Die Katalysatorin. Liesbeth Listig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liesbeth Listig
Издательство: Bookwire
Серия: Weltensichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742792068
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zu können.

      Dort, wo vor vielen Jahren zumindest noch einige Überreste des verfallenden Stalles zu sehen waren, war nun nichts mehr zu erkennen, woran Rigo die Vergangenheit hätte festklammern können. Nur die Bank auf dem Deich, wo sie, Manfred und er, vor längerer Zeit Bernhards Seele aufgenommen hatten, war noch an ihrem Platz. Erschöpft und desillusioniert ließ sich Rigo auf ihr nieder. Es war ein schöner Sommertag und die See kehrte langsam an die Küste zurück. Zumindest an Ebbe und Flut hat sich hier nichts geändert, dachte Rigo und lauschte dem Gesang einer Lärche, die hoch über ihm ihr Lied trällerte.

      Nachdem die Flut ihren Höhepunkt erreicht hatte stand Rigo abrupt auf. Alles hat seine Zeit dachte er noch und ging dann schnellen Schrittes zurück in die Zivilisation. In der nächsten Gaststätte rief er sich ein Taxi und der Fahrer staunte nicht schlecht, als sein Fahrgast ihm das Ziel der Fahrt mitteilte. Ab nach Hamburg. Lass es nen „alten Hut“ kosten. Nur weg aus der Vergangenheit.

      Endlich war er in seinem neuen Zuhause, nicht nur körperlich sondern auch geistig, angekommen. Auch die beiden anderen hatten Vergangenheitsbewältigung betrieben und alle waren sich einig, dass sie nicht wieder versuchen würden, an ihr erstes Leben anzuknüpfen.

      „Schließlich sind wir neue Menschen in neuen unverbrauchten Körpern“, lockerte Agnes die Situation auf. „Oder habt ihr noch eure verletzungsbedingten Metallplatten in euren Schädeln? Nur die Erfahrungen können uns hilfreich sein, wie alter Wein in neuen Schläuchen.“ „Schläuche?“ Rigo grinste verschmitzt und anzüglich und Agnes lief wieder einmal rot an. „Ach hätte man euch doch bloß eure versauten Festplatten formatiert, als ihr neu geboren wurdet“, meinte sie scherzhaft.

      Götterdämmerung

      Die relative Eigenzeit des Doppelgestirns war für die beiden gefangenen Daseinsverwalter kaum zu ertragen. Tausend Jahre waren hier so lang wie ein Erdentag und sie waren nun schon einige tausend Jahre an dieses System gefesselt. Mit Erika war nicht mehr zu reden. Der oberste Daseinsverwalter hätte erbrechen können, wäre er ein regulärer Stoffwechsler gewesen. Pausenlos rezitierte diese verrückte Erika Gebete zu ihrer Göttin.

      Abgrundtiefer Hass sprühte aus den Worten der Ehefrau des Daseinsverwalters Norbert. Keine Liebe, kein Mitgefühl weder zu ihrem Mann oder ihrem Sohn, noch zu dem, den sie einmal für ihren Geliebten gehalten hatte und schon gar nicht zu irgendwelchen Ebenbildern, gab es einen positiven Gedanken. Krank vor Wut und Hass schleuderte Erika ihre Gebete hinaus ins Endlose, nicht ahnend, was sie damit heraufbeschwor.

      Langsam bildete sich ein riesiger, dunkler Flecken mit wabernden, kaum wahrzunehmenden Rändern und hellen, krystallinen Strukturen in seiner Mitte, die ständig ihre Form wechselten. Eine telepathische Stimme donnerte durchs Kontinuum:

      RUHE!!!

      Mit welcher Penetranz verbreitest du das Böse und wagst es dabei, mich anzurufen? Schnulli war schnurstracks in Ohnmacht gefallen. Erika war starr vor Schreck und wagte es nicht, irgendeinen Ton von sich zu geben. Aber die Frage dieser monströsen Entität war sowieso rhetorisch gemeint und bedurfte keiner Antwort.

      Erikas „Göttin“ mäßigte ihren Ton, sodass nur die Frau des Daseinsverwalters sie noch hören konnte. Eine glockenklare Frauenstimme hauchte erklärende, aber bedrohliche Worte in ihr Hirn. Ich habe euch Daseinsverwalter geschaffen, um Kontinuen zu konstruieren. Ihr werdet jedoch niemals meine Ebenbilder sein. Ihr seid nur Werkzeuge, denen ich aber wohl zu viele Freiheiten gelassen habe. Warum ist so viel Hass in dir? Ich wäre in der Lage euch ausgeleierte Werkzeuge „von der Werkbank zu fegen“ und neue zu erschaffen. Aber ich bin neugierig. Euch Daseinsverwalter unterscheidet kaum etwas von euren Ebenbildern. Seid ihr auch solch garstige Fehlentwicklungen? Habe ich einen Fehler gemacht? Unmöglich!

      Erika wollte etwas zu dieser einseitigen Kommunikation beitragen und erklären, warum sie solch negative Gedanken verbreitete. Aber es war ihr nicht möglich ihre Gedanken zu formulieren. Schweig! Die Entität, die wohl eine Göttin darstellte, blockierte Erikas Widerworte, bevor sie diese aus ihrem Geist entlassen konnte. Ich weiß alles, was du denkst und was du jemals gedacht hast.

      Ich werde allen aus der Sippe der Daseinsverwalter erst einmal ihre Fähigkeiten nehmen und sie gemeinsam mit ihren Ebenbildern leben lassen. Dann werde ich ja sehen, ob sie moralisch über diesen stehen oder sich zumindest dahin entwickeln können und, ob sie noch als Werkzeuge zu brauchen sind. Eine solche Katalyse ist manchmal ein „Selbstgänger“ und allemal einfacher, als alles wieder von vorn zu beginnen.

      Außerdem ist dieses Possenspiel in einem Kontinuum des „Fressen und Gefressen werden“ eine willkommene Abwechslung. Ein toller Horror. Ich kann gar nicht wegsehen. Könnte mich daran gewöhnen.

      Wandlungen

      Die Besprechung auf J.R.s Terrasse wurde wie immer von Marias Limonade und Leckereien bereichert, die jedoch von den Daseinsverwaltern dankend abgelehnt wurden. „Schade, dass ihr unsere drei Freunde vergrault habt“, meinte George scherzhaft. „Dann würde sicher alles alle werden.“ Die haben wir nicht vergrault, dachte Manfred in die Runde. Es geht ihnen gut und wahrscheinlich auch besser mit ihren Zweitleben, als ständig zusehen zu müssen, wie wir um den Erhalt der Menschheit kämpfen.

      Aber… Norbert hob gerade an, das Gespräch wieder zum Wesentlichen zu bringen, als ein donnerndes „RUHE!“ durch alle Gehirne, nicht nur jene der Telepathen, donnerte. Was war das? Thore war blass geworden und schaute entsetzt in die Runde. Allen stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Als sie sich einigermaßen wieder gefasst hatten, meinte George geistesgegenwärtig, „Ich werde umgehend die Krystalle befragen, ob sie mehr darüber wissen, und ob sie die Richtung, aus der dieser Ruf kam, bestimmen können. Er verschwand in der kurzen Dämmerung des Outbacks wie ein Spuk.

      „Daran werde ich mich nie gewöhnen“, meinte J.R. und Maria lächelte. Nach einiger Zeit erschien George wieder und erklärte, dass der Befehlsruf wohl aus der Richtung des Doppelgestirns gekommen sei. Du kannst unmöglich schon vom heiligen Berg zurück sein, überlegte Thore. Und die Krystalle sind sonst auch nicht so schnell mit ihrer Analyse. Nun lächelte George hintergründig.

      Das Phänomen George wurde aber zu diesem Zeitpunkt nicht weiter ergründet. Manfred erklärte, er werde sofort aufbrechen, um zu sehen, ob sein älteres Ich noch Wache halten würde oder, was mit Erika passiert sei. Ohne weitere Diskussion raste er ins All, um dort eine Raumkrümmung zu erzeugen, die ihn zum Ort des wundersamen Rufes tragen würde.

      Schnell wurde es Nacht und über dem wolkenlosen Outback wurde ein sternenklarer Himmel sichtbar. Die Zurückgebliebenen saßen in ihren Schaukelstühlen und sinnierten vor sich hin. Dann schob sich langsam eine Wolke vor den Sternenhimmel. Merkwürdig dachte Norbert, der Mond ist noch vollkommen zu sehen. Das ist keine natürliche Wolke. Ein eisiger Wind kam auf und ein Kribbeln, wie von tausend Stecknadeln erfasste den Körper jedes Einzelnen der kleinen Gruppe.

      Norbert und Thore sanken auf ihren Stühlen bewusstlos zusammen. Auch Maria und George verloren kurzfristig das Bewusstsein. Die Sterne wurden wie durch einen Schleier teilweise wieder sichtbar und die wolkenhafte Erscheinung wirkte nun wie von Eiskrystallen durchsetzt, welche ständig ihre Form änderten.

      Es ist vollbracht, dachte die Katalysatorin und verschwand langsam wie sie gekommen war. Langsam kamen die Ohnmächtigen wieder zu sich. Ich muss eingeschlafen sein, dachte Norbert. Alle anderen waren auch wieder erwacht, aber Norbert hatte das Gefühl, dass er allein im Universum sei. Er war kopfblind und er war hungrig.

      „Was ist mit uns passiert?“ Der so angesprochene Thore hatte noch nicht realisiert, dass auch er seine telepathischen Kräfte eingebüßt hatte. Als dieses ihm bewusst wurde, versuchte er als erstes einen Teleportersprung. „Du siehst aus, als würdest du etwas in die Windeln drücken“, lachte Norbert. Aber als auch sein Versuch fehlschlug, war ihm nicht mehr zum Lachen zumute.

      Auch Maria und George sahen sich entsetzt an. Der einzig Normale in der Runde blieb J.R., der auch langsam die Situation erfasste. „Es wird uns nichts übrig bleiben,