Wende auf Russisch. Michael Blaschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Blaschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752961270
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dass er in seiner Euphorie den Freund am liebsten umarmt hätte.

      „Ich habe dir doch von Grigori Moskwin erzählt, der Typ, der gute Beziehungen zu einflussreichen Leuten hat. Du erinnerst dich?“

      Lew sah ungeduldig zu Wasil und wartete, dass der sich an diesen Moskwin erinnerte.

      „Ja, ja ich weiß, von wem du sprichst“, sagte Saizew, er war lange nicht so begeistert von diesem Moskwin.

      „Lew, was du mir von dem erzählt hast, hat mich nicht überzeugt. Ich sage dir, wenig Arbeit, die mit viel Geld bezahlt wird, da ist was faul. Es wird Zeit, dass du konkreter wirst.“

      „Der Grigori hat noch nichts Konkretes gesagt, er möchte dich und Nina näher kennenlernen und wenn ihr seinen Vorstellungen entsprecht, so würde er über Zukünftiges mit uns reden.“

      „Mein Gott, was ist das bloß für ein großer Menschenfreund“, sagte Saizew mit spöttisch ironischem Unterton. „Ich überlege mir das noch“, fügte er hinzu.

      „Wasil, du hast keine Zeit zur Überlegung, Moskwin will sich morgen in dem neuen Café an der Kirche mit uns treffen. Wir hören uns an, was er zu sagen hat, dann kann jeder selbst entscheiden, was er machen will.“

      „Nun gut, wir werden sehen, was der anzubieten hat“, sagte Saizew.

      Er wusste, seine Lage war nicht gut und mit Anständigkeit konnte er sich nichts kaufen.

      „Hast du kein Auto mehr?“, fragte er Lew.

      Der schüttelte den Kopf und meinte: „Wir fahren mit dem Bus.“

      Er blieb noch eine Weile. Sie wollten sich bei Rabitschew treffen, um gemeinsam zum Treffpunkt zu fahren.

      Es war spät geworden. Wasils Mutter war schon zu Bett gegangen und Wasil lag noch lange wach und ließ die letzten Jahre Revue passieren.

      Den Tod seines Vaters, die fragwürdige Zukunft seiner Mutter, die immer eine tatkräftige Sowjetbürgerin gewesen war und nun alt und krank, ein kümmerliches Dasein fristete. Er, als Sohn, konnte ihr nicht zur Seite stehen, weil ihm die Beine zum Gehen fehlten. Wasil wusste, er musste etwas tun, er musste diese unerträgliche Lebenssituation ändern, sie verbessern. Als Kind wollte er, wenn er so groß wäre wie der Papa, seiner Mutter einen Urlaub auf der Krim schenken. Sie träumte von dieser schönen Insel, doch es hatte nie gereicht und die verbilligten Inselurlaube von der Großwäscherei, waren über die Gewerkschaft meist schon vergeben. Sie hatten sich oft gefragt, ob es bei der Vergabe immer mit rechten Dingen zuging. Dem braven Arbeiter seine rote Fahne, seine Parolen, sein Wodka, dass musste reichen, dachte Wasil und stellte verbittert fest, dass ihm selbst das nicht geblieben war.

      Am nächsten Morgen saßen Mutter und Sohn beim Frühstück. Es wurde kaum gesprochen, die Stimmung war gedrückt.

      „Ich habe gestern unfreiwillig von deinem Gespräch mit Lew das eine und das andere mitbekommen. Du weißt, Lew ist eine gute Seele, aber du weißt auch, er läßt sich schnell für alle Dinge begeistern“, sagte die Mutter.

      Sie war wirklich besorgt. Auch wusste sie, dass ihr Sohn unter der momentanen Gegebenheit schwer zu tragen hatte. Wie Millionen und Abermillionen Menschen in Russland, hatte er diese Situation nicht zu verantworten.

      Sie dachte an ihre Jugend, die Organisation Komsomol, da lernte sie ihren Mann kennen und sie waren überzeugt, eine wunderbare, großartige Zukunft zuhaben. Sie wurde wehmütig. Wasil nahm ihre Hand, drückte sie fest an seine Brust und mit Tränen in den Augen sagte er: „Ich werde nichts tun, wofür ich mich schämen müsste. Klar, weiß ich, dass Lew oft Flausen im Kopf hat, ich werde mich nicht auf Dummheiten einlassen.“

      Er nahm den nächsten Bus, um sich mit Lew und Nina zu treffen. Er wurde bereits erwartet. Nach kurzer Begrüßung ging die kleine Gruppe voller Erwartung ins Zentrum der Stadt, um sich mit Grigori Moskwin zu treffen. Der Stadtkern war sehr sanierungsbedürftig und doch gab es Neuanfänge. Die Häuserfassaden wurden gestrichen und mit privater Initiative wurde versucht, mehr Lebensqualität zu schaffen. Das neu eröffnete Café hatte eine Ausstattung, die auch in Berlin oder Paris zu finden war. Allein die Auswahl der Torten war für die Menschen ein nie gesehenes Schlemmerparadies.

      Moskwin saß in einer Ecke des Cafés, wo man ihn nicht sofort sehen konnte. Ein ordentliches, zeitgemäßes Büro hatte er nicht und seine Datscha war wenig geeignet für Geschäftsgespräche. Er hoffte, dass sich das bald ändern würde. Seit seinem Gespräch mit Nikolai Volkov vor einigen Tagen, hatte er den Eindruck, dass sich sein Boss in Russland nicht mehr sicher fühlte. Er wollte nach Berlin fliegen, versuchen mit Hilfe seines Freundes Alexander Wasilewski eine wirtschaftliche Basis aufzubauen. Seine Tochter blieb in Moskau, um ihr Medizinstudium zu beenden. Auch seine Frau wollte im Land bleiben, sich um Haus und Hof kümmern und die Tochter unterstützen. Würden sie von dem Anwesen vertrieben, wollte sie zur Tochter nach Moskau ziehen. Nikolai Volkov würde Frau und Tochter mit den erforderlichen Mitteln unterstützen.

      Als Moskwin die drei jungen Leute kommen sah, stand er auf und begrüßte jeden einzelnen mit Handschlag. Sie setzten sich und Moskwin zeigte mit der Hand zur Kuchentheke.

      „Ihr seid meine Gäste, bedient euch.“

      Nachdem alle Torte und reichlich Kaffee verzehrt hatten, kam der großzügige ´Tortenonkel´ zur Sache.

      „Wer von euch hat einen gültigen Reisepass?“

      Moskwin sah in lange Gesichter.

      „Also keiner, das habe ich mir schon gedacht“, sagte er.

      „Dann sagen Sie uns doch, warum wir den brauchen“, sagte Lew und trommelte nervös auf der Tischplatte herum.

      „Nun gut, nun gut, ich will euch nicht lange auf die Folter spannen. Euer Boss ist Nikolai Volkov, ein einflussreicher, vermögender Mann. Er will sich in Deutschland und zwar in Berlin, etwas Neues aufbauen, eine solide, wirtschaftliche Grundlage schaffen.“

      „Warum Berlin“, fragte Nina, „Russland ist groß.“

      „Es ist richtig, Russland ist groß aber reich möchte es noch werden und es gibt Länder, die sind uns meilenweit voraus.“ Er wandte sich an die junge Frau: „Darf ich Sie beim Vornamen nennen?“

      „Sie dürfen, mein Name ist Nina.“

      Mit etwas Schminke und schicken Klamotten wäre sie eine hübsche junge Frau, dachte er.

      „Ihr Freund Lew hat mir verraten, dass Sie sehr gut Deutsch und Englisch sprechen, stimmt das?“, fragte er.

      „Ja, das stimmt“, sagte die Gudsowski.

      Es war ihr gar nicht recht, dass dieser Typ in seiner abgewetzten Lederjacke, dem schütteren, dunklen Haar, so über sie Bescheid wusste.

      „Über Einzelheiten ihrer zukünftigen Arbeit möchte ich noch nicht sprechen. Darüber wird mein Chef mit Ihnen reden. Grundsätzlich sei gesagt, es wird Ihnen nichts abverlangt, was moralisch nicht vertretbar wäre. Die Bezahlung erfolgt auf Dollarbasis. Noch Fragen?“

      Moskwin sah in die Runde und fügte hinzu: „Ich gebe Ihnen ein paar Tage Bedenkzeit, danach treffen wir uns im Büro bei Nikolai Volkov.“ Er fragte Rabitschew: „Sind Sie noch unter der Nummer Ihrer Nachbarin erreichbar?“

      Rabitschew nickte und Moskwin beendete das Treffen.

      Die drei warteten auf den Bus, keiner sagte etwas, auch im Bus wurde nicht gesprochen. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. In der Wohnung von Rabitschew konnte Wasil sich nicht mehr zurückhalten.

      „Was ist das denn für ein komischer Typ? Hat der versucht uns mit Torte und schwammigen Versprechungen zu ködern?“

      Saizew war entrüstet. Nina war derselben Meinung wie Saizew, nur Lew saß stumm da und schaute ernüchtert aus dem Fenster. Nach einer langen Pause meinte er: „Lassen wir die Dinge erst einmal auf uns zukommen, bis jetzt wissen wir noch nichts genaues. Wir sollten abwarten und dann entscheiden.“

      Saizew konterte sofort: „Ich für meinen