Die Witwe und der Wolf im Odenwald. Werner Kellner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Kellner
Издательство: Bookwire
Серия: Mordskrimi aus dem Odenwald
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195193
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die unliebsame Zeugin, durch einen ‚Wolf‘[Fußnote 3] der ‘Gesellschaft’ aus dem Verkehr zu ziehen. Denn für die ‘Gesellschaft’ stand viel mehr auf dem Spiel, als nur die Verurteilung von sechs Männern aus dem Mittelmanagement zu verhindern. Die sechs waren zwar nicht einfach zu ersetzen, aber ihr Wissen und dasjenige von weiteren untergetauchten Mitgliedern der Bande stellte ein erhebliches Risiko für das gesamte Geschäft der Mafiosi dar, und außerdem drohte die Enttarnung des verdeckt arbeitenden Maulwurfs.

      Der ‘Gesellschaft’ hatte es bisher wenig genutzt, dass sie ein Leck in die Reihen der Staatsanwaltschaft eingeschleust hatte. Der Maulwurf hatte während des gesamten Verfahrens die Bandenführung über den Umweg der Verteidigung direkt und mehr schlecht als recht mit Informationen zu Aufenthaltsort und Personenschutz der Zeugin versorgt. Leider waren die Koordinaten fehlerhaft, besser gesagt bewusst falsch, wie sich später herausstellte. Der Verteidiger, der jetzt im Gerichtssaal saß, lächelte bitter, und er gestand sich ein, dass alle bisherigen Versuche der ‘Gesellschaft’, die Kronzeugin zu eliminieren, gescheitert waren.

      

       Kapitel 2

       Karl Miltner, geboren 4.7.1965 in Karl-Marx-Stadt. Verheiratet, ein Sohn, Jura Studium in Dresden. Seit 1990 Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main, verdeckter Informant der ‚Bratwa‘. Vertreter der Anklage im Drogenprozess von Frankfurt.

       Staatsanwaltschaft Frankfurt, Mittwoch 14.10.2009, 12:30 Uhr

      Müde, den Kopf in die Hände gestützt, saß ein leicht ergrauter Mann, die Brille hatte er abgesetzt, an seinem Schreibtisch im Büro der Frankfurter Staatsanwaltschaft, in der Konrad-Adenauer-Straße. Seine Gedanken kreisten ebenfalls um den größten Drogenprozess in Frankfurt, seit er im Amt war.

      Er war unmittelbar, nachdem der Vorsitzende Richter die Sitzung im Anschluss an das Schlussplädoyer der Verteidigung geschlossen und den Termin für den Schlussvortrag der Anklage festgelegt hatte, in sein Büro gefahren.

      Karl Miltner, seines Zeichens Oberstaatsanwalt und zuständig für Drogendelikte, hatte sein Mobiltelefon mit der anonymisierten prepaid Simkarte in der Hand, mit dem er ausschließlich mit seinem direkten Kontaktmann der ‘Gesellschaft’ kommunizierte. Er zögerte den Anruf hinaus, mit dem er seinen Ärger auszudrücken gedachte, aber dieses Mal wollte er seine Position und seine Forderung unmissverständlich übermitteln. Zu hohes Risiko hatte sich angesammelt und zu viel stand für ihn auf dem Spiel. Er hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt, um dieses Risiko zu eliminieren, und war nicht länger bereit, unter dem Damoklesschwert der latenten Enttarnung zu leben.

      Sein Alleingang, mit dem er sich selbst aus der Schusslinie bringen wollte, um die Kronzeugin im letzten Moment vor der Urteilsverkündung in einem nicht-dokumentierten Vieraugengespräch aus dem Verfahren zu entfernen, war fehlgeschlagen. Obwohl er die Sache äußerst diskret angepackt hatte.

      Der Gedanke zu diesem Versuch, die Zeugin lautlos aus dem Verfahren zu entfernen, war die Folge eines Anrufs eines afghanischen Verwandten der Zeugin. Der junge Mann hatte sich bei ihm direkt gemeldet, weil er im Auftrag der Familie eine ‚informelle‘ und schnelle Auslieferung der Kronzeugin vor einer Verurteilung erreichen wollte. Er berief sich auf seinen Vater, der ein hochrangiger Berater der afghanischen Regierung wäre, wobei er selber als offizieller Übersetzer im Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan tätig sei. Er bat den Oberstaatsanwalt, um eine Gelegenheit mit der Zeugin unter vier Augen zu reden, denn ihre Zustimmung für eine straffreie Rückkehr in ihre Heimat würde das Unterfangen erleichtern.

      Der Oberstaatsanwalt hatte das Angebot spontan als Chance gedeutet, die sein Problem lösen könnte. Kurz entschlossen organisierte er das Gespräch mit der Zeugin und lud den Dolmetscher mit Diplomatenstatus dazu ein. Der Anklagevertreter wollte der Zeugin unter dem Vorwand, ihr eine unkomplizierte Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen, einen ‚besseren‘ Deal, als die ungeliebte Kronzeugenregelung anbieten. Für den Fall, dass sie im Kronzeugenstatus bliebe, wollte er die Drohung im Raum stehen lassen, dass er ihr die Aussetzung einer Gefängnisstrafe zur Bewährung leider nicht garantieren könne. Er bot ihr stattdessen eine geordnete Rückführung in ihre Heimat und einen ordentlichen Geldbetrag obendrauf an, wenn sie unverzüglich aus dem Kronzeugenprogramm aussteigen und alle ihre Aussagen zurückziehen würde. Er würde im Gegenzug die Anklage gegen sie aussetzen, um ihr so straffrei die Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrer Familie zu ermöglichen.

      Der junge Mann, der sich sosehr um eine Rückreise seiner Schwester nach Afghanistan bemühte, hatte während des Gesprächs intensiv auf die Kronzeugin eingeredet und nach Ansicht des Oberstaatsanwaltes nicht nur übersetzt, sondern das Ganze vermutlich noch drastisch ausgeschmückt. Karl Miltner hatte den jungen Mann, während der auf die Zeugin einredete, intensiv beobachtet. Menschen zu lesen war sein Metier. Nach dem Goldschmuck zu urteilen, den er trug, stammte er aus reichem Haus. Die unübersehbar arrogante und unfreundliche Haltung des Mannes der jungen Frau gegenüber ließ auf einen höheren Rang im Clan oder der Familie schließen. Er hatte feine, fast aristokratische Züge und wenn man genauer hinsah, konnte man sogar so etwas wie eine Ähnlichkeit zur Zeugin erkennen. Miltner wunderte sich, wieso der junge Mann mit Diplomatenstatus als Übersetzer tätig war, aber er hätte nie vermutet, dass die Zeugin und der Dolmetscher Geschwister waren.

      Das lag zum Teil daran, weil er nicht alles mitbekam, was zwischen den beiden gesprochen wurde. Er konnte aber an der Reaktion der Zeugin ablesen, dass sie offensichtlich schwer unter Druck geriet. Er bat den Dolmetscher, nicht zu viele Drohungen in seine Übersetzung einzubauen, es wäre besser, die Vorteile einer straffreien Zukunft in ihrer Heimat zu betonen, und der Übersetzer nickte und fuhr fort.

      Der Dolmetscher warf nach dem zweistündigen Gespräch bedauernd das Handtuch und teilte dem Oberstaatsanwalt mit, dass die Zeugin trotz seiner Anstrengungen das Angebot für eine Rückführung in den Schoß der Familie vorerst abgelehnt hatte. Er sagte, die Zeugin hätte darum gebeten, seinen Vorschlag zu überschlafen. Ein zweites Gespräch wäre notwendig, was der Oberstaatsanwalt akzeptierte.

      Nachdem der junge Mann aus Afghanistan das Büro des Oberstaatsanwaltes verlassen hatte, verabredet er sich nachträglich mit der Zeugin für ein Vier-Augen-Gespräch.

      Fünf Minuten später betrat der Staatsanwalt den Biergarten im gegenüberliegenden Restaurant zu einem kleinen Imbiss und sah die beiden dort abgeschirmt in einer Ecke bei einer Tasse Tee sitzen. Es kam ihm so vor, als ob der Dolmetscher mit der jungen Frau Telefonnummern austauschen würde.

      Der Oberstaatsanwalt beendete seine Grübelei, vor allem versuchte er nicht mehr, an mögliche Konsequenzen von Seiten des Bosses zu denken. Der hätte ihm vermutlich diesen waghalsigen Versuch, die Kronzeugin auf seine Art zum Schweigen zu bringen, strikt verboten. Dem Anklagevertreter war bekannt, dass der Boss ‚Eigentümerrechte‘ auf die junge Frau beanspruchte.

      Rückblickend gestand er sich ein, dass sich der Prozess für ihn zum Albtraum entwickelt hatte, denn der Boss ließ nicht locker und seine Anmahnungen zur Beseitigung der Kronzeugin wurden drängender, ohne dass er eine Chance hatte, diese Forderungen zu erfüllen. Der Anführer erklärte ihn zum Versager und drohte ihm und seiner Familie mit Konsequenzen. Er schüttelte den Kopf, wenn er daran dachte, dass ihn seine Frau schon seit Jahren zum Ausstieg aus der Bruderschaft zu bewegen versuchte. Er winkte jedes Mal ab, wenn sie wieder davon anfing, und erklärte, wie schwierig eine Abkehr aus der ‚Gesellschaft‘ wäre.

      Schier unmöglich.

      Hatte man einmal den Eid auf die ‚Gesellschaft‘ geschworen, so bedeutete das, für immer dabei zu sein. Seiner Frau schwebte ein neues Leben, ein Kaltstart im Ausland vor, und sie bettelte ihn an, er möge an den gemeinsamen Sohn denken. Eben darum erklärte er ihr, ginge es nicht. Die Drohung der Sippenhaft hinge über allen.

      Und das gefiel Karl Miltner überhaupt nicht.

      Er hatte die ganze Zeit darauf vertraut, dass der Boss die Kronzeugin des Prozesses unauffällig und sauber beseitigen würde. Er hatte jede Art von Anstrengung unternommen