„Ich hatte an ein Frühstück gedacht, damit fängt der Tag gut an, alle sind noch unbelastet und stehen nicht unter Zeitdruck.“
„Das stimmt“, erwiderte Ida, riss ein Blatt von dem Schreib-block ab und schob es über ihren Schreibtisch. „Nimm dir den Besucherstuhl“, forderte sie den Teamleiter auf und schob ihm noch einen Kugelschreiber hinüber. Als der Kollege den Aufdruck auf dem Papier sah, grinste er Ida breit an.
„Lächeln, steht da, lächeln!“, rief Ida heiter.
„Na gut. Das muss ich noch üben. Dann wollen wir mal auf-schreiben, wer was besorgt.“
Als sie fertig waren, faltete Albert Kragen seine Notizen erleichtert mit den Worten zusammen: „So, das wäre geschafft“, lehnte sich entspannt zurück, lächelte Ida zu und fragte freundlich: „Wie gefällt es dir hier nach dem ersten Monat?“
„Ich bin ganz zufrieden“, meinte Ida. „Ich habe mich schnell einarbeiten können, weil mich die Kollegen sehr unterstützt haben, und wie ist es dir in deiner neuen Funktion als Teamleiter ergangen?“
„Na ja, bis jetzt war es schon ganz schön anstrengend. Hin und wieder habe ich bereut, dass ich mich habe breitschlagen lassen, den Job anzunehmen.“
„Ach? Du hast dich darauf gar nicht beworben?“
„Nein. Ich hatte mir den Posten nicht zugetraut und mich deshalb auch nicht beworben, aber als Lutz dann ausfiel ...“
„Lutz Beyer?“
„Ja. Der sollte die Stelle antreten.“
„Ach?“, meinte Ida verblüfft, aber Albert Kragen, der eben noch den Eindruck gemacht hatte, alle Zeit der Welt zu haben, wollte das Thema offenbar nicht vertiefen, erhob sich hastig, sah auf seine Armbanduhr, sagte: „Ich muss jetzt aber“, und eilte aus Idas Büro, ehe sie ihn noch etwas fragen konnte.
Ida sah nachdenklich zur Decke. Dann wird Lutz Beyer bestimmt nicht freiwillig aus dem Leben geschieden sein, denn wer bewirbt sich auf eine höherwertige Stelle und bringt sich um, wenn er sie bekommt, dachte sie. Dabei spürte sie eine Gänsehaut auf den Armen.
Für ihre Feier hatten Ida und der Teamleiter den langen Tisch im Besprechungsraum der Abteilung mit einem üppigen Frühstück eingedeckt. In der Mitte stand ein großer runder Teller, auf dem sich Ecken von Honigmelonen mit Parmaschinken türmten. Um diesen Teller herum waren weitere angeordnet mit geräuchertem Lachs und Forellenfilets, Goudascheiben, Brie und Weintrauben, Leberwurst, Blutwurst, kleinen Gürkchen, mit rohem und gekochtem Schinken und mit Tomatenecken. Dann gab es vier Schüsseln. Eine mit kleinen Frikadellen, eine mit Mett und Zwiebelringen, eine mit Eier- und eine mit Reissalat. Vollkornbrot, Graubrot, Baguette und verschiedene Brötchensorten fehlten ebenso wenig wie Butter, Marmelade, Orangensaft und Kaffee.
In dem Sitzungsraum konnten die Kollegen ihre Teller und Gläser nur auf dem Sideboard auf der einen Seite oder auf dem Fensterbrett auf der anderen Seite abstellen. Wem das zu eng war, der konnte zu einem der drei Stehtische ausweichen, die auf dem Flur an der Wand entlang aufgestellt worden waren. Der frische Duft der Melonen erfüllte den Raum. Ab zehn Uhr standen Ida und Albert Kragen vor der Tür des Besprechungs-raums, um die nach und nach eintrudelnden Kollegen zu begrüßen und amüsierten sich bald, wie diese schnupperten, wenn sie den Raum betraten.
„Wir stammen nicht vom Affen ab“, flüsterte Albert Kragen schließlich, „sondern vom Hund.“
Als die Meisten da waren und es sich schon gut schmecken ließen, kam Ernst Zieher, der Stellvertreter von Klaus Eberhard: ein mittelgroßer, muskulös wirkender Mann, dessen schwarzes Haar beneidenswert glänzte. Zum ersten Mal konnte ihn Ida richtig mustern. Der Mann verließ nämlich sein Büro so gut wie nie, ließ sich eher selten sehen. Er war charmant, stellte sie fest. Sein Lächeln wirkte ungemein anziehend.
Klarabella Ebert, seine Sekretärin, folgte ihm sozusagen auf den Fuß. Sie musste um die Fünfzig sein, trug ihr ergrautes Haar zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Angezogen war sie konservativ mit Rock und Bluse, unauffällig, grau. Sogar ihr recht glattes Gesicht wirkte grau. Wer zu Zieher wollte, kam an ihr nicht vorbei. Die Frau kam morgens vor allen anderen, zur Mittagspause blieb sie in ihrem Büro, um ein Butterbrot zu essen, abends ging sie als Letzte. Sie sorgte regelmäßig für Verärgerung unter den Kollegen, indem sie Mängel an den Arbeiten der Sachbearbeiter feststellte.
Zeigten die Betroffenen keine Einsicht, wies sie ihren Chef darauf hin, der sich grundsätzlich ihrer Auffassung anschloss und für kein Gegenargument offen war.
„Jetzt können wir uns wohl auch zum Büffet begeben“, schlug Ida vor, als sie sah, dass auch Klarabella Ebert zugriff.
„Klar, die Nachzügler können wir immer noch begrüßen. Mir knurrt schon der Magen“, stimmte Albert Kragen zu und ging zum Brötchenkorb, während Ida sich einen Kaffee eingoss und ihren Blick durch den Raum schweifen ließ. Entlang der Fensterfront und des Sideboards hatten sich Grüppchen gebildet, die angeregte Unterhaltungen führten. Vom Gang drang Gelächter in den Raum. Die Stimmung war gut, stellte Ida zufrieden fest. Sie fuhr sich gedankenverloren mit der Hand durch die Haare, als ein dunkel gelockter Typ hereinplatzte und schnurstracks auf Zieher zuging, der bei den Orangensaftflaschen stand. Die beiden begrüßten sich wie alte Kumpels.
Ida sah sich nach Albert Kragen um, zwängte sich durch die Kollegen zu ihm und fragte: „Arbeitet der auch hier?“ Dabei wies sie mit dem Kinn zu dem ihr unbekannten Mann.
„Nein. Das ist ein Designer, Harald Domba, steinreich, hat eine Villa mit zwei Swimmingpools. Zwei wohlgemerkt. Er ist der Inhaber der Agentur Happybild.“
„Ach, das ist doch die, die unsere Faltblätter gestaltet. Sieh mal, aus seiner Weste hängt eine schwarze Kordel heraus. Wenn er nicht aufpasst, landet sie in den Salaten.“
„Die gehört wahrscheinlich zu seinem Fotoapparat. Ohne den ist er nicht anzutreffen. Der will bestimmt ein paar Aufnahmen machen. Übrigens malt er, allerdings unter einem Pseudonym, Hadom.“
„Das habe ich schon mal gehört, kann es aber nicht zuordnen.“
„Zurzeit läuft eine Ausstellung. Darüber stand bestimmt etwas in der Zeitung. Er malt vorwiegend Kinderporträts. Ich finde die kitschig. Na ja.“
„Die Geschmäcker sind halt verschieden“, meinte Ida, zupfte gleich darauf am Hemdärmel ihres Kollegen: „Nun sieh sich das einer an! Es ist nicht einmal elf Uhr! Zieher und dieser Typ kippen sich, natürlich ganz unauffällig, Schnaps in ihre Saftgläser!“
„Ja, die kleinen Fläschchen hat der Domba immer bei sich, auch dafür braucht er die Jacke mit den vielen Fächern. Von jetzt an wird Zieher nicht mehr von seiner Seite weichen. So, noch einen Spritzer Zitrone vom Lachsteller, dann die obligatorischen Eiswürfel aus dem Saftkühler. Die dürfen auf keinen Fall fehlen, denn auf denen kaut der Domba gleich her-um.“
„Igitt. Bei dem Gedanken tun mir ja die Zähne weh. Schnaps am Morgen! Die Herren sind wohl einiges gewöhnt, oder?“, fragte Ida, bevor sie den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse trank.
„Was so ein richtiger Künstler ist ...“
„Zieher ist doch wohl kein Künstler! Außerdem: Wer hat den Domba eigentlich eingeladen, zu unserer Feier?“
„Ich schätze mal, der ist rein zufällig heute gekommen.“
„Also gehe ich mich mal ganz zufällig vorstellen.“
Ida spazierte durch die essenden und plaudernden Kollegen hindurch bis zum Büffet. Hier nickte sie Zieher zu, wandte sich dann an Domba: „Darf ich mich Ihnen vorstellen? Ich bin Ida Sommer.“
„Angenehm, Frau Sommer. Ich bin Harald Domba. Meine Agentur Happybild gestaltet die Werbeprospekte für die Shirt-Parade.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen,