Die Katalysatorin. Liesbeth Listig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liesbeth Listig
Издательство: Bookwire
Серия: Weltensichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742792068
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jedoch nicht minder „unterhaltsam“ darstellte. Soll ich aufhören oder verträgst du noch mehr Scheußlichkeiten? fragte Erika besorgt. Noch mehr? Schnulli war fassungslos. Ja, Norbert hat dabei eine Spezies erschaffen, die zwar nicht teleportieren kann, welche uns aber in fast allen anderen Bereichen überlegen zu sein scheint. Schnulli schnappte nach Luft, was in der Luftleere des Weltraumes nicht möglich und höchst überflüssig war und verlor das Bewusstsein.

      Als er endlich wieder zu sich kam, redete Erika weiter auf ihn ein. Diese Seelenspiegler sind Wissenssammler und verdammt gute Telepathen. Was sollen wir nur tun? Ich habe Angst, dass wir hier das Ende dieses Kontinuums abwarten müssen. Ich würde sicher vor Wut und Rachegelüsten platzen.

      Mir geht es ähnlich, dachte Schnulli. Auch wenn es nun kaum noch Sinn macht, die Ebenbilder vorzeitig auszumerzen, wäre es mir eine Genugtuung, deiner Brut zu zeigen, wer hier der Chef ist. Auch ich hasse diese Ebenbilder, auch wenn sie recht unterhaltsam sein dürften. Aber wir kommen hier ja sowieso nicht weg. Resigniert ließ der Daseinsverwalterwurm sich hängen und Erika durfte die nächsten Jahrhunderte, Eigenzeit des Doppelsystems, allein ihrer Wut frönen.

      Erinnerungen

      „Etwas größer als die Behausungen zu unseren ersten Lebzeiten“, meinte Rigo lapidar, als er das neue Domizil in Augenschein nahm. „Du hast einen Hang zu Untertreibungen“, lachte Agnes. „Diese riesige Wohnung ist wohl kaum mit unserer früheren Bude am Flughafen zu vergleichen. Und auch dein abgewrackter Schuppen am Meer kann damit schwerlich konkurrieren.“

      Auch Bernhard lachte. „Aber eventuell hat er sich dort damals doch recht wohl gefühlt“, meinte er fragend zu Rigo gewandt. „Ja klar. Ich würde tatsächlich erst einmal diese sicher sehr teuren Designermöbel rausschmeißen. Sie sind mir zu kalt und unpersönlich. Eine etwas vintagemäßige Einrichtung wäre mir angenehmer.“ „Mir auch“, meinte Agnes und auch Bernhard stimmte zu. „Aber vorerst müssen wir selbst uns standesgemäß präsentieren. Ich habe uns einen Modeschöpfer eingeladen, der uns in ein paar Minuten beratend zur Seite stehen wird“, eröffnete Agnes ihren verblüfft dreinblickenden Jungs. „Wie kannst du nur?! Ohne uns zu fragen“, ereiferte sich Bernhard.

      „Hoffentlich hat er auch ein paar ordentliche Gehstöcke dabei“, sagte Rigo fragend. „Dafür hab ich extra einen Antikhändler bestellt“, meinte Agnes begeistert. Rigo stöhnte nur auf und ergab sich in sein Schicksal.

      Der Tag schritt voran und der Modepabst hatte Probekleidung für alle hinterlassen. Rigo hatte sich einen wunderbaren, alten Gehstock gekauft, wie er sie so liebte und war hoch zufrieden. Allerdings hätte der Stock mit dem goldfarbenen Schlangengriff gar nicht verkauft werden dürfen, da er versteckt einen Stichdegen enthielt und somit eine Waffe darstellte.

      „Juhu, juhu“. Agnes kam in einem Designerabendkleid aus einem der Zimmer geschwebt. „Na, gefällt euch das?“ fragte sie erwartungsvoll. „Du siehst sehr verführerisch aus.“ Rigo strich sich das Kinn und überlegte schelmisch. Mit hochrotem Kopf entfleuchte die holde Agnes wieder. Rigo und Bernhard grinsten ihr wissend hinterher. „Männer“, tönte es aus dem Nebenzimmer. „Jetzt sind wir fast hundertfünfzig Jahre alt und die denken immer noch nur ans vögeln. Badet, geht zum Friseur, probiert eure Anzüge an und lasst euch richtige vom Herrenschneider anpassen und dann, wenn ich danach einmal in der richtigen Stimmung sein sollte, können wir über euer Anliegen reden.“

      Verblüfft sahen sich die beiden Zurechtgewiesenen an, verabschiedeten sich jedoch gleich nachdem sie die Anzüge kurz anprobiert hatten und begaben sich als erstes zum Herrenschneider, um sich alles, auch die Links- und Rechtsträgereigenschaft, anmessen zu lassen. Danach erfüllten sie die weiteren Aufträge und kehrten nach vielen Stunden abgekämpft zurück.

      Zwischenzeitlich hatte Agnes den Catwalk allein bestritten und den Spiegel ausgiebig befragt, welche Kleider ihr stehen würden. Für eine fast Hundertfünfzigjährige hatte sie einen modernen und teuren Geschmack, der zu ihrer derzeitigen Figur einer Zwanzigjährigen passte. Dementsprechend hatte sie nur wenige Stücke abgewählt, die nicht zu ihr passten. Den „kleinen Rest“ hatte sie dann in Auftrag gegeben und ein Abendkleid vorerst zurückgehalten. Sie hatte Konzertkarten für den Abend erstanden und die beiden Herren durften mitkommen, auch wenn ihre Anzüge noch nicht maßgeschneidert waren. Sie brauchten nicht ganz so gut auszusehen wie eine Agnes von Welt.

      Die ganze Gang war von dem umsichtigen Norbert mit neuen Papieren und Kreditkarten ausgestattet worden. Dabei war reichlich Traummaterie zum Einsatz gekommen, denn die Papiere waren so gut wie echt. Wie er das wieder hinbekommen hatte war allen nicht so recht klar. Aber Papiere, welche sie als hundertfünfzigjährige, alte Herrschaften ausgewiesen hätten, wären mit Sicherheit als unecht angesehen worden. Agnes hatte nun das fast unerschöpfliche Konto per Kreditkarte geplündert, wie es sich für eine Dame von Welt gehörte. Wie eine Königin gekleidet und in Begleitung zweier würdig wirkender Herren schritt sie die Treppen herunter.

      Das Konzert, das nur einige Etagen tiefer stattfand, war phänomenal. „Schön, dass wir nicht die Mäntel dabei haben mussten, da wir hier wohnen“, meinte Rigo pragmatisch. „Aber du konntest auch nicht deinen Gehstock spazieren führen“, frotzelte Agnes. Bernhard grinste in sich hinein und Rigo entgegnete anzüglich, dass sie erst einmal im Restaurant etwas für das leibliche Wohl sorgen sollten. Danach würde er ihr gern sein Stöckchen zeigen. Bernhard grinste weiter und Agnes lief rot an, sagte aber nichts dazu.

      Also wurde erst einmal standesgemäß gespeist. Die Teller waren wieder einmal zu groß und die Speisen hübsch aber zu klein, was Rigo lautstark bemängelte. Rustikalere Portionen wären ihm lieber gewesen, aber so bestellte er sich eben, sehr unfein, diverse Gänge und er und die anderen beiden köpften dazu diverse Fläschchen. Gut gefüllt mit Speis und Trank wurde so verhindert, dass Koch und Ober ebenso dem „Köpfen“ anheimfielen.

      Nach dieser Essenorgie wurde das Designerbett eingeweiht. In Ermangelung von nüchternen Gedanken allerdings ohne das allseits beliebte Stöckchenspiel. Ausschlafen war angesagt. Nach einer alptraumgeschüttelten, traumreichen Nacht und einem Geschmack in den rundum ausgetrockneten Hälsen, als habe ein ganzer Zoo seine Hinterlassenschaften dort hineingekehrt, wurde ein reichliches Frühstücksbüffet in die Wohnung bestellt, um die Hirne wieder in Planungsbereitschaft zu versetzen und die Hinterlassenschaften der Nacht zu vertreiben.

      Nach vielem Hin und Her wurde entschieden, dass die Wohnung groß genug sei, ein Detektivbüro von dort aus zu betreiben. Schließlich wollten die drei „Ausrufezeichen“ ja auch nicht eine Allerweltdetektei führen, sondern für Leute mit gehobenen Ansprüchen da sein. Aber, gemach, gemach. Erst einmal sollte das neue Leben genossen werden, bevor eine intensive Arbeit sie lockte.

      Wohnung einrichten, die alte Stadt neu kennenlernen und ein wenig Urlaub. Alles das schien vorrangig zu sein. Und so wandelten sie bald auf den Spuren der Vergangenheit, suchten die Gräber von Freunden auf, die nicht einen Seelenspiegler zum Freund hatten und besuchten die Orte, die ihnen in ihrem ersten Leben wichtig waren. Nachdenkliche und teilweise tränenreiche Momente hielt das neue Leben für sie bereit.

      Rigo wollte allein die Stelle besuchen, an der er so viele Jahre seines ersten Lebens verbracht hatte. So fuhr er mit der Bahn an die See und seiner Vergangenheit entgegen. Versonnen sah er aus dem Fenster, als der Zug fast abrupt von der Geest ins Marschland überwechselte und alte Erinnerungen wurden in Rigo wachgerüttelt.

      Seine alte Kate, ein früherer Schafstall hinterm Deich, in dem er viele Sommer ein Eremitendasein geführt hatte, würde davon noch etwas übrig sein? Das Heringseck und der Sternhof, würde es das alles noch geben? Die Spannung in ihm wuchs, als er den Bahnhof auf dem einzigen Bahnsteig Nummer hunderteins betrat, um gegenüber auf Gleis hundertzwei den Schienenbus ins Seebad zu besteigen.

      Am Ziel seiner Reise und seiner Erwartungen angekommen marschierte er zu Fuß die Strecke, welche er früher so oft mit seinem quietschenden Drahtesel zurückgelegt hatte. Über sechzig Jahre waren zwischenzeitlich ins Land gegangen. Rigo hätte nicht herkommen sollen. Den Sternhof gab es nicht mehr. Eine neue Pension war dort gebaut worden und auch die Überreste der Familie Mohl hatte der Wind fort getragen. Der Campingplatz