Mission Fluviale – Grenzüberwachung
» Dans la brume la rocaille. Légionnaire, tu combats. Malgré l‘ennemi, la mitraille.
Légionnaire, tu vaincras.« Lied der dritten Kompanie des 3. REI.
Ein Flair alter Kolonialzeiten haftete diesem Regiment an. Europa war weit entfernt, und mir war es, als hätte ich hier brutal eine Tür in die Vergangenheit aufgestoßen und hinter mir sanft wieder geschlossen. Die erste kalte Dusche kam bereits mit Riesenschritten näher. Vom Flughafen kommend fuhren wir durch das Tor des Quartiers, wo der Marmon (kleiner Lastwagen) vor einem weiß gestrichenen Gebäude zum Stehen kam. Kaum abgestiegen, hörten wir hinter uns eine Stimme.
»Wer von euch ist in die dritte Kompanie versetzt worden?«
Der Légionnaire de première classe (Gefreiter), der mit dem gelben Foulard, dem Schultertuch der dritten Kompanie, vor uns stand, hatte den Elsass-Lothringer Akzent. Wir alle hoben die Hand. Es war es, Oliver, der die fatale Frage stellte.
»Und du? Bist du auch in der Dritten?«
Wie zum Teufel konnten wir auch wissen, dass die Schikane in den Regimentern übergangslos weiterging? Niemand hatte uns darauf vorbereitet, dass wir hier, am Anfang zumindest, sogar die Gefreiten siezen mussten. Kaum hatte Oliver das letzte Wort gesprochen, lagen wir schon wieder in der Horizontalen und absolvierten fünfzig Liegestütze. Wir, da war zunächst Lucev, ein bärbeißiger Jugoslawe. Lucev war ausgebildeter Krankenpfleger und eine Kapazität auf seinem Gebiet. Er verkörperte Verlässlichkeit und Humor. War er in der Nähe, wenn wir im Dschungel unterwegs waren, dann fühlten wir uns geborgen. Schon nach kurzer Zeit im Regiment gab es keinen von uns, der nicht durch seine wissenden‘ Hände gegangen, nicht von ihm wieder aufgepäppelt worden wäre. Wie kaum ein Zweiter konnte er Spritzen verabreichen (wir benötigten hauptsächlich die Injektionen, die dazu gedacht waren, den Tripper zu kurieren), Verbände wechseln, Blutungen stoppen oder auseinanderklaffende Wundränder nähen. Vom Sumpffieber bis hin zum harmlosen Tripper kannte er, so schien es uns, die Symptome sämtlicher Krankheiten. Bailey, ein Caporal, der im Alter von zwölf Jahren schon besser mit dem MG umgehen konnte als andere Jungen in seinem Alter mit Matchbox-Autos, war Ire. Ihn nannten wir Pappy. Pappy war am ganzen Körper tätowiert. Ohne dass er darauf gedrängt hätte, hatten wir ihn von Beginn an zu unserem (inoffiziellen) Führer erkoren. Seine Autorität war angeboren und der positive Einfluss, den er auf uns ausübte, wurde von allen wohlwollend akzeptiert. Gab es unlösbare Probleme, war er der Mann, an den man sich wendete. Außerdem war Pappy ein Organisationstalent. Es schien nichts zu geben, was er nicht in kürzester Zeit besorgen konnte. Eine Originalflasche Gewürztraminer, eine Hure aus Saigon, echte russische Rubel? Kein Problem für ihn! Dann war da natürlich Oliver, ein Deutscher aus Schleswig-Holstein. Jeder nannte ihn die Wildgans. Olli war ein durchgeknallter, aber äußerst sympathischer Typ. Selbst in Momenten der Gefahr oder in verfahrenen Situationen wartete er immer mit Späßchen auf, die unsere Moral wieder hoben. Keksz, ein Ungar mit der stämmig kurzen Statur eines Boxers, war, so wie sich herausstellen sollte, un fou, ein Verrückter! Verrückt deswegen, weil er alles, was kreuchte und fleuchte, anfasste, in die Hände nahm und nach einer eingehenden Betrachtung tötete und aß! Manchmal roh, meist aber über einem Feuer gebraten. Dabei war es ihm egal, ob es eine doch ziemlich harmlose Vogelspinne war, eine gefährliche Fer-de-Lance Schlange oder gar eine Grage carreaux (Buschmeister). Wir, das war auch Chagnaud, der Gaulois. Der dem ersten Anschein nach schmächtige Franzose sollte uns alle durch seine Robustheit und seine exzellente Ausdauer verblüffen. Certa, ebenfalls Franzose und Chagnauds bester Freund, stammte aus dem Elsass. Beide hatten bereits im 2. REP gedient. Sie waren drahtig, zäh wie Leder und hatten diese Abgeklärtheit und Besonnenheit, die uns anderen, die wir direkt aus Castelnaudary kamen, noch fehlte. Certa war besonnen und zurückhaltend. Doch so alle drei, vier Monate kam er, durch welche Einflüsse auch immer, aus seiner Reserve. Dann sollte man ihm lieber aus dem Weg gehen, Freund oder nicht! Ich hatte einmal erlebt, wie er im wilden Rausch in einer Bar gewütet hatte. Da blieb kein Auge trocken. Vielleicht war es seine Art, den Cafard zum Ausdruck zu bringen. Wir wussten und respektierten das. Und dann war da natürlich auch mein Namensvetter Thomas Linder. Ebenfalls aus Franken stammend, und zwar gar nicht so weit weg von meinem Geburtsort, sollten wir lange Jahre Freunde bleiben und ein schier unendliches Stück Weges in der Legion zusammen gehen. So lange, bis sein tragischer Tod ihn aus unserer Mitte riss. Thomas war nur aus einem einzigen Grund hier: Er wollte kämpfen! Dabei war es ihm egal, auf welcher Seite und gegen wen. Er schien nur glücklich mit der Waffe in der Hand. Das wurde ihm zum Verhängnis, doch davon später.
Der Gefreite machte sich einige Notizen und verschwand wieder. Kurz darauf wurden wir vom Chef de détachement (Verantwortlicher der Abteilung) in einem kleinen Saal, einer Transitunterkunft untergebracht. Hier waren alle Legionäre einquartiert, die sich in einer Übergangsphase befanden. Tags darauf ging es los mit dem Stage brousse, dem Einweisungslehrgang. In diesem Schnellkurs, den ich rasch überfliege, wurde uns das kleine Einmaleins des Dschungels beigebracht. So einfache Dinge, wie: Wie packe ich meinen Rucksack, was gehört hinein und was nicht? Wie spanne ich mein Hamac (brasilianische Haushängematte) und das Bâche, den Regenschutz? Welche Gefahren birgt der Dschungel? Was tun, wenn ich mich verirre, verletzt bin oder plötzlich illegalen Goldgräbern gegenüberstehe, die ein Interesse haben, nicht erwischt zu werden, und alles tun, damit es auch so bleibt? Welche Tiere können mir gefährlich werden, was tun bei einem Schlangenbiss? etc. Nach diesem Lehrgang gehörten wir offiziell der dritten Kompanie an und endeten, wie durch ein Wunder, fast alle im selben Zug, dem „332“, drittes Regiment, dritte Kompanie, zweiter Zug. Thomas Linder war im ersten Zug und Ange, der Korse, der erst später seine Aufwartung im Regiment machen sollte, wurde in den dritten Zug versetzt. Mein Zugführer, ein frischgebackener Leutnant namens Chavancy, war ebenfalls ein Neuling im Regiment. Er kam gerade von der Offiziersschule. Ungefähr zwölf Jahre später sollte ich ihn als S-3 Offizier des 2. REI, Jahre darauf als Regimentskommandeur der 13. DBLE und wieder etwas später als Militärgouverneur der Stadt Lyon antreffen. Dieser brillante Offizier war etwas kleiner als ich, kompakt, körperlich topfit, Brillenträger, und er machte nicht den Fehler, den schon so manch ein Leutnant begangen hatte, nämlich von oben auf uns herabzusehen und die Stimme seines Stellvertreters geflissentlich zu überhören. Dazu war er einfach zu intelligent. Sein Stellvertreter, Sass, der Sous-officier adjoint, ein Ungar mit dem Dienstgrad eines Sergent-chef, war ein alter Haudegen. Als solcher war es unter anderem seine Aufgabe, den Leutnant unter seine Fittiche zu nehmen, ihn „einzunorden“. In der Legion ist das ein unerlässlicher Prozess, denn ein Offizier weiß nichts von diesen Männern ohne Namen. Er kann alles richtig oder auch alles falsch machen. Die meisten Offiziere erleiden immer dann eine Bruchlandung, wenn sie nicht ab und zu auf ihre Stellvertreter, auf die alten Legionäre hören. Widersinniger Offiziersstolz ist total fehl am Platz. Groß und drahtig, hatte Sass die Silhouette eines Buschläufers. Allzu oft hatte ich in den kommenden zwei Jahren das Vergnügen, im Dschungel hinter ihm zu marschieren, und ich behaupte mal frech: Dieser Mann läuft alles und jeden, der Beine hat, in Grund und Boden. Er war ein Phänomen! Doch Sergent-chef Sass war nicht nur ein hervorragender Läufer. Er war, so wie alle Sergent-chefs