Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
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in der wohl aussichtslosen, jedenfalls ein ums andere Mal unerfüllten Hoffnung, durch offensichtliche zahlenmäßige Unterlegenheit den Feind hervorlocken zu können, den er im mählich ansteigenden, von Süden her die Steppe begrenzenden Hügelland versteckt wähnte. Wenn er dann um die Mittagszeit zurückkam, hilflos vor Wut und Enttäuschung, kühlte er sein Mütchen meist an seinen Untergebenen – aber nur so lange wie er brauchte, um sturzbetrunken auf dem Schlaflager seines Zeltes ausgestreckt zu liegen, was in aller Regel am frühen Nachmittag der Fall war.

      Als Aedhwyn beschloß, genesen zu sein, kurz vor der Sommersonnwende also, war Lyghdar nurmehr ein geharnischter Schatten, bleich, hohlwangig, glasigen Blickes, mit schlaffer Haut und tiefen, faltigen Ringen an blutunterlaufenen Augen. So begegnete er dem bhyandrischen König auf dessen erster, zielloser Fahrt mit dem Streitwagen, die ihn am Rand des Hügellands entlangführte. Das Zusammentreffen erlebte Aedhwyn durchaus nicht unvorbereitet, da er natürlich über Lyghdars tägliche, wenn auch absurde Kundschaften unterrichtet war. Aus einer Art Gewohnheit heraus hatte er die Hand auf dem Schwertknauf liegen, als der andere mit der Streitaxt in der Hand vom Rücken seines tänzelnden, abrupt ausgebremsten Rosses mißmutig auf ihn herabblickte. Wiewohl Lyghdar keinerlei Grund gehabt haben dürfte zu glauben, zwei einzelne Feinde kämen ihm auf einem Kriegswagen ausgerechnet vom vandrischen Lager her entgegen, hatte der unverhoffte Anblick dennoch die zu lange schon unterdrückte Kampflust in ihm aufwallen lassen, oder so schien es zumindest.

      Auf Aedhwyn machte er einen wirren Eindruck, als er unvermittelt und grußlos fragte:

      „Du hier?“

      „Bhyrduns Segen, Lyghdar. Wie du siehst, bin ich des Darniederliegens müde.“

      „Dhwyrd schütze dich. Ich wunderte mich schon, daß du es so lange aushältst.“

      „Die Beodhrim und ihre verfluchten Pfeile“, knurrte Aedhwyn. „Am Ende wird Mraeghdar noch recht haben.“ Und mit einem flüchtigen Blick auf seine linke Hüfte: „Dies war nicht meine erste Kriegsverletzung, bei Kadhus stinkendem Atem, du weißt es wohl; aber noch einen Tag länger ohne die Feuerkur – wenn ich Yldrun Glauben schenken darf, und das tue ich – und Ardwihal hätte jetzt einen Einwohner mehr. Aber sag mir: haben die Feinde dein Aussehen so ruiniert, daß....“

      „Sehr witzig, Aedhwyn. Als ob du nicht wüßtest, daß uns die feigen Hurensöhne haben sitzen lassen, ehe wir uns auch nur aufwärmen konnten!“

      Fast hätte man schwören mögen, daß Lyghdars Gesicht vor Ärger etwas von seiner gewohnt frischen Färbung zurückbekam. Aedhwyn verkniff sich ein Lächeln und begann ihn mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit zu tadeln:

      „Warum vergeudest du dann auf so unsinnige Weise deine Kraft, und die deiner Leute noch dazu? Was, wenn der Feind uns nur zu zermürben sucht, um dann im ungeahntesten Augenblick zuzuschlagen? Willst du ihm etwa in diesem Zustand begegnen? Geh, heiß einen Sklaven ein kupfernes Blech aufpolieren und schau dich selbst an, wenn du mir nicht glaubst!“

      Nicht ohne Befriedigung registrierte Aedhwyn ein gefährliches Funkeln in Lyghdars leicht verengten Augen. Kaum daß es aufgeglommen war, wandte der Lugdhir den Blick ab, knirschte etwas unverständliches zwischen den Zähnen hervor und gürtete die Streitaxt.

      So nahm endlich auch er selbst die Hand vom Schwertknauf.

      Wenig später trafen sie beide, daß heißt Lyghdar ohne Leibgarde und Aedhwyn ohne seinen Wagenlenker, bei Mraeghdar ein. Hwyldur war angewiesen, mit dem Wagen am khyltrischen Tor zu warten, und Lyghdar hatte seine beiden Leibgarden zusammen mit den übrigen Männern in das eigene Lager geschickt, wohin er sich in Kürze ebenfalls begeben würde.

      Nun war es kein Geheimnis, womit der Großkönig seit dem Ausbleiben neuer kydhrischer Angriffe einen Großteil seiner Zeit zubrachte. Aber Aedhwyn stellte sich dem Anblick zum ersten Mal in eigener Person; so konnte er sich nicht eines mißbilligenden Kopfschüttelns enthalten als er sah wie Mraeghdar, den beodrischen Bogen in der Linken und das gefiederte Pfeilende zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand haltend, konzentrierten Blickes und mit seitwärts gewandtem Kopf die Sehne spannte und auf einen eisernen Helm zielte, der in einiger Entfernung über einen senkrecht aus dem Boden ragenden Pfahl gestülpt war. Offensichtlich – und das war das Beste! – nahm er Anweisungen von einem dicht dabei stehenden Kydhmar entgegen, wobei es sich zweifellos um jenen Gefangenen handelte, dem er vor bald zwei Monaten, am Tag von Yldruns rettendem Eingriff, überraschend und im allerletzten Augenblick den Feuertod erspart hatte.

      Zwischen ihnen stand Kalyomelas.

      Aedhwyn zuckte zusammen, als der von der Sehne schwirrende Pfeil mit nicht geahnter Wucht durch den Helm krachte und federnd im Holzpfosten steckenblieb, gefolgt von einem lobenden Ausruf des Kriegsgefangenen, in kydhrischer Sprache, aber augenblicklich durch Kalyomelas verdolmetscht. Aedhwyn, nicht zuletzt um sich selbst über den unerwartet heftigen Eindruck hinwegzutäuschen, stimmte in Lyghdars betont langsames Klatschen mit ein, womit sie nun beide spöttischen Beifall bekundeten.

      Als Mraeghdar sich zu ihnen umwandte, war an seinem Gesicht unschwer abzulesen, daß er ihre Anwesenheit tatsächlich nicht bemerkt hatte. Was er hingegen verbarg, waren seine Gemütsregungen über den nachgeäfften Beifall. Stattdessen verkündete er seinerseits mit spöttelnder Erfreutheit:

      „Ah, welch seltener Besuch! König Aedhwyn, darf ich vorstellen: Piloktas, Sohn des Paimakto, vom Stamm der Beodhrim. Wie du siehst, nicht nur ein fähiger Schütze, sondern auch ein ausgezeichneter Lehrer im Umgang mit dem Kriegsbogen.“

      „Und du sein eifriger Schüler, nicht wahr?“

      „Und das ist erst der Anfang. Warte nur, bis....“

      „Vor einem Monat waren es noch Hirten und Heidebewohner, die du mit dem kydhrischen Spielzeug bewaffnen wolltest. Wie sagtest du doch: ungelenkes Fußvolk, Bauern, Halbsklaven....?“

      „Sehr richtig. Soll ihnen der Großkönig in etwas nachstehen, im Umgang mit Kriegsgerät zumal?“

      Lyghdar, der mit verschränkten Armen und ernster Miene dem Wortwechsel der beiden Könige gelauscht hatte, begann auf diese Worte hin mit leise glucksender Stimme in sich hineinzulachen und drehte sich um. Kopfschüttelnd murmelte er etwas unverständliches daher, während er sich einige Schritte vom Ort des Geschehens entfernte.

      Achtlos warf Mraeghdar den Bogen von sich und starrte Lyghdar aus den Augenwinkeln hinterher; aus Stein gehauen, hätten seine Züge nicht kälter und unbeweglicher sein können.

      Schließlich erklärte er mit über die Schulter gewandtem Kopf den heutigen Unterricht für beendet. Kalyomelas zog sich unverzüglich, wenn auch zeremoniell zurück; Mraeghdar nahm keine Notiz davon, so wenig wie von Piloktas' eifriger Nachahmung des Kniefalls und der bodentiefen Verbeugung. Geduldig wartete er, bis der beodrische Gefangene den Bogen aufgehoben und den Pfeil aus dem Holzpfosten gezogen hatte. Als er dann auch noch anfing, die zuvor am Ziel vorbeigegangenen Geschosse aus der Palisadenwand zu ziehen, wurde es ihm zuviel. Ungeahnt plötzlich wirbelte er herum, riß einem bereitstehenden Sklaven den mit Wasser gefüllten Messingkrug aus der Hand und schleuderte ihn nach Piloktas.

      Blechern polterte das Gefäß gegen die Palisadenwand, knapp neben seinem bis auf den zusammengebundenen Schopf in der Mitte kahlgeschorenen Kopf. Zu Tode erschrocken ließ der Beodhir alles fallen, außer dem Bogen, und machte sich hastig und geduckt aus dem Staub.

      Mit einem tiefen Seufzen wandte sich Mraeghdar erneut Aedhwyn und Lyghdar zu.

      „Hört zu“, ließ er verlauten: „Laßt uns während der kommenden Tage zusammenfinden, und ich will euch meine Pläne im Einzelnen kundtun....“

      „Ausgezeichnet!“ nahm Lyghdar den Vorschlag auf. Er war jetzt wieder hinzugetreten und packte die anderen beiden vertraulich bei der Schulter. „Ist nicht bald Sonnwende? Gut. Dhréadyn und Yldrun werden sie euch auf den Tag genau bezeichnen. Kommt in mein Lager und seid meine Gäste, ich will mit euch ein Getränk verkosten, das wir aus einem fernen Land beziehen.“ Bei diesen Worten blinzelte er verschwörerisch in Richtung des Großkönigs. „Ihr werdet es lieben, bei Dhwyrd! Mraeghdar, du wirst uns dein Vorhaben verkünden; dann wollen wir zu Haeldwyrs