Hans-Georg Fabian
Dunkler weiter Raum
Versuch über Gott und die Welt in 15 Gesängen und einem Zwischenspiel
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Inhaltsverzeichnis
3. Gesang: Excerpt from a preteenage opera. Denkt auch an morgen. Denkt auch an mich.
4. Gesang: Open country joy. Laissez tous les enfants boogie. Dr. HuK & his Medicine Show.
5. Gesang: All things must pass. Love, Devotion, Surrender.
6. Gesang: Nothing but the truth. Robins blaue Eier und Satanas Vorhaltakkorde.
7. Gesang: A cry for everyone.
10. Gesang: Too bad it ended so ugly, too bad, too bad it had to go that way.
11. Gesang: The trouble with normal.
12. Gesang: Allan wia a Stan. Half my fault und half the atmosphere.
13. Gesang: Alles compares 2 U. A whole mountain range of misunderstanding.
14. Gesang: Leichter gesagt...
15. Gesang: ...und es doch nie getan.
Januar 2002 (1. Forts. 15. Gesang)
Wochen später, Provinz statt Provence (2. Forts. 15. Gesang)
1. Gesang
Die Bahnhofsampeln: auch dem Kirchentagsvolk egal. Drei Doppelspuren, Straßenbahnschienen, dazwischen Inseln; alles weiträumig überschaubar und somit eine Prinzipienfrage, hier dem Gesetz oder der Vernunft zu folgen. Psalm 31, Vers 9: "Du stellst meine Füße auf weiten Raum", Losung zum 29. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2001 in Frankfurt am Main. Stuttgart, der Austragungsort vor zwei Jahren, war für einen evangelischen Kirchentag irgendwie "passender", weil "kirchlicher", "evangelischer". In Stuttgart gehören Flugblattverteiler protestantischer Endzeitsekten selbst beim Schlußverkauf irgendwie dazu, Sekten, die mir selbst heute noch...
Kaisersack, Anfang und Ende des Bahnhofsviertels. Ein schwarzes US-Vokalensemble, Gospelpop, Passantenapplaus. Ihr Prediger ein Weißer. Gleich werden sie mich bekehren wollen, und... allen entsprechenden Erfahrungen zum Trotz immer noch besser als dieser satte, selbstzufriedene Kulturprotestantismus, dieses Volkskirchenbürgertum, das in seinen "stillen Momenten" irgendwas vom "Herrgott" faselt, und daß es vielleicht da droben ja doch vielleicht eine höh're Macht geben könnte, müßte, sollte, vorausgesetzt, daß...
New Man bei "Dr. Müller", New Man in der Stadt Paul Tillichs. Monitore in Backsteinwänden, die Wände dunkelblau schutzlackversiegelt; eher Schutz- als Lasterhöhle, ein Fluchtpunkt für all jene, die nicht zum schwulen Establishment zählen, sich gegenseitig dann ja doch nicht, kaum daß sie hinter der Schranke sind... – Nein, heute auf gar keinen Fall. Später, morgen, gewiß, vielleicht. Jetzt einfach schnurstracks dran vorbei. Das kann ich schließlich immer haben.
Die Christusfiguren auf den Bankendächern fügen sich so harmonisch ins Stadtbild ein, daß sie auch nach dem Kirchentag dort verbleiben könnten. Das sorgsam mit Tesafilm befestigte Pappschild auf dem T-Shirt des Halbwüchsigen, der sich mit seiner Clique beim Zirkuszelt vom CVJM, das mehr an eine orthodoxe Kapelle als an ein Zirkuszelt erinnert, trifft, scheint mir da ungleich mehr Mut zu verlangen, das Schild, auf dem ein einziges Wort, mit Kugelschreiber in Großbuchstaben geschrieben, steht, und zwar das Wort "Ficken".
- "Nichts Geringeres als ein Symbol", um es mit einem Topos Paul Tillichs zu sagen? Auf dem Marktplatz ein afrikanisches Trommlerensemble; ich bleibe und rauche am Rande. Man scheut sich an solchen Tagen schon fast, seine Kippen auf den Boden zu werfen, und außerdem ist Fronleichnam bekanntlich immer noch ein katholisches Fest.
Endlich mal einer, der Zettel zur Rettung der Sünderseelen verteilt, "Flyer", wie man heute so sagt; hinter ihm ein Greenpeace-Stand zur Rettung allein der Erde. Ein Heiliger, ein Auserwählter, einer der 144.000, die auf Vergeltung ihrer Qualen hoffen, erlitten beim Anblick der Unzucht, und keinen Verkehr mit Weibern hatten, und dieses ja wirklich ein Bibelwort und nicht Sonderlehre der "Sondergemeinschaften", wie in seinem Standardwerk "Seher, Grübler, Enthusiasten" Oberkirchenrat Kurt Hutten die religiösen Einzelgänger und endzeitlichen Sonderlinge und durchaus mit Respekt betitelt hat. Neulich auf der Arbeit ein Hörfunkbeitrag von 1966, Kurt Hutten zu den Chancen und Grenzen der, wie man damals so sagte, "sexuellen Revolution". Ja, auch zu den Chancen. Mündigkeit und Verantwortung. 1966.
Die ab 16 Uhr gültige Abendkarte kostet nur die Hälfte, und Kirchentag hab ich auch hier; außerdem fahr ich auch morgen nach Frankfurt, und übermorgen ebenso. Der Sommer hat gerade mal angefangen; Berlin kommt noch zurecht. Ein halbwegs stabiles Frankreich-Hoch, bei Regenwetter lohnt es nicht, man will ja auch wieder Guben besuchen, Heimatstadt Paul Tillichs, bis 1933 Philosoph in der Stadt des Kirchentags; Guben, die Heimat auch Heinz Rudolf Kunzes, aufgewachsen in Osnabrück und seit Jahren nun schon im Hannöverschen.
- Europäische Modellstadt Guben-Gubin, sicher die einzige ostdeutsche Stadt mit einem baptistischen Bürgermeister. Im hohen Alter trat auch Karl Barth für die Erwachsenentaufe ein und brachte Paul Tillich zur Straßenbahn, und Tillich fortan der Meinung war, sie wären wieder Freunde.
- Mit Paul Tillich auf weitem Raum: Du mußt lediglich bejahen, daß du bejaht bist. Nur muß ich inzwischen auch dieses bejahen, nämlich daß ich inzwischen bejahrt...
Ein Hauptvorwurf Barths gegen Tillich war, daß dieser eine "Offenbarungswalze" über die Welt rollen lasse, "als verstünde es sich