Ob sie ihre Männer und Söhne, die sie sicherlich verfolgten, umgebracht haben? Ich machte mir während der Rede so meine Gedanken.
Die Lebensweise der seinerzeit hier ansässigen Opata, bei der die Mütter dominierten, kam den Bedürfnissen der geflohenen, in der Mehrheit deutschen Migrantinnen sehr entgegen.
Begeistert erzählte die Präfektin weiter und ließ dabei ihr Essen unberührt. Es war offensichtlich, dass sie sehr stolz auf die Geschichte ihres Landes war. Die anderen am Tisch aßen mit Genuss und hörten dabei interessiert zu. Einen solchen Vortrag erlebten sie auch nicht aller Tage.
»Die Opata teilten wegen des entstandenen Frauenüberschusses die Männer mit den Zugewanderten. Sie wurden in die Ältestenräte aufgenommen und dominierten diese sehr bald auf Grund ihrer höheren technischen und landwirtschaftlichen Bildung. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestanden die Ältestenräte in einer Vielzahl benachbarter ehemaliger Opata-Dörfer nur noch aus Frauen, und eine deutsche Mundart, angereichert mit Lehnwörtern aus dem Spanischen und den Dialekten der Opata wurde als gemeinsame Sprache genutzt.«
»Das war der Anfang Feminas?« Ich nutzte die Pause, die die Präfektin machte, um mein unverhohlenes Erstaunen zum Ausdruck zu bringen.
»Noch war es nicht soweit! Es gab Kämpfe gegen benachbarte Dörfer, die wildeste Vorwürfe gegen die Frauendörfer erhoben, die von Tötungen männlicher Säuglinge bis zu Giftmord an den Männern gingen.«
Mir wurde richtig unheimlich. Trotzdem wagte ich zu fragen: »Und war da was dran?«
»Nichts davon ist belegt! Aber es gab einen ungeklärten, erheblichen Schwund des männlichen Bevölkerungsanteils, sodass sich langsam eine reine Frauengesellschaft herausbildete. Die Frauendörfer schlossen sich enger zusammen und eroberten weitere Siedlungen und vergrößerten allmählich das von Frauen beherrschte Territorium in Sonora. Es entstand der so genannte Feminatische Bund unter Führung der Familien von Scheyde und Rittenhouse, den Nachfahren der Anführerinnen des Auszugs aus Nordamerika.«
»Rittenhouse? Das ist Ihre Familie, Frau Präfektin? War das die Gründung des Königreiches?« Wieder unterbrach ich die interessanten Ausführungen. Die Kommandantin und die beiden Soldatinnen blickten erschrocken. Habe ich jetzt die Etikette unverzeihlich verletzt? Franca lächelte mich irgendwie geheimnisvoll an.
Zum Glück schien die Vortragende meine Unterbrechung nicht übel zu nehmen. Sie fuhr fort: »Ja, meine Familie ist sehr eng mit unserer Geschichte verbunden. Jedenfalls verbreitete sich die Kunde von den Frauensiedlungen über die spanischen Kolonisatoren bis nach Europa, so dass von überall Frauen kamen und sich hier niederließen. Während der kriegerischen Unruhen in Mexiko im 19. Jahrhundert wurden die Feminaten immer wieder in Kämpfe verstrickt. Alle, die mit den bewaffneten feminatischen Kräften zu tun kriegten, berichteten von der Unerschrockenheit und dem unbedingten Siegeswillen der Kriegerinnen. Die Gerüchte über deren Kampfeslust und die angebliche Grausamkeit der sogenannten Amazonen verbreitete sich in ganz Mexiko und Nordamerika, so dass bald jede Armeeeinheit einen großen Bogen um ihr Territorium machte.«
»Das waren ja schlimme Zeiten!« Ich war wieder stark eingeschüchtert.
»Wie es weiterging, kann dir ja im Palast erzählt werden.« Mit diesen Worten brach die Präfektin den Vortrag ab und gab das Zeichen zur Weiterfahrt.
In Grandame, der Hauptstadt Feminas, wurden wir im Palast bereits erwartet und die beiden Rittenhouse und ich sofort in einen Salon geführt.
Sehr bald erschien Prinzessin Cunni, eine bildhübsche Frau mit mittelkurzen schwarzen Haaren, die ich auf etwa siebenundzwanzig Jahre schätzte. Sie begrüßte die Präfektin freundschaftlich: »Salut, Bella! Schön, dich wieder mal zu sehen. Und deine Tochter hast du auch mitgebracht? Hallo, Franca!« Frau Rittenhouse und die Prinzessin umarmten sich herzlich und gaben sich Wangenküsschen. Franca beugte das Knie vor der Regentin, diese zog auch sie in die Arme und bedachte sie genauso herzlich mit Küsschen wie ihre Mutter.
»Hoheit, darf ich Euch Franck Sezelli vorstellen. Dieser Mann wurde gestern Nacht beim illegalen Grenzübertritt in unserer Provinz aufgegriffen.«
Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Eigentlich bin ich ein aufrechter Demokrat, warum also sollte ich hier mein Haupt oder Knie beugen? Aber auch bei uns begegnet man beispielsweise der Queen so als sei sie von einem anderen Planeten. Außerdem durfte ich nicht vergessen, dass ich ein Gefangener war. Ich machte es also Franca nach, immerhin hatte ich es mit der Enkelin einer Königin zu tun, das hatte ich unterwegs schon gehört, senkte meinen Kopf und ließ mich auf das linke Knie nieder.
»Sei gegrüßt, Franck! Ich hörte, dass du Abgesandter einer staatlichen Universität in Deutschland bist und werde dich als einen Staatsgast behandeln.«
Ich habe zwar einen Dienstauftrag der Uni, aber bin mit Sicherheit nicht nach Femina abgesandt, dachte ich im Stillen, sagte aber nichts.
»Erhebe dich und lass dich ansehen!«, sprach die Prinzessin huldvoll zu mir. Sie blickte mich von oben bis unten an, wobei ich das Gefühl hatte, von ihrem Blick ausgezogen zu werden und nackt vor ihr zu stehen. Das war mir zu Hause noch nie passiert! »Du bist ein schöner Mann! Und wie die Untersuchungen ergeben haben, auch kerngesund. Komm in meine Arme!«
Das glaubte ich jetzt fast nicht, aber es ist passiert. Ich trat einen Schritt auf die schöne Frau zu, und sie drückte mich herzlich an ihre weiche Brust.
»Zuviel der Gnade, hohe Prinzessin!«, stammelte ich, als ich aus ihren Armen entlassen wurde.
»Das mit der korrekten Anrede musst du noch lernen, aber sonst gefällst du mir außerordentlich. Ich glaube, wir werden unseren Spaß miteinander haben.«
Die Präfektin räusperte sich, worauf Cunni reagierte. »Was gibt es, Bella?«
»Ich möchte mich zurückziehen und die Rückfahrt nach Montsvenus antreten, wenn Ihr gestattet. Vielleicht darf aber meine Tochter noch hierbleiben? Ist es zu vermessen, wenn ich meiner Hoffnung Ausdruck gebe, dass sie vom Aufenthalt dieses Ausländers auch profitieren kann?«
»Wir werden sehen. Selbstverständlich darf sie bleiben.« Die Prinzessin rief einer Bediensteten zu: »Macht bitte ein Zimmer für die junge Rittenhouse fertig!«
Dann verabschiedete Cunni Mutter und Tochter, und ich war auf einmal allein mit der Regentin. Auch die Dienerinnen und Soldatinnen, die vorher noch unauffällig im Hintergrund gestanden hatten, waren verschwunden.
»Franck, ich möchte dich bitten, mich zu duzen und mich Cunni zu nennen. Es wäre schön, wenn wir Vertrauen zueinander fassen. Diese offiziellen Formalien mag ich im Verhältnis zwischen Frau und Mann überhaupt nicht. Und genauso möchte ich uns sehen: eine Frau und ein Mann, die die Gelegenheit haben, zusammenzutreffen und sich näher kennenzulernen.«
Natürlich war ich verblüfft und konnte mir gar nicht vorstellen, was das bedeuten sollte. Aber selbstverständlich nahm ich den Vorschlag an.
Cunni führte mich in ein kleines Zimmer mit Gemälden, Vitrinen und verschiedenen anderen Ausstellungsstücken.
»Als Wissenschaftler interessiert dich sicherlich die Geschichte meines Königreiches. Einen Teil hast du unterwegs ja schon gehört, wie ich über die entsprechenden Kanäle erfahren habe.«
Darauf war ich nicht gefasst. Hier hat die Obrigkeit offenbar überall Augen und Ohren, erkannte ich, oder es betrifft nur mich als besonderen Gefangenen, der nun Staatsgast genannt wird. Ich ließ mir aber nichts anmerken. Die Prinzessin führte mich zu einer Vitrine.
»Hier siehst du die Gründungsdokumente unseres Staates: Dort die Urkunde, die Fuerte von Scheyde zur Königin von Femina ernannte, und da eine geographische Karte mit der kaiserlichen Zusicherung, die Grenzen des darauf verzeichneten Territoriums des Königreiches für alle Zeiten zu respektieren.«
»Ihr …, äh, du gehörst zur Familie derer von Scheyde? Kaiserlich? Was für ein Kaiser? Wie kam es dazu? Wenn ich fragen darf, Hoheit?«
»Sei doch nicht so