Oliver, das Sparbrötchen, nutzte die Ausrüstung des Wachschutzes der Seniorenoase. Die Ausrüstung für die Sprengung der Automaten ließ sich problemlos als Gebrauchsmaterial für das Pflegeheim beschaffen und war für die Polizei schlecht nachverfolgbar. Propangas- und Sauerstoffflaschen zum Beispiel kaufte das Heim ‚en gros‘ ein, und den Vorteil nahm Oliver einfach mit. Er selbst stellte nur das Personal und seine Leute benutzten die Fahrzeuge seines eigenen Fuhrparks, der auch für die falschen Kennzeichen sorgte.
Die beiden Männer zogen sich kurz um und trugen jetzt schwarze Arbeitskleidung mit dem Aufdruck „Wachschutz“ und FFP2-Gesichtsmasken. Die Sturmhauben, die sie später überziehen würden, lagen griffbereit. Gleich nachdem sie in ihrem ‚Dienstfahrzeug‘ einem unauffälligen dunkelgrauen Transporter koreanischen Fabrikats ihren Zielort erreicht hatten, bezogen sie Position in unmittelbarer Nähe der Lieferantenzufahrt neben dem Objekt in der Ortschaft Lautern.
Sie saßen im Auto und spielten mit ihren Handys.
„Ich bin mal gespannt, was wir heute abräumen“, übte sich Wolfgang Wolff in düsterer Vorahnung.
Für die Besucher des Einkaufszentrums schienen sie zum erweiterten Personal zu gehören. Sie hatten Ihr Auto außerhalb des Sichtfeldes der Fernsehkameras auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt vorsorglich so geparkt, dass sie auch nicht gesehen werden konnten, wenn das Personal den Markt nach Feierabend durch den Seitenausgang verließ. Während der letzten zwei Wochen nutzten sie in wechselnden Autos und Outfit die Gelegenheit, sich mit dem routinemäßigen Verhalten der Marktmitarbeiter vertraut zu machen.
Ab und zu verließen sie ihr Auto, als ob sie einen Kontrollgang machen müssten, auch das fiel keinem der Marktbesucher auf, und erlaubte später keine verwertbaren Zeugenaussagen. Sie warteten geduldig, bis der Sicherheitsdienst des Marktes nach dem Schließen der Ein- und Ausgänge seine Inspektionsrunden durchgeführt und freigestempelt hatte. Um 01:30 Uhr nachts fuhren sie den Wagen an die dem Haupteingang abgewandte Seite und betraten maskiert den Vorraum mit dem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse, der in Erwartung des Kaufwochenendes zum Monatsersten gut gefüllt sein sollte.
Sie platzierten die Propangas- und die Sauerstoffflasche hinter dem Automaten, führten das Zündkabel für den elektronischen, zeitverzögerten Zündschalter in die Kartenöffnung und fixierten die Schläuche mit Magnethalterung ebenfalls an der Kartenöffnung. Die Vorbereitung der Geldautomatensprengung dauerte keine zwei Minuten und die beiden öffneten die Gasventile, bevor sie sich in Ihren Wagen zurückzogen, um den Parkplatz zu überwachen, falls sich ein Unbeteiligter nähern sollte. Alles blieb ruhig, und um diese Zeit würde ohnehin niemand auf die Idee kommen, sich in einem Einkaufszentrum mit Bargeld zu versorgen. Sie warteten, bis die Explosion ausgelöst wurde, und stürmten mit einem Feuerlöscher bewaffnet in den von seinen Glasscheiben befreiten Vorraum. Der Geldautomat mit total demoliertem Oberteil und nahezu unbeschädigter Unterseite widerstand allen Versuchen, an das besonders geschützte Geldmagazin zu gelangen. Sie hatten nicht mehr als zehn Minuten, bis die alarmierte Polizei auftauchen würde, und die Zeit reichte einfach nicht, den Geldschatz zu heben.
Fluchend ließen sie die Sprengausrüstung und den Feuerlöscher zurück und liefen zu ihrem Fahrzeug, um diesmal über die B 47 zu Ihrem Ausgangspunkt in Bad-König zurückzukehren.
Es war ein langer Tag mit jeder Menge Stress für Wolfgang Wolff gewesen, und deshalb war es auch keine Überraschung, dass der elektronische Co-Pilot seines Transporters Wolfgang mehrfach aufforderte, eine Kaffeepause einzulegen. Müde drückte er die Anzeige der Kaffeetasse im Display immer wieder weg, bis er fast mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Zumindest war er jetzt wieder hellwach, und fünfzehn Minuten später bog er in den Autoabstellplatz für Gebrauchtfahrzeuge ihres Auftraggebers in Bad-König ein.
Sie montierten die falschen Kennzeichen ab und warfen sie in den Briefkasten zur Schlüsselrückgabe. Dann stiegen sie in ihren Wagen des mobilen Pflegedienstes um, denn das Heim bot auch mobile Pflege und insbesondere spezielle Dienste an.
Sie nahmen ihre Gesichtsmasken ab und steckten sich eine Zigarette an, bevor sie sich auf den Rückweg in ihr Wohnheim machten.
Kapitel 12
Katra Romanescu, geboren am Sonntag 27.11.2004 in Rescita, ledig. Ihr Vater Konstantin war ein arbeitsloser Trinker, die Mutter Valentina arbeitete als Putzfrau. Katra war vor der mittleren Reife von der Realschule in Rescita abgegangen, träumt von einer Modelkarriere in Deutschland, wird von der Mafia in der Seniorenoase als Sexsklavin gehalten.
Marbach Stausee, Montag 31.8.2020, 08:00 Uhr
Maxim saß in seinem Büro im Erdgeschoß der Pflegeoase „Jungbrunnen“ und unterschrieb gerade drei neue Werkverträge für ‚Reinigungskräfte‘ im Heim, nachdem er die Beschreibung der Mädchen geprüft hatte, die sein rumänischer Vermittler über seinen Sicherheitschef der Seniorenoase angeboten und geliefert hatte. Der Agent erfüllte Maxims Spezifikation, was Alter, Aussehen und den familiären Hintergrund der Mädchen anbelangte wie immer perfekt.
Die gutaussehenden Mädchen waren wie gewünscht sehr jung und stammten durchweg aus desolaten Familien. Die Eltern der Mädchen waren froh, dass wenigstens ein Familienmitglied Geld verdiente. Er hatte wie immer die Altersangaben der jungen Dinger im Werkvertrag für die Aufsichtsbehörde und das Einwohner Meldeamt passend gemacht. Den üblichen Eignungstest für den Spezialservice des Hauses mit der hübschesten von allen, der sechszehnjährigen Katra, hätte er direkt auf seiner Besuchercouch erledigt, wenn ihm sein Boss aus Kaliningrad sein Lieblingsprogramm nicht über den Haufen geworfen hätte.
Das Telefonat mit seinem Boss vor drei Tagen war diesmal anders gelaufen als üblich. Vitali hatte erstmal über die Disziplinlosigkeit seiner Leute getobt, und mit Konsequenzen gedroht und vor allem seinen Besuch in der Seniorenoase mit entsprechend rauem Unterton angekündigt.
Was hatte sich dieser Idiot von Oliver bloß dabei gedacht. Einen derart unprofessionellen Schlägertrupp auf diesen Investigativreporter zu hetzen, um ihn mundtot zu machen. Das wäre eine Stümperei sondergleichen gewesen und komplett an seiner Anweisung vorbei. Jetzt fehlten gerade noch der Steckbrief der beiden und eine Hausdurchsuchung beim Wachschutz des Heims.
‚Ob es stimmen würde‘, wollte er wissen, ‚dass einer der beiden Schläger sogar erkannt worden wäre?‘
Dass Oliver ständig in seine eigenen Taschen wirtschaftete, das war eine Sache, die dem Boss seit langem ein Dorn im Auge war. Aber dass Oliver leichtfertig die Sicherheit der ‘Gesellschaft’ mit seinen schlampig geplanten und ausgeführten Einbrüchen und jetzt mit dieser Schlägerei aufs Spiel setzte, das war zu viel des Guten. Maxim ließ den Boss reden und dachte, dass er das gefälligst selber regeln sollte. Beim nächsten Besuch kündigte Vitali jedenfalls ein Vieraugengespräch mit Oliver als letzte Warnung an.
Maxim wollte nicht widersprechen, um den alten Mann nicht weiter aufzuregen. Vitali wäre ihm fast an den Hals gegangen, wenn nicht die Onlinesprachverbindung dies unmöglich gemacht hätte, und Vitali kam dann auch sofort auf sein Hauptanliegen zu sprechen, nämlich darauf, wie schlecht sich das Geschäft unter lokaler Führung entwickeln würde.
Nach Maxims Ansicht war daran eindeutig und noch immer Corona schuld.
Die Entwicklung auf dem Drogenmarkt für harte Drogen hatte sich seit dem Corona Ausbruch rapide verschlechtert, obwohl es mehr Drogentote als im Vorjahr gab. Aber der Trend zu Drogen hatte sich tendenziell weg von Heroin zu Kokain und den chemischen Modedrogen entwickelt. Insbesondere seit die Methadonzentren geschlossen waren und vielleicht auch wegen der Häufung coronabedingter, sozialer Abstürze quer durch die Gesellschaft steigerte sich zwar der Drogenkonsum wieder langsam, aber davon konnte die Opiummafia wenig profitieren.
Die übrigen Geschäftsfelder der Organisation warfen ebenfalls coronabedingt weniger ab, und Maxim