Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur. Tomos Forrest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomos Forrest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754185988
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einer alten Stadt vermerkt, die ihren Namen nach einem Gott erhalten hatte: Aššur.

      Pünktlich am vereinbarten Tag zur Abfahrt unseres Zuges erwartete mich Sir David Lindsay am Bahnsteig. Als ich die Menge der Koffer und Kisten sah, die eben ein Dienstmann in das geöffnete Abteil verlud, musste ich laut lachen. Neben meiner Reisetasche mit Leibwäsche, meinem orientalischen Anzug und einigen persönlichen Dingen bestand mein größtes Gepäckstück aus den wasserdicht verpackten Gewehren. Wie auch bei früheren Gelegenheiten hatte ich die Waffen so verpackt und verschnürt, dass ich sie problemlos an einem Riemen über der Schulter tragen konnte.

      „Aber guter Sir, was wollt Ihr denn da alles mitnehmen? Oder wollt Ihr Euch in Tunis niederlassen? Ihr müsst ja den gesamten Hausstand mitführen!“

      „Werter Master, spottet nur! Diesmal geht es in die ödeste Wildnis, und Ihr werdet mir noch sehr dankbar sein, dass ich an alles gedacht habe, um unseren Aufenthalt dennoch so angenehm wie möglich zu gestalten!“

      „Gut, wenn Ihr denn Träger findet, die das alles durch Hitze und Wüstensand transportieren, soll mir das recht sein. Ihr wisst, dass ich viel lieber mit leichtem Gepäck zu Pferd oder mit dem Kamel reite und mein Ziel auf diese Weise schneller erreiche!“

      „Wartet es ab, yes!“, bemerkte Lindsay knapp, und noch immer lächelnd, stieg ich in das inzwischen mit den Gepäckstücken gut gefüllte Abteil Erster Klasse, das mein Reisebegleiter für uns allein gemietet und bezahlt hatte, ebenso bei allen Anschlusszügen.

      Die Eisenbahnfahrt nach Marseille verlief ohne Zwischenfälle und, sieht man einmal von der langen Fahrtzeit und dem Umsteigen ab, auch ziemlich bequem. Doch dann gab es eine kleine, aber unangenehme Überraschung. Unser Dampfer, bestimmt nach Tunis, war noch nicht eingetroffen. So blieb uns nichts anderes übrig, als ein Hotel aufzusuchen und die Ankunft abzuwarten, die uns vom Hafenmeisteramt zuverlässig für den nächsten Tag bestätigt wurde.

      Also nutzten wir die Zeit für eine längere Ruhepause und aßen gemeinsam in einem vorzüglichen Fischrestaurant. Danach trennten wir uns, weil mein englischer Reisegefährte die Gelegenheit nutzen wollte, und einen seit vielen Jahren in dieser Stadt lebenden Engländer aufsuchte, der Jahre mit Ausgrabungen in Ägypten verbracht hatte. Wir hatten uns für den nächsten Morgen verabredet, wo die Eastern Star anlegen sollte und wir genügend Zeit zum Einschiffen hatten.

      Ich verbrachte einen ruhigen Abend auf meinem Hotelzimmer, den ich für Aufzeichnungen und ein paar Briefe nutzte, um mit meinen verschiedenen Verlegern noch ein paar Punkte abzuklären. Und natürlich hatte ich einen längeren Brief an Emma zu verfassen, in dem ich ihr den bisherigen Reiseverlauf beschrieb.

      Dass Lindsay am anderen Morgen nicht um neun Uhr an der Frühstückstafel erschien, machte mich noch nicht unruhig. Eine Stunde später wurde unser Gepäck abgeholt. Ich überzeugte mich davon, dass die Sachen des Engländers, am Vortag in einem verschlossenen Raum eingelagert, nun alle auf dem Karren landeten, der für unser Schiff bestimmt war.

      Noch immer ließ sich Lindsay nicht sehen, und ich hatte die Überzeugung gewonnen, dass mein spleeniger Reisebegleiter noch irgendeine Gelegenheit nutzte, um seinen Landsmann zu treffen. Ich unternahm einen kleinen Spaziergang und erfuhr nach meiner Rückkehr, dass er bereits die Rechnung beglichen hatte und mich an Bord der Eastern Star erwartete. Das war, selbst bei den Marotten, die ich bereits kannte, doch etwas ungewöhnlich, und ich erkundigte mich bei der Rezeption:

      „Sir David Lindsay hat wirklich bereits das Hotel verlassen? Und keine Nachricht für mich hinterlegt?“

      „Nein, Monsieur, aber ich bin sicher, Sie werden Ihren Freund an Bord des Dampfers treffen. Er erzählte, dass er und Sie gemeinsam eine Expedition unternehmen wollen, um archäologische Gegenstände von höchster Bedeutung für das Britische Museum auszugraben und nach England zu bringen.“

      Der junge Mann am Empfang war sehr freundlich und schien davon überzeugt zu sein, dass alles seine Richtigkeit hatte. Also dankte ich ihm, holte mein Gepäck aus meinem Zimmer und verabschiedete mich an der Rezeption und erhielt die Bestätigung, dass alles beglichen worden sei. Gut, dann handelte es sich wahrscheinlich um eine weitere Schrulligkeit Lindsays, und ich schulterte meine verpackten Waffen, griff die Reisetasche und ging langsam hinunter zum Hafen, wo der Eastern Star tatsächlich bereits unter Dampf stand.

      Ich begab mich an Bord, erhielt vom Steward meine Kabine – natürlich in der Ersten Klasse – angewiesen, brachte mein Gepäck und die Waffen unter und – wartete auf Sir David Lindsay.

      Stunde um Stunde verrann, ohne dass er zu sehen war. Ich stand auf dem Deck, als man bereits Vorbereitungen für die Abreise traf. Als die Mannschaft schließlich begann, die Taue zu lösen und die Gangway einzuholen, wurde ich nervös und ging zum Kapitän, der mich mit großen Augen und hochgezogenen Brauen musterte, als ich ihm vom Fehlen meines Reisegefährten berichtete und um einen Aufschub bat.

      „Wie stellen Sie sich das vor, Monsieur? Die Abfahrt muss ich schon wegen der Gezeiten einhalten, Ihr Freund hat nur noch eine knappe Frist, und ich will gern bis zum letzten Augenblick warten, aber dann müssen wir pünktlich ablegen!“

      „Aber Sir Lindsay würde Sie dafür bezahlen, wenn es zu einer Verzögerung durch ihn kommt!“, antwortete ich verzweifelt.

      Der Kapitän zuckte die Schultern.

      „Mag sein, dass er zahlungskräftig genug ist, aber ich habe auch Verpflichtungen gegenüber der Reederei. Es tut mir leid, aber ich kann die Abfahrtszeit nicht für einen einzelnen Passagier überschreiten. Wollen Sie wieder ausschiffen, dann lasse ich Ihr Gepäck sofort an Land bringen?“

      Ich zögerte noch einen Moment, dann sagte ich mir, dass Lindsay vielleicht über Gebühr bei seinem Landsmann aufgehalten wurde und er möglicherweise auch noch ein Boot chartern würde, um den Dampfer einzuholen.

      „Nein, besten Dank, ich bleibe an Bord und rechne fest damit, dass er noch rechtzeitig vor dem Ablegen eintrifft!“, antwortete ich und stellte mich wieder an die Reling, um den Kai im Auge zu behalten.

      Aber alles Hoffen war vergeblich, die Abfahrtzeit war schließlich erreicht, die Eastern Star ließ noch einmal die Dampfpfeife ertönten, dann hieß es endgültig Leinen los! Die Maschinen begannen zu stampfen, der Dampfer legte ab, und rasch vergrößerte sich der Abstand zum Land. Noch immer stand ich auf meinem Fleck und hielt Ausschau, dann musste ich schließlich aufgeben.

      Was auch immer geschehen war, Sir David Lindsay hatte die Abreise verpasst. Das war fatal, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass er noch einen Weg finden würde, um unterwegs an Bord zu kommen.

      Natürlich machte ich mir Vorwürfe, nicht zurück an Land gegangen zu sein – aber es war zu spät, wir waren unterwegs. Jetzt blieb mir nur noch die Hoffnung, dass Lindsay den nächsten Dampfer erwischte und wir uns bei seinem Geschäftspartner in Tunis treffen würden. Dessen Adresse hatte ich zum Glück, denn von dort aus sollte unsere Weiterreise organisiert werden.

      Am zweiten Tag hatte ich das wundervolle Wetter und die glatte See genossen, war eine Weile auf dem Sonnendeck und unterhielt mich sehr angelegentlich mit einem deutschen Ehepaar, das ebenfalls den Orient aufsuchen wollten und von Tunis ihre Weiterreise nach Bagdad plante. Er war als Ingenieur bei der Bagdad-Bahn angestellt und kehrte nach einem mehrwöchigen Erholungsurlaub zusammen mit seiner Frau wieder zurück.

      Dann ging ich zurück zu meiner Kabine und entdeckte dabei jemand, der sich an meiner Tür zu schaffen machte. Rasch eilte ich hinter den Mann, der sich über das Türschloss gebeugt hatte und räusperte mich kräftig. Wie vom Blitz getroffen fuhr der Mann herum und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.

      Seiner Erscheinung nach mochte er persischer Herkunft sein, und als er mich jetzt in französischer Sprache anredete, bestätigte das sein Dialekt.

      „Oh, Effendi, Sie haben mich aber sehr erschreckt! Ich bin der Hilfssteward und bringe Ihnen eben eine Flasche Selters!“

      Dabei deutete er auf die noch verschlossene Flasche, die er vor sich auf dem Boden abgestellt hatte. Sein Gesichtsausdruck schien mir