Es war der „Fall Tetariæ“, der Tito hellhörig machte. Ein Mann namens Tetariæ, der von dem bei Drvar stationierten 1. Proletarischen Korps desertiert war, lief zu den Deutschen über. Als Angehöriger der Intendantur des Korps konnte er Informationen über Tito, das Begleitbataillon, die Wachen und die Stärke der im Raum Drvar vorhandenen Kräfte liefern. Sein Pech: Er fiel den Partisanen bald darauf wieder in die Hände. Die verhörten ihn am 27. März 1944 scharf und schlußfolgerten, daß die Deutschen etwas planten. Tetariæ gab zu, dem Feind bis Mitte März 1944 Informationen über Tito, das Begleitbataillon und Stützpunkte und Stärke der Partisanen im Raum Drvar geliefert zu haben. Nachdem Tetariæ sein Wissen preisgegeben hatte, erschossen ihn die Partisanen.
Tito wurde mißtrauisch und hielt sich fortan viel in Bastasi auf. Sein Stabschef Arso Jovanoviæ wiegelte ab - ein Angriff mit Fallschirmjägern sei nicht wahrscheinlich. Tetariæs Geständnis erhärtete den Verdacht, den zuvor bereits ein Zuträger der Partisanen aufgeworfen hatte. Ein Unteroffizier namens Anton Serajnik mit Decknamen „Tone“, der im Stab der 188. Infanterie-Division in der für Feindlage und Abwehr zuständigen Abteilung Ic als Dolmetscher arbeitete, fungierte als Quelle. Der auf militärhistorische Monographien spezialisierte Autor Rüdiger Franz schreibt in „Kampfauftrag: ‘Bewährung’. Das SS-Fallschirmjäger-Bataillon 500/600“, Serajnik „hatte in Erfahrung gebracht, daß ein deutsches Unternehmen gegen Tito unmittelbar bevorstand. Den Ort und genauen Zeitpunkt konnte er zwar nicht nennen, ließ aber trotzdem seine Informationen durch Vertrauensleute der Nachrichtenabteilung der Partisanen ihrem Chef Tomaciæ zukommen. Der wiederum unterrichte Tito und seinen Obersten Stab“.13
Der Verdacht verfestigte sich weiter. Karl-Dieter Wolff schreibt in seiner militärhistorischen Studie: „Am 4. Mai erbeutete die der 4. Division angehörende 11. Kozara-Brigade bei einem Sabotageunternehmen gegen einen Zug mit deutschen Wehrmachtsangehörigen ein Dokument, dem eine Skizze von Drvar beigefügt war. Beide enthielten detaillierte Angaben über die genaue Lage aller militärischen und zivilen Organisationen in diesem Ort sowie Einzelheiten über die Militärmissionen der Alliierten, die Sicherungsvorkehrungen des Obersten Stabes und schließlich Hinweise auf eine möglichst wirkungsvolle Bombardierung des Hauptquartiers.“14 In Titos Nachrichtenzentrum war man sich einig: Die Deutschen wissen genug, um jederzeit losschlagen zu können. Die Alarmstimmung legte sich jedoch wieder, als Nachrichtentrupps der Partisanen Mitte Mai 1944 zuerst meldeten, die alliierte Luftwaffe habe die bei Zagreb stationierten deutschen Segelflugzeuge zerstört, und dann aus Banja Luka die Neuigkeit kundtaten, die Deutschen hätten ihre Vorbereitungen für einen Angriff auf das Tito-Hauptquartier eingestellt. Beide Meldungen erwiesen sich als fake news.
In den Tagen vor dem 25. Mai 1944 horchte Titos Abwehr nochmals auf: Deutsche Truppenverstärkungen rund um die Garnisonsstädte Bihaæ, Knin, Jajce und Banja Luka sowie Truppenbewegungen Richtung Drvar wurden registriert. Am 18. Mai 1944 informierte das 5. Bosnische Korps der Partisanen seine 39. Krajina-Division darüber, daß deutsche Truppen von Bihaæ - damals im Deutschen auch Wihatsch genannt - in Richtung des Flugplatzes bei Bosnisch Petrovac vorrückten. Drei Tage später warnte die 4. Krajina-Division ihre Untereinheiten, daß der Feind von Bihaæ und Knin auf Drvar und Bosnisch Petrovac vormarschieren könnte.15
Kleinere Verlegungen, um Verkehrsknotenpunkte wieder freizukämpfen, waren jedoch an der Tagesordnung. Erst als das Hin und Her deutscher Truppen immer mehr wurde, insbesondere im Raum Bihaæ, fragten sich Titos Nachrichtenoffiziere, was das bedeute. Wieder kam man zu einem Trugschluß: Ziel der Deutschen sei der von den Partisanen gehaltene Flugplatz bei Bosnisch Petrovac, 30 Kilometer nördlich von Drvar. Mit einem konzentrischen Angriff rechnete Titos Stab nicht.16
Drei Tage darauf, am 21. Mai 1944, meldete der Stab der 4. Krajina-Division des 5. Bosnischen Korps, wie es 1955 in der Rückschau der Zeitung Borba heißt, „daß der Feind die Absicht hat, von Knin und Bihaæ aus in Richtung Drvar und Petrovac vorzugehen“. Die unterstellten Brigaden wurden gewarnt: „Seid wachsam und errichtet Hinterhalte auf Haupt- und Nebenstraßen.“17 Mit einer großen Umfassungsaktion der Deutschen rechnete aber niemand - zumal die Deutschen falsche Fährten legten.
Am 23. Mai 1944 ging in Bihaæ „das Gerücht um, jetzt solle Tito gefangen werden“, wie es später im Bericht des XV. Gebirgs-Korps heißt. „Aus einer Gefangenenvernehmung geht hervor, daß im Stabe Titos der Angriffstag bekannt gewesen sei.“18 Am nächsten Tag, Mittwoch, den 24. Mai 1944, erreichte Titos Stab die Meldung, daß auf einem Behelfsflugplatz bei Bihaæ eine größere Zahl deutscher Flugzeuge gelandet sei. Weil der Stab eine umfassende Bombardierung Drvars für möglich hielt, sollte die Zivilbevölkerung Drvar noch vor Anbruch des nächsten Tages verlassen. Mit einem Luftlandeunternehmen rechnete Titos innerster Machtzirkel immer noch nicht.
Generaloberst Lothar Rendulic, Kommandeur der 2. Panzerarmee in Jugoslawien und im April 1944 zum Generaloberst befördert, hatte sich mit dem Stab ein Ablenkungsmanöver einfallen lassen. Im Vorfeld des Angriffs ließ der kroatischstämmige Österreicher militärische Operationen gegen den Verbindungsweg von Bihaæ nach Vrhovine - ein kroatisches Dorf 50 Kilometer westlich von Bihaæ - führen. Die Täuschung gelang aber nur zum Teil. Die Partisanen führten kleinere Einheiten an die bedrohte Westseite, beließen ihre in der Nähe von Drvar konzentrierten sechs Divisionen aber größtenteils, wo sie waren.
Hätten die Briten und die Partisanen wissen müssen statt nur ahnen zu können, daß ein deutscher Luftlandeangriff erfolgen würde? Die Informationen liefen bei verschiedenen Stellen ein, nicht bei einer Zentrale. Manche Informationen erreichten Bletchley Park und Kairo, andere die britische Basis im süditalienischen Bari, wieder andere blieben in Drvar. Im wesentlichen hielt die deutsche Geheimhaltung dicht. Den alles zunichte machenden Verrat gab es nicht, das zwingende verräterische Indiz auch nicht. Die Deutschen verwischten den Zusammenhang ihrer verschiedenen Vorbereitungsmaßnahmen gut. David Greentree zitiert in „Knight's Move“ den britischen Historiker und Maclean-Biographen Frank McLynn mit der Aussage, es habe genügend einzelne Berichte gegeben, um das Puzzle zu komplettieren, aber es habe kein einzelnes Hauptquartier über alle vorhandenen Informationen verfügt. McLynn meint: „Eine einzelne Person, die im Besitz all diesen Materials gewesen wäre, das Bari und Bletchley aus Jugoslawien erreichte, hätte gewußt, daß der Angriff kommen würde. Aber eine solche Person gab es nicht.“19
7. Europa in Brand setzen. Wie der Krieg nach Jugoslawien kam
Der Krieg auf dem Balkan hatte viele Väter. War es Mussolini, der seinen Traum von einem neuen italienischen Mittelmeerimperium auslebte und nach der Annexion Albaniens mit neun Divisionen Griechenland angriff, war es Hitler, der ihm dort auf Zuruf zur Seite sprang und kurz darauf Jugoslawien brutal unterwarf, so war es Churchill, der mit seiner Politik 1940, als der Krieg zeitweilig nur ein Duell zwischen Großbritannien und Deutschland war, den Balkan planmäßig in Brand setzte. „To set Europe alight“ - Europa in Brand setzen, so nannte der britische Kriegspremier seine Idee, Angriffe gegen die Achsenmächte von außen wie von innen zu organisieren, Aufstände in den von Italien und Deutschland besetzten Ländern, dazu Koalitionen, auch unorthodoxe, überraschende Bündnisse gegen Hitler-Deutschland. So beschrieb Churchill seine Politik gegenüber dem US-Sondergesandten William Donovan, dem späteren Leiter des US-Militärgeheimdienstes Office of Strategic Services (OSS), den US-Präsident Franklin Delano Roosevelt 1940 nach Großbritannien und Südosteuropa geschickt hatte.20 Donovan meldete am 19. Januar 1941 an Roosevelt, die Briten seien entschlossen, den Krieg in Südosteuropa massiv auszuweiten. Churchills Strategie „hat immer darauf gesetzt, eine östliche Front zu schaffen, wenn möglich, um den Feind im Blockadekreis stärker einzuschnüren und zu erschöpfen“.21 Am 23. Januar 1941 tauchte Roosevelts