Der Seelenspiegler. Liesbeth Listig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liesbeth Listig
Издательство: Bookwire
Серия: Weltensichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738048223
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      Eine runde Klappe öffnete sich dort, wo der Stein das Ding gefangen hielt, und so etwas wie ein Gummischlauch wurde herausgelassen. Dieser schien flexibel wie der Legebereich einer Schildkröte zu sein. Und tatsächlich wurde nach geraumer Zeit so etwas wie ein Ei in die ungewisse Freiheit entlassen. Es hatte zwar annähernd Eiform, sah jedoch eher aus wie das Innere eines Überraschungseies, wenn man die Schokolade entfernte. Skurril, dachte Bernhard, ob es gefährlich ist? Etwas in ihm drängte ihn dazu das eiförmige Ding in die Hand zu nehmen. Aufmachen! Dachte Bernhard wie abwesend. Auch die „Sollbruchstelle“ war geformt wie beim Überraschungsei. Bernhard befolgte die gefühlsmäßige, innere Anweisung und brach das Ding auf. Heraus fiel ein ringartiges Gebilde, welches in allen Farben schillerte. Aufsetzen! Hallte es in Bernhards Geist. Nun hatte er keine Wahl mehr. Es war sein innigster Wunsch, es an seinem Finger zu tragen.

      Heiße Spiegelungen

      Ein Tagtraum, der jedoch nicht unangenehm war, überfiel Bernhard, als er das Ringding über seinen Ringfinger streifte. Er träumte von einer riesigen, alten Bibliothek deren Räume schier endlos erschienen und etwas wühlte darin herum, flitzte von einer Ecke zur anderen, schlug ohne ersichtliches Konzept die Bücher, die alle wunderschön in altes Leder gebunden waren, auf und las in Windeseile sämtliche Seiten. Es kam auf Bernhard zu, sagte „Moment bitte“ und ohne, dass Bernhard es erkennen konnte, flitzte es weiter. Es dauerte eine endlos erscheinende Zeit bis es wieder Bernhard aufsuchte und mit einem „Bitte warten“ wieder verschwand.

      Das Auf- und Zuklappen der Bücher wurde weniger und beruhigte sich zusehends bis es schließlich ganz versiegte und eine gespenstige, erwartungsvolle Ruhe eintrat. Vor Bernhards innerem Auge bildete sich ein freundliches Mondgesicht. „So“, sagte es, „nun weiß ich erst mal alles, was du weißt. Ich musste ja wissen, mit was für einem Drecksack ich es hier zu tun habe. Ihr Stoffwechsler seid euch zwar alle sehr ähnlich, aber für manche emotionsschwangere Kreaturen ist auch ein hartgesottener Seelenspiegler wie ich nicht geeignet. Als ich hier herunter kam, wollte ich die Großen mit den kleinen Hirnen erforschen. Ich war doch sehr überrascht, dass ich nun kleine mit etwas größeren Hirnen vorfinde. Die Großen haben den großen Kometen wohl nicht überlebt. Seit dem großen Bums war ich hier die Zeit über eingeklemmt. Hab mich erst im Hier und Jetzt wieder aktiviert, nachdem du hier angeschlichen kamst. Der Skorpion war mir zu dusselig zum spiegeln.“

      „Was ist ein Seelenspiegler? Was willst Du von mir? Bin ich nun dein Versuchskaninchen? Und wie heißt Du überhaupt? Hast Du einen Namen?“ Die Fragen sprudelten in Bernhards Kopf, doch der Seelenspiegler lachte nur. „Langsam, langsam. Erst einmal muss ich mich um deine Verletzungen und die, die dir noch zugefügt werden könnten, kümmern.“ Die Schmerzen wurden weniger. „Ich kann die Wunden zwar nicht komplett heilen, aber körperliche Schmerzen sind ähnlich den seelischen Schmerzen und die kann ich dir nehmen. Schau mal, dort kommen die Leute, die dir ans Leder und an die schönen in Leder gebundenen Bücher wollen. Keine Angst. Ich werde mich um sie kümmern.“ Aber Bernhard hatte keine Angst. Die hatte der Spiegler ihm bereits genommen.

      „Was willst du den Verbrechern antun?“ fragte Bernhard entsetzt. „Ich kann niemandem etwas antun. Jedenfalls nicht direkt und so, wie du es vielleicht gewohnt bist. Ich kann nur ihre Emotionen auf sie zurückwerfen. Eventuell ein wenig verstärken. Die Emotionen der drei sind stark. Der eine hat vor kurzem mehrere Frauen vergewaltigt und umgebracht. Der andere hat eine Moschee gesprengt, in der sechsundzwanzig Menschen Schutz gesucht hatten, und der dritte hat mehrere Köpfe abgeschnitten, in denen noch Leben war. Sie werden wohl gut brennen.“

      Bernhard sah ungläubig zu, wie die drei Mörder bewegungsunfähig neben ihren beunruhigten Pferden standen. Diese gingen plötzlich durch und verschwanden im gestreckten Galopp aus ihrem Blickfeld. In den schmerzverzerrten Gesichtern der Mörder konnte Bernhard die Panik der von ihnen Gemeuchelten erkennen als die Stiefelsohlen der drei in den Sand einschmolzen auf dem sie standen. Offenes Feuer ging von den Fußsohlen aus, breitete sich an den weiten Hosenbeinen aus, bis auch Hemden und Oberkörper in Flammen standen. Kein Ton kam über die Lippen der Unmenschen, die nun als Fackeln in der Wüste standen. Es dauerte nicht lange, da waren die Flammen verraucht und drei schwarze Aschehaufen in menschlicher Form standen knisternd im Wüstensand. Ein Windhauch ließ sie in sich zusammensinken und eine weitere leichte Brise trug die Überreste davon und bedeckte auch die unschuldigen, geschmolzenen Gummisohlen.

      „Was hast Du getan?“ fragte Bernhard entsetzt. „Nichts“, sagte der Spiegler. Ich habe nur Hass, Glaubensverirrung, Testosteron bestimmte Übergeilheit und Zerstörungswut dieser Soziophaten gespiegelt. Alles andere haben sie selbst getan. Unsere weitere Konversation sollte nur noch in deinem Kopf stattfinden dachte der Spiegler zu Bernhard. Sonst steckt man dich noch irgendwann in die - was steht da im Buch? - Klapsmühle, wenn du immer mit nicht sichtbaren Individuen sprichst. Gedacht, getan. Denken sollte bei den meisten Menschen sowieso auch schneller gehen als reden.

      Bist du Gott?, dachte Bernhard. Nein, ich bin real. Ich bin zwar nur ein recht junger Seelenspiegler, etwa einhundert Milliarden Jahre alt nach deiner Zeitrechnung, aber andere sind weit älter und können mehr als ich. Ich wurde hierher geschickt, um die großen Echsen zu erforschen. Andere sind in der Lage, ganze Galaxien zu spiegeln. Ich kann erst mal nur Emotionen spiegeln, verstärken und eventuell übertragen auf andere Individuen. Könntest du denn nicht mit dem Spiegeln Kriege verhindern, dachte Bernhard? Wäre doch toll, wenn die mal ein Ende finden würden. Nein, auch das kann ich nicht. Alles, was ich beeinflussen kann, muss ich durch die Augen eines Wirtes sehen und es darf nicht weiter als rund fünfzig Meter von dir entfernt sein. So, so, dachte Bernhard, ich bin also dein Wirt? Ja, dachte der Spiegler zurück und damit war alles gesagt.

      Wieso können einige deiner Art denn Galaxien spiegeln und beeinflussen, ging es Bernhard durch den Kopf. Weil auch Galaxien Entitäten sind, kam prompt die Antwort. Übrigens hat dieses auch einer eurer großen Wissenschaftler, Albert Einstein, bereits vermutet. Allerdings hatte er das etwas anders gemeint. Der meinte: Das Weltall denkt. Und das steht alles in meiner Bibliothek, in meinem Kopf, wunderte sich Bernhard? Ja, aber dein Bewusstsein hat nicht zu allen Bereichen Zugang. Ich werde dir bei Bedarf dabei helfen, dein Wissen zur Verfügung zu haben.

      Wie heißt du eigentlich? Seelenspiegler ist doch kein Name. Nenn mich Manfred. Manfred? Ja, „uzzghöiuov 223687bhv“, wie ich in deiner Sprache wohl heißen würde, wäre glaube ich nicht hilfreich. Also, Manfred. Einen Manfred kennst du nicht. Ich habe deine Bibliothek durchsucht. Ich bin nun der einzige Manfred in deinem Leben, grinste Manfred. Na wenigstens hast du Humor, meinte Bernhard noch, bevor er wieder in den komaähnlichen Schlaf entschwand.

      Die Lebensgeister sind geweckt

      Das erste, was Bernhard mit seinem lädierten und sedierten Schädel wahrnahm, waren der Duft eines scharfen Reinigungsmittels und Geräusche des Auswringens eines Feudels über einem Wassereimer. Als er vorsichtig die Augen öffnete, sah er auf eine Automatik- Spritzenvorrichtung, die kontinuierlich ein Sedierungsmittel in seinen malträtierten Körper abgab und die er sogar bis zu einem bestimmten Punkt selbst auslösen könnte, wenn die Schmerzen zu heftig würden. Er war an einem sicheren Ort, augenscheinlich in einem Krankenhaus gelandet. Bernhard schloss die Augen und versank wieder in Morpheus Armen.

      Von wilden Träumen geplagt, in denen ein Manfred, wie auch seine erste Liebschaft aus dem früheren Urlaub sowie seine große Liebe Agnes vorkamen, schreckte Bernhard auf, als ein Schrubber arbeitsam an sein Bett stieß. Schemenhaft, aufgrund einer erneuten Dosis Glück aus der Spritze, sah er eine Gestalt, die er zu kennen glaubte. Nachdem sein Blick sich ein wenig geklärt hatte, erkannte er tatsächlich das Mädchen wieder, welches auf seiner letzten Reise auf dem Nilschiff gearbeitet hatte und durch welches er, ein wenig schmerzhaft, seine Unschuld verloren hatte. Sie hatte ihm, um nicht lauthals über seine hilflose Gestalt loszulachen, in die Schulter gebissen. Dieses hatte zwar verhindert, dass sie fast kompromittiert worden wäre, aber auch weiterer Genuss musste erst einmal wieder aufgebaut werden.

      Dieses Mädchen stand nun vor ihm. Sie hatte also ihren Arbeitsbereich gewechselt. Lächelnd