»Na, wen habt ihr mir denn da mitgebracht? Welch eine Überraschung.« Ihre Stimme war weich und melodisch, ihre Augen hatten einen herzlichen Ausdruck. Sie platzierte sich genau unter der Kuppel, legte die Hände in den Schoß und sah lächelnd in die Runde. »Was führt dieses wunderbare Tier zu uns?«
Rosalie legte dem Bären einen Arm auf den breiten Rücken. »Den haben wir im Park aufgegabelt. Er hat sich versteckt und da haben wir ihn lieber von den Gangs weggebracht und wollten ihm hier eine sichere Unterkunft anbieten.«
»Das habt ihr sehr gut gemacht«, lobte die Frau. Sie konnte den Blick nicht von dem Tier abwenden.
Bianca trat auf die andere Seite des Bären und strahlte ihre Mutter an. »Das Interessanteste an ihm weißt du noch nicht, Mama.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und setzte dann hinzu: »Dieser Bär kann sprechen.«
Die Augen der Frau im Rollstuhl weiteten sich. Für einen Moment wirkte sie schockiert, doch dann verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. »Tatsächlich?«
Endlich fasste sich der Bär und ergriff das Wort: »Ich bin meinerseits ganz verblüfft, dass es Menschen gibt, die mich verstehen können. Meine Artgenossen im Zoo, ja. Aber meine Tierpfleger oder mein Bruder - Fehlanzeige.«
»Dein Bruder? Zoo? Und höre ich da einen Akzent in deiner Stimme? Fragen über Fragen. Am besten bleibst du ein wenig hier und erzählst uns alles von vorne.« Die schimmernde Frau bedeutete dem Bären, es sich bequem zu machen.
Er legte sich neben den kleinen Teich. Rosalie und Bianca setzten sich zu ihm auf den Boden und kuschelten sich an ihn.
»Dabei fällt mir ein - ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt.« Die Frau rollte näher heran und sah ihn mit freundlichem Blick an. »Mein Name ist Aru. Meine beiden Töchter, Rosalie und Bianca, hast du bereits kennengelernt.« Sie deutete auf ihre Kinder.
Arus Alter war schwer zu schätzen. Doch keinesfalls hätte ein Außenstehender vermutet, dass diese Frau die Mutter der beiden Mädchen war. »Um deine Frage zu beantworten: Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass wir dich verstehen können.«
»Ist es nicht? Wie das?«
Aru lachte auf. »Weil wir gar keine Menschen sind. Ich für meinen Teil bin eine Elfe.«
Der Bär ließ ein erstauntes Brummen hören. Wortlos blickte er sie an.
»Rosalie und ich sind Halb-Elfen«, ergänzte Bianca. »Unser Vater war ein Mensch.«
»Na, du willst doch nicht gleich von diesem Verräter erzählen, Schwesterherz.« Rosalies Blick war schwer zu deuten.
»Kinderchen – kein böses Blut«, mahnte Aru. »Wir haben Besuch.«
»Schon gut«, lenkte Rosalie ein. »Ich sag‘ ja nichts mehr.«
Die Zwillinge schmiegten sich enger an den Bären. Hin und wieder kämmten sie ihm mit den Fingern durch das Fell oder entfernten Dreck unter seinen Krallen. Er knurrte leise und schloss für einen Moment genüsslich die Augen. Dann öffnete er sie wieder und betrachtete die Mutter der Schwestern genauer.
»Den Rolli hat Mama, seit sie hier in der Menschenwelt lebt«, erklärte Bianca, die seinem Blick gefolgt war, und zauste den Bären am Fellflaum seiner Ohren.
»Haben Elfen nicht normalerweise Flügel?«, hakte er nach.
»Das stimmt.« Aru nickte. Dann wurde ihr Blick glasig.
Bianca setzte anstelle ihrer Mutter zu einer Erklärung an. »Zur Geheimhaltung der Elfen-Existenz mussten ihr die Flügel gestutzt werden. Das hat sich unglücklicherweise auf ihre Wirbelsäule ausgewirkt. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt.«
Der Bär hob den Kopf. »Aber warum musstest du das Elfenland denn verlassen?«
Aru richtete ihren Rollstuhl so aus, dass sie den dreien unmittelbar gegenüberstand. »Nun ja. Ich hatte mich verliebt. Dummerweise habe ich damit einen Haufen Regeln gebrochen.«
»Beim Verlieben?«
»Elfen dürfen sich nicht in jedes beliebige Wesen verlieben, musst du wissen«, ergänzte Rosalie mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme.
»Und Mama hat sich leider einen der falschen Spezies ausgesucht«, fügte Bianca verächtlich hinzu. »Einen abscheulichen Menschen.« Sie schüttelte sich theatralisch.
»Kinder«, ermahnte Aru sie erneut. »Das reicht!«
»Aber es ist doch wahr«, entgegnete Rosalie. »Im Elfenland wurde es vorerst geduldet, dass du dich auf Papa eingelassen hast.«
Bianca pflichtete ihr bei: »Aber als du vor achtzehn Jahren mit uns schwanger wurdest, hat man dir deutlich gemacht, dass du das Land der Elfen nie mehr betreten darfst.«
»Das klingt jetzt ein wenig hart«, sagte Aru nach einem Zögern besänftigend. »Sie haben eben ihre Regeln. Und ich habe eine davon gebrochen. Im Übrigen habe ich zu keinem Zeitpunkt bereut, dass ich mich für euren Vater und ein Leben mit euch entschieden habe.«
Rosalie kicherte. »Sicher? Dann hast du wohl verdrängt, wie wir dir das Leben zur Hölle gemacht haben, was?«
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Für einen Menschen war es offenbar zu viel, Zwillinge zu haben, die zur Hälfte Elfen sind. Auch wenn ihr kaum etwas von den magischen Kräften meiner Art geerbt habt, wart ihr anfangs schwierig zu bändigen. Doch selbst als euer Vater uns verließ, habe ich es geschafft. Trotz körperlicher Einschränkung.« Sie rollte zu der Balkontür und sah hinaus. »Jetzt reicht es aber mit den alten Geschichten. Ich finde, wir haben es uns hier sehr schön gemacht. Sozusagen unser eigenes Elfenreich erschaffen.«
»Elfen«, wiederholte der Bär nachdenklich. »Dann stimmt es ja vielleicht doch.«
»Was meinst du damit?«, fragte Aru.
Der Bär brummte und verlagerte seine Position. Bianca und Rosalie kicherten, als sie dabei fast zur Seite kippten.
»Mein Name ist Claris und mein Vater ist der Fürst von Bosapan.« Er stockte. »Er war der Fürst von Bosapan. Als ich noch sehr klein war, kamen Männer zu uns. Auf mich wirkten sie im ersten Moment normal, aber im Gegensatz zu meinem Vater waren sie sehr klein, geradezu winzig.«
Arus Blick verfinsterte sich. »Zwerge«, murmelte sie. »Würdest du sie wiedererkennen? Oder hast du sie nach diesem Vorfall sogar noch einmal gesehen?«
Claris schüttelte den Kopf. »Leider nein. Meine Erinnerung an diese Zeit ist sehr verschwommen.«
»Was wollten sie von deinem Vater?« Bianca sah ihn fragend an.
Resignierend seufzte Claris. »Ich weiß es nicht. Sie stritten sich und von jetzt auf gleich verwandelte mich einer von den kleinen Männern in den Bären, der ich nun bin.«
»An was kannst du dich von damals denn noch erinnern?«, fragte Rosalie. »Was passierte mit dir, als du verwandelt warst?«
»Mein Vater verkaufte mich an den Frankfurter Zoo, kaum dass ich ein Bär geworden war. Offensichtlich hielt er das für die humanste Verwendung für mich. Immerhin besser als ein Zirkus oder die Wildnis. Mein älterer Bruder erzählte mir, er wäre mittlerweile tot.«
»Du hast also regelmäßig Kontakt zu deinem Bruder?« Bianca sah ihn interessiert an.
Der Bär nickte. »Er selbst war damals nicht dabei, als der Zwerg mich verzauberte. Aber seit er alt genug ist, besucht er mich regelmäßig im Zoo. Auch, wenn er mich nicht versteht, weiß er von unserer Nanny, dass ich es bin.«
Aru