Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur. Tomos Forrest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomos Forrest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754185988
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      Trilogie Teil 1

      Obwohl ich mich über die Störung ärgerte, konnte ich mir ein Grinsen doch nicht verkneifen, als ich aufsah und die lange, hagere Gestalt sofort erkannte, die nicht gerade rücksichtvoll in den ohnehin überfüllten Saal eintrat. Der zu spät gekommene Zuhörer trug wieder einmal sein Markenzeichen, das ihn schon auf eine weite Entfernung kenntlich machte: einen Anzug aus großkariertem Stoff, dazu die ‚Angströhre‘ (Zylinder), die er erst jetzt abnahm – kurz, es war mein alter Bekannter Sir David Lindsay, der unvermutet in meinen Vortrag platzte, den ich vor der Geografischen Gesellschaft in Dresden hielt.

      Und der exzentrische Engländer hielt sich nicht weiter mit Förmlichkeiten oder Entschuldigungen auf, ließ sich von einem Saaldiener einen eigenen Stuhl holen und den direkt vor mein Rednerpult bringen.

      ‚Ich bin ein Englishman, ich mache, was ich will‘ – sein Lebensmotto – und nun kam aber auch Unruhe unter den übrigen Zuhörern auf, die sich zum Teil lustig machten über diese Erscheinung, zum Teil aber auch böse Blicke zu ihm warfen. Nun, Sir David kümmerte das alles nicht, er schlug seine langen Beine übereinander und nickte mir wohlwollend zu, als hätte ich nur auf sein Eintreffen gewartet und erhielt nun die Einladung, fortzufahren.

      „Ja, meine Damen und Herren, Sie haben es alle gerade selbst erlebt!“, fuhr ich fort und lächelte dazu freundlich. „Das Leben ist voller Überraschungen, und der Herr, der eben so bescheiden und freundlich noch eingetreten ist, ist ein alter Reisebegleiter meiner Orientreisen. Ich begrüße deshalb Sir David Lindsay und freue mich, dass er es noch rechtzeitig geschafft hat, sich meinen Vortrag anzuhören.“

      Lindsay nickte mir noch einmal hoheitsvoll zu, während ich im Publikum leise Heiterkeitsausbrüche erkannte.

      „Nun gut, dann will ich berichten, was ich auf meiner letzten Reise erlebt habe, zu der mich der mit mir eng befreundete Vizekönig von Ägypten, Ismail Pascha, eingeladen hatte.“

      Die Aufmerksamkeit meiner Zuhörer hatte ich damit wieder gewonnen, Sir David verhielt sich ruhig und lauschte ebenfalls gespannt. Als ich endete, herrschte eine gefühlte Ewigkeit lang Schweigen, aber dann brach der Beifall los. Ich hatte mehr als eine Stunde frei und ohne Manuskript gesprochen und dabei in Gedanken noch einmal alles miterlebt. Deshalb kam es mir nur so vor, als hätten meine Zuschauer lange ruhig verharrt, später berichtete mir Lindsay anderes. Doch jetzt waren zahlreiche unter ihnen aufgestanden und drängten sich zu mir. Teils wollten sie spezielle Fragen beantwortet haben, teils wollten sie einfach nur mehr von meinen Reisen erfahren.

      Irgendwann reichte es mir aber, die Fragerei nahm kein Ende. Ich verwies auf meine Bücher- und Zeitschriften-Veröffentlichungen und konnte mich nur mithilfe des Präsidenten der Gesellschaft in einen Nebenraum flüchten. Zu meinem größten Erstaunen erwartete mich hier Sir David Lindsay, der dem Trubel nebenan entflohen war.

      „Well, ich will es kurz machen. Wir reisen und werden diesmal Fowling Bulls finden, ganz sicher. Viele Abenteuer. Ich zahle!“

      Damit war nun heraus, weshalb er mich in meiner Heimat aufgesucht hatte. Dieser spleenige Mann glaubte wirklich, dass ich nichts Besseres zu tun hatte, als meinen Koffer zu packen und mit ihm wieder irgendwelchen Ausgrabungen nachzujagen. Er lächelte mich so selbstgefällig an, dass mich die Wut packte und ich in einem ersten Impuls sagte:

      „Das ist einfach lächerlich.“

      Er zog kaum merklich die Augenbraue über dem rechten Auge hoch und antwortete gelassen:

      „Was ist daran lächerlich?“

      „Schon die Tatsache, dass Ihr stets und immer wieder erneut von Fowling Bulls redet, Sir David! Gerade ein gebildeter und weit gereister Mann wie Ihr sollte wissen, dass die Bezeichnung Winged Bull korrekt ist.“

      Noch immer zuckte lediglich die Augenbraue wieder in die Höhe, ansonsten blieb der ganze, lange Mensch wie eine Statue. Schließlich verzog er doch die Mundwinkel und antwortete sehr von oben herab:

      „Master, Ihr werdet unhöflich. Wenn die Welt von Winged sprechen mag, so sagt ein Sir David Lindsay trotzdem so, wie er diese geflügelten Stiere seit seiner Kindheit bezeichnet hat. Wem das nicht passt, der mag sich packen. Ich bin ein Englishman und mache, was ich will, verstanden!“

      Das war so trocken und knapp herausgebracht, dass ich lachen musste.

      „Gut, einverstanden. Aber ich habe weder Zeit noch verspüre ich Lust, erneut in den Orient zu reisen, um dort irgendwelchen Hirngespinsten nachzujagen. Wir werden auch diesmal keine geflügelten Stiere finden, sie ausgraben, um sie dann dem Britischen Museum zu schenken.“

      „Oh, Ihr irrt. Aber das ist verständlich. Schaut einmal auf diese Karte.“

      Damit griff er in die Rocktasche und zog eine zusammengefaltete Karte heraus, die er gleich darauf vor uns auf dem Tisch ausbreitete. Gerade deutete er auf eine bestimmte Stelle, als Herr Breitenbach, der freundliche Direktor der hiesigen Geografischen Gesellschaft, wieder eintrat. Auch sein Blick fiel auf die Karte, und erstaunt rief er aus:

      „Oh, das alte Assyrische Reich! Wollt Ihr ins Zweistromland, Sir David, und Ausgrabungen machen? Ist ja eine vielversprechende Gegend, und auch deutsche Forscher sind sehr daran interessiert, ganz Mesopotamien zu erforschen!“

      Der Engländer schenkte ihm einen finsteren Blick, den ich nicht sofort deuten konnte. Er richtete sich auf und bemerkte nur knapp:

      „So? Mag sein, aber wir Briten sind da schon ein ganzes Stück weiter. Kommt, Master, ich habe Hunger und möchte hier etwas zu mir nehmen!“

      Damit faltete er hastig wieder die Karte zusammen und schob sie in seine Jackentasche, drehte sich um und war an der Tür, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Ich bedankte mich bei Direktor Breitenbach und eilte Lindsay nach.

      Der stürmte jedoch hinaus auf die Straße und blieb auch dort nicht stehen, sondern eilte im gleichen Tempo weiter.

      „Sir David!“, rief ich ihm nach. „Den Zug nach Marseille werden wir heute nicht mehr bekommen!“

      Das zeigte Wirkung. Abrupt blieb er stehen und sah mich mit einem seltsamen Blick an.

      „Habt Ihr das bemerkt?“

      „Was?“, erkundigte ich mich verwundert.

      „Den Blick von diesem Mann auf die Karte? Und seine Bemerkung?“

      „Dass die deutschen Gelehrten an Ausgrabungen in Mesopotamien interessiert sind? Ja, und? Das ist doch nichts Neues!“

      „Der Blick war gierig, so, als wüsste er von den neuesten Funden!“

      „Was für Funde, Sir David, ich verstehe überhaupt nichts …“

      „Well, erst hier essen, dann mehr davon.“

      Schon betrat er ein Speiselokal, der Kellner geleitete uns an einen freien Tisch und überreichte uns die Speisekarte. Lindsay warf keinen Blick darauf, sondern bestellte sich Lammkeule mit mint sauce. Als der Kellner irritiert blickte, erklärte ich ihm, dass mein englischer Freund gern ein Lammgericht mit der kalten Mintsoße haben möchte. Der Kellner, noch immer begriffsstutzig, erkundigte sich:

      „Kalte Mintsoße, mein Herr? Was soll das sein?“

      Sir David schaute gelangweilt im Speisesaal umher, als ginge ihn das alles gar nichts mehr an.

      „Sagen Sie bitte dem Koch, er möge grüne Minze klein hacken und mit Essig, Zitronensaft und etwas braunem Zucker anmischen.“

      Jetzt schien der Mann zu verstehen, denn lächelnd antwortete er:

      „Ah, der Herr möchte das Fleisch mit der ‚Grünen Soße‘, wie von der Mutter unseres hochverehrten Dichterkönigs Goethe zubereitet. Selbstverständlich gern, der Koch wird das Rezept kennen, auch wenn es mehr in der Frankfurter Gegend als bei uns gebräuchlich ist.“

      Mir