Für die Familie Dorfbrunner war die Entscheidung segensreich. August Emanuel, der eine Gesindekammer bezogen hatte, die, wie die andern Kammern, vom Herrenhaus einige hundert Meter weg gelegen war, verrichtete die Feldarbeit zur Zufriedenheit des Gutsherrn. Er hatte sich nach kurzer Zeit in der neuen Umgebung eingelebt und bewies sein Geschick im Umgang mit der Sense, beim Binden der Getreidepuppen, dem Laden des Leiterwagens, dem An- und Ausschirren der Pferde, dem Einfahren der Ernte in die Scheune, beim Lesen und Aufladen der Kartoffeln und den vielen anderen Tätigkeiten. Er bewegte sich fleißig. Keine Arbeit wurde ihm zuviel. Mit dem übrigen Gesinde verstand er sich gut. Er lernte das frühe Aufstehen mit der ersten Dämmerung, das Sich-Waschen draußen über dem Eimer, das Glattstreichen der Bettlake mit dem Zusammenfalten der Schlafdecke auf der harten Liege, das Ordnunghalten der Kammer, die Zufriedenheit mit dem Wenigen, die Reinigung der Ställe mit dem Lockern und Wenden des Strohs, das Entmisten und Füllen der Futtertröge und Tränken vor Sonnenaufgang. Er lernte die Verlässlichkeit in der Durchführung der ihm zugeteilten Arbeit, lernte die Wetterfestigkeit und Ausdauer, wenn er im Feld stand, Pflug und Egge folgte, um die Scholle zu wenden und für die nächste Aussaat zu glätten. Was August Emanuel nach wenigen Wochen der landwirtschaftlichen Lehre begriff, war der Wert der Disziplin in der Einordnung und gegenseitigen Hilfsbereitschaft. Dieses schnelle Begreifen wurde ihm zum Vorteil bei der Verrichtung seiner Feld- und Stallarbeiten, weil ihm da die andern ihre Hilfe nicht verweigerten, wenn er sie brauchte. Er wurde in die Kameradschaft unter den Gutsarbeitern einbezogen, was ihn mit Freude und Stolz erfüllte. Denn bei seinem Tun dachte August Emanuel an seine Familie, ihr keine Schande zu bereiten, zumal ihm der Vater den Satz mit auf den Weg gegeben hatte, nicht nur fleißig und hilfsbereit sein, sondern auch anständig und ehrlich zu bleiben. Diese Mahnung trug er ständig im Herzen und wollte seine Eltern nicht enttäuschen. Segensreich war die gefasste Entscheidung auch deshalb, weil die Familie vom Gutsherrn mit Mehl, Kartoffeln, Eiern und Fleisch bedacht wurde, ohne sie bezahlen zu müssen, als diese Nahrungsmittel in der Zeit der wirtschaftlichen Krise und des Hungers besonders kostbar waren. Der Gutsherr tat es auf eine großzügige Weise, weil ihn mit den Dorfbrunners eine gewisse Zuneigung verband, Vater Dorfbrunner die Gutsherrensöhne gegen ein geringes Entgelt, ohne es gefordert zu haben, unterrichtete, und als Anerkennung für die Arbeit von August Emanuel in der Landwirtschaft. Die Nahrungsmittel, die Kutscher Fritz alle zwei Wochen brachte, waren doch eine wesentliche Hilfe für die Dorfbrunners, die auf diese Weise die Krise umgingen und beim kleinen Salär des Vaters nicht zu hungern brauchten. Mit dem Zugebrachten kam genügend auf den Tisch, und Mutter Dorfbrunner war dankbar, ihre Familie mit ausreichenden Mengen zu bekochen. Die Kost war so reichhaltig, dass der Oberlehrer sogar einen leichten Fettbauch ansetzte, dass ihm der Hosenbund erweitert und die Knopfreihen an Weste und Jacke versetzt werden mussten. Auch die Söhne Claudius Markus und Matthias Johannes blieben durch die Dürrezeit gut genährt; sie erzielten beim guten körperlichen Befinden gute Schulergebnisse auf dem Gymnasium, rückten bis in die Nähe der Leistungsspitze ihrer Klassen auf, während Schüler, die zuvor die besten waren, durch die anhaltende Abmagerung dem gleichförmigen Leistungsabfall unterlagen, dem sie kräftemäßig nichts entgegenzusetzen hatten. Vater Dorfbrunner war stolz über die Schulleistungen der beiden ersten Söhne und das Lob von Herrn von Wittkopf über die Leistung seines dritten Sohnes, August Emanuel, bei der Arbeit auf den Feldern und am Vieh. Der Gutsherr meinte, dass aus dem dritten Sohn noch etwas werden würde, wenn er die Freude für und den Einsatz bei der Arbeit beibehalte. Die Berufsvorstellungen für seine Söhne hegte Vater Dorfbrunner schon länger, dass nach bestandenem Abitur der älteste die Offizierslaufbahn einschlagen, der zweite die Ausbildung zum akademischen Beruf antreten und der dritte ohne Abitur Landwirt werden solle. Das entsprach allerdings nicht ganz der Tradition mittelständiger Familien, besonders dann nicht, wenn der Vater ein angesehener Lehrer war, wo einer der Söhne, meist die Nummer zwei, in die Theologie einzusteigen hatte. So war es jedenfalls bei den Vorfahren der Dorfbrunners, wo von den Söhnen mit Abitur der erste Offizier, der zweite Pfarrer und der dritte Arzt wurde. Das war allerdings zurzeit mit dem festen Glauben, wie ihn der Reformator Martin Luther lehrte. Mit dem Umschwung des sächsischen Königshauses zum vorreformatorischen Bekenntnis, der lutherisch gesehen ein Rückschwung war, wo das Bekenntnis verschwungen wurde, um König von Polen mit Beibehaltung der Dresdner Residenz zu werden, sah Vater Dorfbrunner von der strengen Berufswahlregel ab, dass der zweite Sohn in die Theologie einsteigen müsse, weil er seinem zweiten, dem Matthias Johannes, die Qualen des Zölibats mit den möglichen und immer wieder durchsickernden Abirrungen ersparen wollte.
August Emanuel machte seine Arbeit zur vollen Zufriedenheit des Gutsherrn, der ihm nach Ablauf von zwei Jahren Aufgaben mit der größeren Verantwortung übertrug. So bekam er die Aufgabe, die Weiden für die Kühe instand zu halten, dafür zu sorgen, dass sie nicht über weidet wurden. Diese Aufgabe schloss die Vorselektion der Rinder und Kälber ein, in der es darum ging, Kühe, die zweimal gekalbt hatten und mit der Milchproduktion zurückblieben, von der Weide zu entfernen, im Kuhstall zu halten und mit Mastfutter zu versorgen, um sie nach genügender Gewichtszunahme zum Schlachten freizugeben. Bei den Kälbern sollte die Auslese unter den Ein- und Zweijährigen getroffen werden, von den nur die stärksten auf der Weide gehalten, die anderen zu Schlachtkälbern gemästet werden sollten. Bei den Schweinen hatte er die Aufgabe, die Würfe zu überwachen, von den Werflingen, wenn es zu viele waren, die Schwächsten zu selektieren und die Vorauslese der schlachtreifen Eber und Säue zu treffen und seine Feststellungen dem Gutsherrn vorzutragen und zu begründen, dass dieser die endgültige Auswahl treffen konnte. Sohn Dorfbrunner gehörte zu den verlässlichen Arbeitern, der morgens der Erste und abends der Letzte war, der von der Arbeit zurückkehrte, seine Kammer stets aufgeräumt hielt und die Decke auf dem harten Holzbett sauber zusammengefaltet und die Lake glatt gestrichen hatte. Die Arbeit bei Wind und Wetter hatte ihn abgehärtet. Er hatte es gelernt, sich vor seiner Kammer auch im Winter über dem Eimer zu waschen, selbst dann, wenn draußen der Schnee lag oder die Eiszapfen von den Ästen und Dachrinnen hingen und frostig klirrten und knackten. August Emanuel war ein kräftiger junger Mann geworden, dem seine älteren Brüder, die Gymnasiasten, was die körperlichen Kräfte anging, das Wasser nicht reichen konnten. Es blieb daher nicht aus, wenn sie sich in monatlichen Abständen, entweder im Elternhaus oder sonst wo trafen, dass die Älteren den Jüngeren ob seiner kräftigen Arme und Beine den Muskelprotz mit dem kleinen Kopf nannten, der im Umfang nicht kleiner war als ihre Köpfe. Oder sie neckten ihn als Goliath mit dem Nasenblick, wobei sie auf die Schielstellung des rechten Auges anspielten, die von den Augenexperten der Uni-Klinik in Leipzig nicht ganz korrigiert worden war. Vater Dorfbrunner war jedoch stolz auf seinen Sohn, weil ihn Herr von Wittkopf stets mit Lob bedachte, wenn sie sich im Dorf, in der Kreisstadt oder auf dem Gut, hier anlässlich des Nachhilfeunterrichts der Söhne des Gutsherrn, trafen und auf August Emanuel zu sprechen kamen. Auch Mutter Dorfbrunner ließ auf den dritten Sohn nichts kommen, weil es seine gute Arbeit auf dem Landgut war, die den Gutsherrn veranlasste, die Familie mit Nahrungsmittel zu versorgen, die der Kutscher Fritz in zweiwöchentlichen Abständen brachte. So hatte die Familie in schw erer Zeit genügend zu essen, während andere Familien am Hungertuch nagten. Hörte die Mutter von den Neckereien der beiden älteren Söhne, dann fuhr sie scharf dazwischen und hielt ihnen vor, dass sie ihrem jüngeren Bruder für seinen Fleiß und die gute Arbeit dankbar sein sollten, weil sie durch ihn satt zu essen bekämen, was wesentlich zu ihren schulischen Leistungen beitrug. Als bei einer solchen Situation aus der Neckerei eine laute Diskussion wurde, Claudius Markus, der Älteste, mit dem Argument kam, dass die schulischen Leistungen weniger von den Muskeln als mehr vom Hirn abhingen und Vater Dorfbrunner in diesem Augenblick in die Küche trat und die