Vom Wahnsinn besessen näherte der Herrscher sich dem schwarzen Kristall, dem Portal. Die Stimme aus dem Flüsternden Buch leitete ihn erbarmungslos: »Geh! Hol dir, was dir zusteht. Du hast es verdient. Die Belohnung wartet auf der anderen Seite des Lichts auf dich. Die Macht heißt dich willkommen«, sagte es.
Antilius machte keine Anstalten, Koros aufzuhalten. Gebannt schaute er in das dunkle Licht.
Das Portal, das ein Zugang in eine fremde Welt war, paralysierte jeden, der es ansah.
Mit gleichmäßigen Schritten näherte sich der Herrscher seinem Ziel. Unmittelbar vor dem Kristall machte er Halt und streckte eine Hand nach ihm aus. Sie versank in der undurchsichtigen Schwärze. Koros stöhnte auf. Tränen rannen ihm übers Gesicht. Seine Lippen zitterten.
Dann machte er den letzten Schritt und wurde vom Kristall verschluckt.
Das schwarze Licht pulsierte weiter. Immer weiter.
Alle, Antilius, Haif, Pais, Gilbert, Lois, Wrax, die Largonen und die Armee von Koros und die der Dreizehn Häuser der Ahnenländer starrten in das schwarze Pulsieren. Jeder, auch Antilius, obwohl er es besser wusste, malte sich in diesem Augenblick den Untergang der Welt aus, so wie jeder für sich ihn sich vorstellte.
Noch war das Pulsieren schnell. Dann langsamer. Immer langsamer.
Und dann erlosch das schwarze Licht. Der Kristall schwebte lichtlos weiter im Zentrum des Würfels und drehte sich um seine zwei Achsen.
Die Nacht war hereingebrochen, sodass die plötzlich versiegende Lichtquelle Finsternis hinterließ.
Antilius hoffte, dass sich seine Augen rasch daran gewöhnen würden. So warteten er und seine Freunde und alle anderen still auf das Sichtbare.
Doch Antilius merkte schnell, dass diese Finsternis nicht natürlichen Ursprungs war. Diese Dunkelheit war schwärzer als jede Nacht ohne Sterne und ohne Mondlicht es je hätte sein können. Es war die Finsternis des Transzendenten.
»Kannst du etwas erkennen?«, flüsterte Gilbert, der jetzt neben Antilius stand.
»Bis jetzt noch nicht.«
Keiner war im Stande, durch die Finsternis zu sehen. Nicht einmal die übrig gebliebenen Tabis, die Dunkelheit von Ihrer Heimat gewöhnt waren.
Finsternis.
Und Schweigen.
Kein Pulsieren. Kein Geräusch.
»Was hat das zu bedeuten, Meister?«
Antilius wusste, was vor sich ging. Er konnte das Unhörbare hören und das Unsichtbare sehen.
»Der Transzendente kehrt zurück«, sagte er.
Der Bruchteil
Die Stille und die Dunkelheit dauerten an.
Wrax war kurz davor, in Panik zu verfallen.
Jetzt wird er sich an dir rächen! Jetzt bist du dran! Lebewohl, Wrax. War eine schöne Zeit mit dir.
Heute Nacht hätte Vollmond herrschen müssen. Der Transzendente ließ ihn nicht scheinen, obwohl die Wolken und der Nebel verschwunden waren
Gilbert hörte im Dunkeln, dass sich Antilius von ihm entfernte.
»Wo willst du hin?«
»Vertraue mir.«
Antilius wusste ganz genau, dass Koros hinter dieser Täuschung steckte. Er musste versuchen, ihn zu provozieren, um ihn aus seinem Versteck in der Finsternis zu locken.
»Wie beschämend! Du verhältst dich wie ein kleines Kind«, sprach Antilius in die Dunkelheit. »Hast du solche Angst vor mir, dass du dich verkriechen musst, wie eine Ratte in ihrem Loch?«
»Du irrst dich«, sagte Koros. Seine Stimme war überall. Ob transzendent oder nicht. Koros war noch immer leicht zu provozieren.
»Ich muss mich nicht in der Dunkelheit verstecken. Ich bin die Dunkelheit!«
»Tut mir leid, aber ich bin nicht beeindruckt«, erwiderte Antilius.
»Ich vergebe dir deine Respektlosigkeit. Dein beschränkter Verstand kann die Macht, die ich nun besitze, nicht ansatzweise erfassen. Aber ich will gerecht zu dir sein.« Daraufhin erhellte sich der Himmel in einem triefenden Rot.
Blitze zuckten aus fetten, blutigen Wolken.
Das ist wie in einem Albtraum! Der Himmel brennt und blutet, dachte Gilbert.
»So ist es schon viel besser. Gefällt es dir?«, spottete die Stimme des Transzendenten.
»Ich kann dich immer noch nicht sehen, Feigling!«, sagte Antilius laut, aber ohne brüllen zu müssen.
»Willst du mich verärgern? Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was geschehen wird, wenn ich ärgerlich werde?«
»Nein. Schon vergessen? Mein Verstand ist zu begrenzt«, spottete Antilius kämpferisch zurück.
»Ich kann dich verstehen, Antilius. Die Gewissheit, verloren zu haben, kann einen Menschen sehr belasten. Wahrscheinlich bist du deshalb so aggressiv.«
»Zeige dich endlich, anstatt mich zu langweilen!«
Ein staubiger Luftwirbel bildete sich hoch über seinem Kopf. Der Wirbel sank zu Boden und aus dem Staub formte sich eine menschliche Gestalt. Diese Gestalt glich nur entfernt dem Herrscher. Sie war von einer grünlichen Aura umgeben. Das Gesicht war fürchterlich verschwommen.
»Ich habe versucht, mein altes Aussehen nachzubilden, damit es für dich leichter ist«, sagte Koros.
»Ich dachte, du bist jetzt allmächtig. Aber du sprichst von versucht. Du bist doch jetzt der Transzendente. Nichts ist für dich mehr unmöglich«, sagte Antilius ganz sachlich. Und genau diese Sachlichkeit hasste Koros.
»Wie schlau du doch bist! Die Verschmelzung ist noch im Gange. Ich kann die ganze Macht der Transzendenz nicht auf einmal in mich aufnehmen. Habe Geduld, mein Freund. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Prozess abgeschlossen ist«, sagte die verzerrte Gestalt von Koros.
Antilius sah aus dem Augenwinkel, wie sich ein Largone von hinten anschlich. Er wollte der bizarren Gestalt mit seiner primitiven Keule eins überbraten.
Antilius wollte den Riesen noch warnen, doch da war es schon zu spät. Koros hatte den Anschleichenden längst bemerkt.
Der schimmernde Kopf des Herrschers guckte in den blutroten Himmel und kurz darauf preschte ein gewaltiger roter Blitz auf den Largonen herab. Die Energieladung durchfuhr dessen Körper und entlud sich in den Boden. In seiner Angriffshaltung erstarrt, fiel der schwelende Riese nach hinten um. Es war Rechtshorn.
Er würde nie wieder aufstehen. Sein Tod löste bei den anderen Largonen heftiges Rumoren aus, doch keiner traute sich, etwas zu unternehmen. Antilius war froh darüber, sonst hätten noch mehr sterben müssen.
»Bereitet dir das Freude?«, fragte er verbittert.
Die Gestalt überlegte. »Es ist noch alles so neu. Verzeih mir, aber es fällt mir noch schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen und deutlich zu artikulieren.«
Antilius wurde klar, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt war, seinen Plan auszuführen. Es war höchste Zeit. »Tja, dann solltest du dich beeilen, deine Gefühle zu artikulieren, damit du deine grenzenlose Freude kundtun kannst, wenn die Späher dich aussaugen werden«, sagte er kühl.
Die Aura der Gestalt fluktuierte plötzlich. »Wovon sprichst du?«
»Lies meine Gedanken! Da steht die Wahrheit geschrieben.«
»Du willst eine List anwenden. O, ich kenne dich zu gut, Antilius. Ich kenne dich besser als du ahnst.«
»Du kennst mich nicht. Lies meine Gedanken! Nur dann wirst du die Wahrheit über die Macht der Transzendenz erfahren.«
Der