zum Glück hab ich dir meine Handynummer heute Morgen noch - trotz deiner Sturheit - aufgeschrieben. Sonst wäre der Abend wohl nicht mehr so rosig ausgegangen."
Ich setze mich richtig hin und sehe ihn an. "Wieso machst du das, Aiden?"
"Was meinst du?" Sein Blick ist stirnrunzelnd auf die Straße gerichtet.
"Ich meine das hier." Ich mache eine allumfassende Geste. "Ich kann mich wirklich an keinen Moment erinnern, in dem ich auch nur ansatzweise nett zu dir war - außer als ich betrunken war - und trotzdem bist du ständig so freundlich zu mir. Ich meine, diese Strecke ist ja wohl mal kein fünf Minuten Ding. Wieso also machst du das immer wieder?"
Aiden schweigt, er scheint zu überlegen. "Das ist eine extrem gute Frage", sagt er leicht überfordert. "Und ich kann sie dir ernsthaft nicht beantworten. Ich meine, du bist schon manchmal extrem giftig, außer natürlich du bist betrunken." Er lacht.
Irgendwie verletzt mich das jetzt mehr, als es sollte. Ich blicke wieder auf die Straße. "O …" Bin ich wirklich so schlimm?
Er atmet einmal tief ein und sieht mich kurz an. "So meinte ich das nicht. Ich mag das." Er mag das? Wer zur Hölle mag so etwas schon?
"Offensichtlich", lache ich bitter auf.
"Guck, das meine ich. Du gehst jedem Kompliment aus dem Weg, kannst aber auch gleichzeitig nicht das Gegenteil hören. Wieso also tust du das?"
Ich blinzle. Das ist mir vorher noch nie aufgefallen und mir hat nie jemand Ähnliches gesagt. "Ich, ähm, ich weiß es nicht ... um ehrlich zu sein."
"Ich glaube, du kennst dich selbst kaum."
"Wie meinst du das?" Ich kann nicht glauben, dass ich mit Aiden gerade wirklich über so etwas rede.
"Ich wette, du kannst mir nicht vier Charaktereigenschaften von dir aufzählen", fordert er mich heraus und sieht mich von der Seite an.
"Kann ich sehr wohl", sage ich und verschränke meine Arme.
"Dann bitte." Er gibt mir ein Zeichen, dass ich anfangen soll.
Sofort bin ich überfordert. "Ähm, ich schreibe gerne. Das bedeutet, ich bin kreativ ... oder?"
"Du bist dir nicht mal sicher." Er lacht. "Und das schon bei der ersten Eigenschaft."
"Sag du mir doch vier Charaktereigenschaften von dir", stichle ich ihn an.
"Glaub mir, ich kenne mich gut genug. Bist du eigentlich jetzt bereit, dich mit mir anzufreunden? Ich meine, ich bin hier wirklich einen weiten Weg gefahren und-"
"Ja, schon gut, Aiden." Ich verdrehe gespielt die Augen.
Er grinst. "Sehr schön. Ich nenne dich jetzt übrigens Raven. Nicht Ravely oder Rave."
"Wieso das?"
"Ich finde Raven passt viel besser zu dir und außerdem nennt dich niemand so. Das unterscheidet mich von den anderen."
"Okay." Ich kann mein Grinsen nicht mehr zurückhalten. Ihn unterscheidet so viel von den anderen.
"Lust, was essen zu gehen?", fragt er mich.
"Was? Wir haben mitten in der Nacht."
"Hier in der Nähe gibt es ein Nachtrestaurant. Das hat nur nachts auf."
"Ich weiß nicht, ich-‘‘
"Raven, keine Widerrede. Wir sind jetzt Freunde, da solltest du aufhören, so spießig zu sein. Ich werde auf jeden Fall zu diesem Restaurant fahren, ob du mitkommst oder nicht, ist dann deine Entscheidung."
Ich stöhne einmal auf und lehne mich wieder gegen das Fenster. "Arsch."
Ich sehe Aiden im Augenwinkel breit grinsen.
Zwanzig Minuten später sitzen wir auch schon in dem Nachtrestaurant. Aiden ist einfach ausgestiegen und ist ins Restaurant gegangen, ohne etwas zu sagen. Er hat mich nur - wie immer - doof angegrinst. Da blieb mir nichts anderes übrig als ihm zu folgen.
"Es ist wirklich bescheuert so spät nachts noch etwas zu essen", bemerke ich, während Aiden und ich die Speisekarten ansehen.
"Scheint aber hier niemanden zu stören", meint Aiden und sieht zu den anderen Gästen.
Ich sehe mich um und merke, dass er Recht hat. Hier ist wirklich