Adelsspross. Katharina Maier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Maier
Издательство: Bookwire
Серия: Die Erste Tochter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752931006
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der nichts Zeremonielles mehr an sich hatte. Nur ein paar wenige blieben stehen, unter ihnen der alte Neoly, was seine drei Söhne zu spät bemerkten und so recht unbehaglich in einer halb vollendeten Verbeugung verharrten. Vairrynn aber stand da, den Blick unverwandt auf Ktorram Asnuor gerichtet. Ein verzehrendes Feuer loderte, wo das Nichts gewesen war, als der Oberste Priester das Schwert zum zweiten Mal vor einer knienden Menge in den wolkenbetürmten Himmel reckte. Vairrynn zitterte. Erkennen drängte sich an die Grenze der Bewusstheit, ein Schimmer nur, doch jede Faser seines Ichs sträubte sich dagegen. Sieh nicht hin, Kind, sagte ich, und endlich senkte Vairrynn seinen Blick.

Die erste Tochter

      Noch tagelang nach der Zeremonie befand sich so gut wie das ganze Reich in einem Taumel der Euphorie. Die Feiern zur Einsetzung des Obersten Priesters waren rauschend gewesen, und überall lobte man Asnuor in den höchsten Tönen, als hätte sich nicht noch kurz zuvor jeder über seinen Hochmut echauffiert. Viele führten das Schlagwort einer spirituellen Wende im Mund, die die Nchrynnai auf den Weg des Heils zurückführen würde, obwohl bis vor nicht allzu langer Zeit hauptsächlich von den Monowyisten zu hören gewesen war, dass wir diesen überhaupt verlassen hätten.

      Meine kleine Familie hatte die fast allgegenwärtige Begeisterungswelle allerdings nicht ergriffen. Mutter wurde von Tag zu Tag blasser, ob vor Sorge oder Wut, wusste sie wohl selbst nicht genau. Vater kam von einer der berüchtigten Familienkonferenzen des alten Neoly in äußerst griesgrämiger Stimmung zurück, und die behielt er bei. Vai lief für ein paar Tage herum wie in Trance. Ich selbst wiederum wusste nicht, was ich denken sollte.

      Ich konnte nichts wirklich Gefährliches finden an unserem neuen Obersten Priester. Andererseits wollte es mir nicht sonderlich gefallen, dass ich zwar den Klang seiner Stimme verflixt schwer wieder aus meinem Kopf bekam, mich aber an kein einziges seiner Worte erinnern konnte, wo doch so gut wie jeder die Weisheit seiner Rede rühmte. Ich saß oft und lange in unserem Garten in diesen Tagen und starrte hinunter in das aufgewühlte Meer, obwohl es allmählich empfindlich kalt wurde und der Sturmzeitwind mir das Haar ins Gesicht peitschte. Asnuors samtige Stimme hatte etwas aufgeweckt in mir, doch darüber redete ich noch nicht einmal mit Vairrynn.

      Aber die Zeit schreitet fort, und während sich der Oberste Priester auf Initiationstour in den Kreisen der Reichen und Wichtigen begab, schickte sich der Alltag an, wieder Einzug zu halten – oder hätte es zumindest getan, hätte nicht meine Großmutter nach ihrer Schwiegertochter samt Kindern geschickt. Wie immer, wenn es darum ging, sich in die Höhle des Patriarchen zu wagen, wurden meine Brüder und ich fein herausgeputzt – was wir alle drei bis in die Zehenspitzen verabscheuten. Aber einem Ruf aus der Trutzburg – wie Vairrynn den Stammsitz der Neolys recht respektlos getauft hatte – widersetzte man sich nicht. Vater war schon vorausgeeilt, und wir stiefelten angemessen ausstaffiert hinterher.

      Die Trutzburg war eines der ältesten und beeindruckendsten Gebäude in Naharmbra. Doch trotz aller Pracht sah sie ein wenig zusammengeflickt aus, ein Stück Archititekturgeschichte vom ersten Kapitel bis zum letzten, ein riesiger Gebäudekomplex, immer wieder erweitert und ausgebaut für Generationen über Generationen von Neolys. Die Treppen, die hinauf zum Eingang führten, waren gesäumt von den Statuen der Ruhmvollen aus der Familie: Tarmtabb der Hüne, Jayk und Humnem, beides Oberste Priester, daneben Gortonn der Gerechte, der einst Oligarch gewesen war, und all die anderen. So war der Besucher schon angemessen niedergedrückt vom Gewicht der Familiengeschichte, ehe er das Haus überhaupt betreten hatte. Manchmal fragte ich mich, ob sie wohl meinem Vater, dem im ganzen Reich bekannten Künstler, eines Tages auch so eine Statue aufstellen würden.

      Die zukünftigen Neoly-Helden empfingen meine Mutter, meine Brüder und mich in Form einer Schar kreischender Kinder, die um meine genervte Tante Teggri herumsprangen und anscheinend eine Art Kriegstanz einstudierten. Ihr Geplärre hallte in der Empfangshalle der Trutzburg wieder, ein steinbewehrter Innengarten, über den sich eine Kuppel aus milchigem Glas spannte. Ein ganzer Schwung Neoly-Frauen hatte sich um den Brunnen im Zentrum des Hallengartens versammelt, der nur ganz leicht mit Grünspan überzogen war. Mittendrin thronte meine Großmutter, so breit wie hoch, mit backenkneifenden Fingern und Süßigkeiten in den Rocktaschen.

      »Lys!«, rief sie aus, als sie unser gewahr wurde, und hüpfte uns entgegen (es gibt kein anderes Wort, um die Art zu beschreiben, wie meine Großmutter sich fortbewegte). »Der Einheit sei Dank, dass ihr es noch rechtzeitig geschafft habt!«

      »Rechtzeitig wofür?«, fragte Mutter und wich geschickt einer von Großmutters berüchtigten Umarmungen aus, der stattdessen Mud und ich zum Opfer fielen.

      »Na, für den Segen!«, rief Großmutter dabei. Ihre Stimme hüpfte auch. Das runde, rote Familiensiegel an ihrem Kropfband wackelte bei jedem Wort hin und her.

      »Ein Geldsegen?«, fragte Mud hoffnungsvoll und erntete einen Klaps von Großmutters beringten Fingern.

      »Sein Segen!«, rief sie aufgeregt. »Er ist gerade bei eurem Großvater, und er hat sich bereiterklärt, alle Kinder des Hauses zu segnen

      Mutters Gesicht wurde hart wie Stein. »Er wer?«

      »Der Oberste Priester natürlich! Ktorram Asnuor!«

      »Nein!«, entfuhr es Mutter scharf. Schlagartig verstummten sämtliche Frauen um den Brunnen herum. Das Geschrei der Kinder versiegte etwas verzögert, von der sinkenden Stille verschluckt.

      »Was meinst du mit ›nein‹?«, fragte Großmutter perplex.

      »Mit ›nein‹ meine ich ›nein‹.«

      Alle hörten den beiden jetzt zu. »Oh Mutter, bitte«, dachte ich flehentlich. Es ging nie gut aus, wenn sie eine Konfrontation mit den Bewohnern der Trutzburg suchte.

      »Lys, was hast du …«

      »Ich werde meine Kinder nicht von diesem Mann segnen lassen!«

      »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Er wird alle Kinder segnen, da können die des Erstgeborenen doch nicht außen vor stehen! Lys, ich warne dich! Solltest du schon wieder …«

      »Eher setze ich nie wieder einen Fuß in dieses Haus, als dass ich Ktorram Asnuor auch nur einen Finger an eines meiner Kinder legen lasse!« Die Worte fielen in den Hallengarten wie Steine in stilles Wasser. Niemand sagte etwas. Es dauerte einen Moment, bevor mir aufging, dass keiner mehr meine Mutter anstarrte. Mir strich es eiskalt die Ohren entlang und nur ganz vorsichtig wagte ich es, über meine Schulter zu schauen. An der Tür zur Empfangshalle stand der Oberste Priester des Wy, hinter ihm mein Großvater mit hochrotem Kopf und seine drei Söhne. Mein Vater sah aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen.

      »Lys …«, begann Großvater mit seiner Donnerstimme, doch die Hand des Obersten Priesters bedeutete ihm Verstummen. Der alte Neoly gehorchte. Klack, klack, klack, klack, schritt der Oberste Priester die vier Stufen hinunter, die in den Innengarten führten, und kam auf meine Mutter zu. Meine Finger krallten sich in ihren Rock. Vage war ich mir bewusst, wie sie versuchte, mich hinter sich zu schieben, aber ich rührte mich nicht. Direkt vor uns blieb der Oberste Priester stehen. Er war realiter nicht eindrucksvoller als auf der Holographischen Wand. Aber da war ja noch der Andere, der hinter seinen Augen wohnte, und der musterte meine Mutter von Kopf bis Fuß, als wäre sie Ungeziefer. Sein Mund zuckte.

      »Nun, Frau, willst du uns nicht sagen, warum der Oberste Priester des Wy nicht würdig ist, deine Kinder zu segnen?« Die Samtstimme klang durchaus einnehmend und versprach Nachsichtigkeit. Ich blickte hoffnungsvoll zu meiner Mutter auf. Um ihren Mund arbeitete es. Es war, als wollte sie etwas herausschreien, was nicht heraus durfte, doch dann brach es sich Bahn, ein Wort, ein Wort nur: »Nchorr.«

      Da hing es und zerplatzte, ein Wort, wie man es einem singisischen Mann kaum schlimmer an den Kopf werfen kann. Die ganze Halle hielt den Atem an und erschauerte. Und in Asnuors farblosen Augen sprang etwas auf und verdunkelte sie, Hass wie Feuer und Dolch und Schwert, und auch in mir war es dunkel, es war die Angst, und dann war da mein Vater, der sich zwischen den Obersten Priester und seine Familie schob und der sagte: »Verzeihen Sie meiner törichten Frau, Hoher