So etwas war der Häuptlingin in ihrem ganzen Leben nicht untergekommen. Sie war ratlos. Die Frauengemeinschaften der Eodeva lebten in ihren Dörfern seit Ewigkeiten ohne Männer – und sie liebten dieses Leben in Freiheit, ohne Rücksicht auf das andere Geschlecht. Natürlich hatten auch die Eodeva Bedürfnisse, aber dafür holten sie sich eben von Zeit zu Zeit Männer aus der Umgebung, früher mit List und Gewalt, heute mittels des Abkommens. So werden auch Töchter geboren und das Frauenvolk bleibt stark. Die überflüssigen Jungen nehmen ihnen heute die Klöster der Spanier ab. Toâ'pa hatte noch nie davon gehört, dass eine Eodeva einen Mann für sich allein haben wollte. Es war immer klar, dass er der Gemeinschaft gehörte. Der Ältestenrat bestimmte, wann er bei welcher ihrer Schwestern wohnen durfte.
Die Dorfälteste redete mit Engelszungen auf die Verstörte ein, führte ihr noch einmal die Jahrhunderte alten Traditionen und Sitten ihres Volkes vor Augen und warnte vor dem Chaos, das sich ergäbe, wollte man diese über den Haufen werfen. Tohona hielt die ganze Zeit den Kopf gesenkt, hinter ihren nach vorn fallenden schwarzen Haaren sah man ihre Tränen nicht.
Auch Pedro wurde zur Clanchefin gerufen, Bâtzinú und Teúcatô führten ihn vor Toâ'pa. »Was bist du nur für ein Mann? Habe ich dir bei deiner Ankunft in Matacori nicht persönlich erklärt, was deine Pflichten sind? Hat meine Tochter dich nicht in der ersten Nacht gut eingeführt?«
O, das war eine heiße Nacht, erinnerte sich der Bauernsohn. Mit Setásura würde er jederzeit gern wieder zusammensein – egal, wie sehr er Tohona liebte. Die Häuptlingstochter war seine Erste, das war ein unvergessliches Erlebnis. Sie hatte ihm gezeigt, was seine Aufgabe im Dorf sein würde. Die Töchter und Mägde der Siedler waren immer abweisend gewesen, sie wollten erst geheiratet werden.
»Und?«, unterbrach die alte Frau seine Erinnerungen, »wirst du jetzt deinen Mann stehen?«
»Ich …, ich …«, stammelte der junge Mann eingeschüchtert. Die beiden Bewaffneten neben ihm hatten ihre Dolche gezückt.
»Ich mache, was Ihr wollt, Herrin!« Dazu nickte er heftig mit dem Kopf.
Am Tage arbeitete der Dienstverpflichtete wieder eifrig und machte alles, was Ak'Chin von ihm verlangte zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Auf dem gemeinsamen Lager mit dieser Frau musste er allerdings immer wieder an seine geliebte Tohona denken. Zwischendurch blitzte auch einmal ein Gedanke an die Häuptlingstochter Setásura auf. Nur die Frau neben ihm mit ihren fettigen Haaren, den fleischigen Armen und dem übel riechenden Atem – so kam sie ihm jedenfalls vor – wollte ihm absolut nicht gefallen. So drehte er ihr auch diesmal bald den Rücken zu.
Mitten in der Nacht öffnete sich leise die Tür. Tohona war so frech, hereinzuschleichen und den Liebsten zu wecken. Schnell waren beide in ihrer Hütte und fanden sich in einer leidenschaftlichen Umarmung auf dem Nachtlager wieder.
Noch vor Sonnenaufgang holten die Ordnungshüterinnen das Paar aus dem Bett. Pedro wurde in eine kleine Blockhütte gesperrt, vor der Teúcatô und Uépaca Wache hielten.
Die undisziplinierte und offensichtlich uneinsichtige Tohona band man an einen Pfahl auf dem Platz in der Mitte des Dorfes. Viele Frauen kamen vorbei, um sie anzustarren, manche beschimpften sie heftig. Andere fragten bloß: »Was machst du nur, Schwester Tohona?«
Gegen Mittag band sie Bâtzinú los und brachte sie zu Cucúripa, der Schamanin des Dorfes.
»Was muss ich von dir hören, Tohona? Was ist nur in dich gefahren? Du warst immer ein Vorbild für die anderen jungen Schwestern. Du hättest eines Tages sogar in den Ältestenrat gewählt und später sogar Häuptlingin werden können. Du enttäuschst mich.«
»Ich habe doch gar nichts Schlimmes gemacht! Niemandem ist etwas Böses widerfahren. Aber ich liebe Pedro und möchte immer mit ihm zusammenbleiben!«
»Du weißt, das das nicht geht, Schwester! Wir sind ein Volk stolzer Frauen! Niemand darf uns beherrschen! Wenn wir Männer im Dorf duldeten, würden sie bald die Macht an sich reißen und uns befehlen. So wie es überall in den anderen Dörfern ist – und wie ich weiß, auch im fernen Spanien und sonst auf der Welt. Das wollen wir nicht!«
Cucúripa machte eine Pause und ging zu einem Regal an der Wand, von wo sie eine kleine Holzschüssel holte. Sie war mit Wasser gefüllt und mit einem Geflecht aus Schilf abgedeckt, durch das man hindurchsehen konnte. Die Schamanin zeigte in eine dunkle Ecke des Raumes und sagte: »Du erinnerst dich, Tohona, dass du vor zwei Tagen in diesen Topf Pipi gemacht hast. Jetzt sieh einmal in diesen Schilfkäfig! Die Kröte hat gelaicht, siehst du das?«
Die junge Frau beugte sich über die abgedeckte Schüssel. Dort sah sie eine Kröte im Wasser und ringsum an den auch darin befindlichen Pflanzen klebten lange Schnüre weißer Kügelchen.
»Ich habe die Kröte in dein Pipi gesetzt und noch in der Nacht hat sie angefangen, Eier zu legen. Das ist der Beweis dafür, dass du schwanger bist, liebe Tohona. Du wirst unserem Dorf sicherlich bald ein Töchterchen schenken können. Was also willst du noch mit einem Mann?«
»Aber …, aber …, nicht doch deswegen! Ich liebe ihn, möchte ohne ihn nicht mehr leben!«
»Aber was soll das? Das gab es doch noch nie bei den Eodeva! Du bekommst dein Kind – und wenn du später noch eines willst oder auch nur mal wieder einen Mann auf deinem Nachtlager haben möchtest, so wird dir dieser Wunsch erfüllt werden. So wie allen Frauen vor dir und nach dir!«
»Aber ich möchte Pedro! Ich möchte immer mit ihm zusammenleben, ihn nie mehr hergeben!« Die Verliebte blieb uneinsichtig.
Die weise Frau seufzte: »Das ginge nur, wenn du unser Dorf verlässt und mit dem Bauernlümmel zu den Spaniern gehst. Er würde aber eine harte Strafe von seinen Herren bekommen, weil er gegen unseren schon viele, viele Jahre bestehenden Friedensvertrag verstoßen würde. Und dein Leben würde ein völlig anderes werden. Die Männer würden über dich bestimmen, nicht nur dein Pedro, alle in seinem Haus und im Dorf. Du hättest gar nichts zu sagen, wärest nur eine Arbeitskraft und müsstest Pedro immer zu Willen sein, egal, wie du dich gerade fühlst. Bei diesen Menschen gibt es ein heiliges Buch, nachdem sie sich richten, und darin steht: ›Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN. Denn der Mann ist des Weibes Haupt.‹ Willst du denn Untertanin sein von Pedro und seinem Vater und vielleicht auch seinen Brüdern? Ich glaube, das würde dir nicht gefallen! Überlege dir alles gut! Wenn die Sonne über unserem heiligen Berg steht, wirst du vor dem Ältestenrat zu deinem Verhalten Rede und Antwort stehen müssen.«
Am Nachmittag versammelte sich der Rat der Ältesten von Matacori auf dem Dorfplatz. Diesmal band man Pedro an den Pfahl, gegenüber stand die ungehörige Tohona zwischen den Ordnungshüterinnen Teúcatô und Uépaca. In zwei Halbkreisen zu beiden Seiten der Übeltäter hatten die Ratsfrauen Platz genommen, auf der einen Seite saß die Häuptlingin, gegenüber auf der anderen die Schamanin.
Zuerst erörtete die Versammlung das unerhörte Verhalten von Tohona, also das überlange Festhalten des Mannes in ihrer Hütte und die anschließende Verweigerung Pedros gegenüber Ak'Chin bei gleichzeitiger Fortsetzung des gemeinsamen Lagers mit der Disziplinlosen. Als Tohona um ihre Stellungnahme gebeten wurde, blieb sie dabei: »Ich liebe Pedro! Ich möchte nur noch mit ihm leben. Bitte lasst ihn mir!«
Sie war nicht zur Vernunft zu bringen. Toâ'pa machte ihr klar, dass sie unter keinen Umständen in Matacori und auch in keinem anderen der Dörfer der Eodeva weiter mit Pedro zusammen sein könnte. Sie würde nicht mehr zu ihnen gehören, der Rat müsste sie verstoßen.
»Dann gehe ich mit Pedro mit in sein Zuhause«, schluchzte sie.
Alle Argumente, die Tohona die Illusionen nehmen sollten, die sie offenbar von der Männerwelt da draußen hatte, schlug sie in den Wind.
»Würdest du denn deiner Dienstpflicht zukünftig nachkommen, wenn Tohona nicht mehr im Dorf ist?«, fragte eines der alten Weiber den jungen Mann.
»Aber – ich denke, Tohona will mit mir kommen …«, antwortete der Gefesselte, dabei seiner Liebsten in die Augen schauend.
Mit