AMAZONEN und Männer. Franck Sezelli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franck Sezelli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752901856
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den medizinischen Untersuchungen meinte die eine der Weißbekittelten: »Jetzt brauchen wir nur noch ein Spermiogramm.« Ehe ich das richtig verstanden hatte, entledigten sie sich ihrer Kittel und standen auf einmal splitternackt vor mir. Ihre makellose Schönheit ließ meinen Körper die Angst vergessen und die gewünschte Wirkung zeigen. Nach wenigen geschickten Handgriffen einer der Frauen landete die von ihnen begehrte Flüssigkeit in einem Glas.

      Ich kam mir sehr benutzt vor, konnte aber das Geschehen überhaupt nicht einordnen.

      In der Nacht kam ich in einem behaglich eingerichteten Gästezimmer endlich ein wenig zur Besinnung und dachte darüber nach, wie ich in diese sehr beunruhigende Situation gekommen war.

      Ich befand mich auf einer Forschungsreise im Auftrag des Instituts für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt. In der Opateria, einem Teil des Bundesstaates Sonora im Nordwesten von Mexiko, wollte ich die Traditionen des ursprünglich indogenen Volkes der Opata und deren frühere Lebensweise recherchieren. Nach allem, was wir Völkerkundler wissen, lebten sie matrilinear, was sie für uns besonders interessant macht. Das heißt, für die Erbfolge bei Besitz, sozialen Positionen, Ansehen und ähnlichem spielte nur die mütterliche Linie eine Rolle.

      Im Verlauf vieler Gespräche mit den Einheimischen hörte ich – oft auf geheimnisvolle Weise ausgemalt – von einem angeblichen Frauenstaat in der Region. Dabei handele es sich um ein Gebiet innerhalb Sonoras, das niemand betreten dürfe. Ich vermutete ein mir bisher unbekanntes Reservat, das für die Ethnologie möglicherweise äußerst vielversprechend sein könnte. Bei meinen Fahrten hatte ich bereits Schilder gesehen, die auf ein militärisches Sperrgebiet hinwiesen, das von der mexikanischen Policía Federal bewacht wurde.

      Meine wissenschaftliche Neugier siegte und ich ging das Risiko ein, eines Nachts zwischen zwei Patrouillengängen der Bundespolizisten in den Waldstreifen zu schleichen, der an dieser Stelle die Grenze des verbotenen Gebiets markierte.

      Und nun bin ich offenbar selbst Gegenstand merkwürdiger und beängstigender Untersuchungen.

      In der großen sechssitzigen, von außen abgedunkelten Limousine begleitete mich am nächsten Morgen, wie von ihr gewünscht, die Präfektin Bella Rittenhouse, die mit einer sehr aufmerksamen Corporalin hinter mir saß. Neben der Soldatin, die den Wagen fuhr, saß die Kommandantin, diesmal in Uniform. Alle drei gut bewaffneten Soldatinnen schienen ihren Auftrag sehr ernst zu nehmen. Die Türen zur Mittelbank des Wagens ließen sich von innen nicht öffnen. Hier war neben einer gut aussehenden Brünetten, die ich um Mitte Zwanzig schätzte, mein Platz. Da sie ein langes weißes Gewand trug, hielt ich sie zunächst wieder für eine Medizinerin, bis die Präfektin sie als ihre Tochter Franca vorstellte. Sie war zweifellos eine sehr angenehme Begleiterin. Was aber sollte sie hier? Was hatte man mit mir vor? In meinen Magen nistete sich ein großer Angstklumpen ein, den auch die ausgesuchte Höflichkeit der Damen nicht beseitigen konnte.

      Die Fahrt führte durch gebirgige Landschaft. In der Stadt Montegrad machte mich Frau Rittenhouse auf besondere Gebäude und Sehenswürdigkeiten aufmerksam wie den Palast der Provinzialregierung am Königin-Natere-Platz, das Provinztheater »Einheit Feminas«, den wundervoll gestalteten Park vor ihrer eigenen prächtigen Präfektur und den daneben gelegenen riesigen Tempel.

      Vorsichtig erkundigte ich mich: »Was ist das für ein Bauwerk?«

      »Das ist der größte Nintura-Tempel des Landes. Die Frauen in dieser Gegend hängen der Nintura-Religion an, die alles Männliche ablehnt und Kontakte nur für das Notwendigste gestattet«, antwortete Frau Rittenhouse, »deswegen leben hier überhaupt keine Männer.«

      Deren Fehlen in den Straßen der Stadt und auch den vorher durchfahrenen Dörfern war mir schon aufgefallen. Inzwischen beschlich mich das mulmige Gefühl, dass dies hier wirklich ein Amazonenstaat sein könnte wie es die vorher gehörten Gerüchte andeuteten.

      »Aber ohne Männer geht es doch nicht!«

      Franca sah mich mit großen Augen an und lächelte während der folgenden Erklärung ihrer Mutter.

      »Sie werden aus den anderen Landesteilen angefordert und kommen aus den dortigen Männerhäusern. Unter priesterlicher Obhut werden sie hier ihren spezifischen Aufgaben zugeführt.«

      Etwas vorwitzig mischte sich die Tochter ein: »Natürlich kümmern wir uns dann auch ein bisschen um sie.« Dabei schaute sie mir mit schelmischem Blick in die Augen und griff mir an den Oberschenkel. Die Soldatinnen grinsten über das ganze Gesicht, während die Präfektin Franca mit einem bösen Blick bedachte. Trotzdem wagte ich noch die Frage: »Und Sie dürfen dann Kontakt haben?«

      »Wir kommen aus dem Kernland und sind selbst keine Ninturisten, aber respektieren natürlich die hei­mische Religion«, beeilte sich die Präfektin um Klärung.

      Auf einem Hügel am Rand der Stadt stand die riesengroße Statue einer Kriegerin. Sie war unbekleidet, trug einen Gürtel, in dem ein Dolch steckte und an dem die Scheide eines großen Schwertes befestigt war. Das Schwert hatte sie in der rechten Hand hoch über ihrem Kopf erhoben, offenbar bereit, es niedersausen zu lassen. Die sehr attraktive weibliche Gestalt zeigte in ihrem Gesicht ernste, entschlossene Züge.

      »Schau, Franck Sezelli, das ist das Denkmal der Unbekannten Kämpferin«, zeigte Bella Rittenhouse auf die Statue. »Sie ist dem Gedächtnis der in den Kämpfen gefallenen Frauen gewidmet, an deren ruhmreichen Ende die Souveränität und Einheit Feminas stand.«

      Der von einer unbestimmten Angst hervorgerufene Klumpen in meinem Bauch wurde stärker. Ich machte mir ernsthaft Gedanken um mein Schicksal, wehrlos in der Hand von Amazonen, wenn auch äußerlich irgendwie zivilisierten.

      Gegen Mittag hielten wir in Mammaville, so nannte Franca die Stadt. Inmitten der fünf Frauen lief ich über den zentralen Platz, der nach Königin Fuerte benannt war, wie mich die Präfektin informierte. Der große Platz war gesäumt von schön gestalteten Gebäuden, die ein harmonisches Ganzes bildeten. Drei Bauten fielen mir besonders auf, zum einen war das ein Haus an einer Querseite des Platzes, das mir seltsam bekannt vorkam. Es ähnelte verblüffend der Alten Universität Heidelbergs. Wie Frau Rittenhouse bestätigte, war es tatsächlich ein Gebäude, das der Lehre und Forschung diente. Es sei das Königliche Sexuologische Institut, das sich unter anderem mit Fragen der Bevölkerungsreproduktion befasse und zu dem die erste Samenbank der Welt gehöre. Sie würde von vielen Bürgerinnen, die keine Zusammenkünfte mit Männern wünschen, gern genutzt.

      Und woher bezieht das Institut den Samen? Aus den erwähnten Männerhäusern? Wurde mir deshalb Sperma abgenommen? Meine innere Unruhe wuchs weiter.

      Die anderen auffallenden Bauten an diesem Platz waren das zweifelsfrei als solches zu erkennende Rathaus und ein Museum. Ich hatte den Eindruck, dass sich viele Frauen nach mir umsahen.

      Über dem großen Portal des Rathauses war das Wappen Mammavilles in Stein gemeißelt, das eine stil­lende Frau und ein Schwert beinhaltete. In der prunkvollen Eingangshalle wurden wir bereits erwartet und in einen kleinen Raum mit einem stilvoll gedeckten Tisch geführt.

      Während der anschließenden Mahlzeit versuchte ich, mir mehr Klarheit zu verschaffen. Ich fragte die Präfektin: »Frau Rittenhouse, ich verstehe nicht, wieso ich von diesem schönen Königreich noch nie etwas gehört habe. Seit wann gibt es dieses Land?«

      »Ich erzähle dir gern etwas zur Geschichte unseres Königreiches. Vergiss aber nicht, etwas zu essen! Lange zu! Du musst bei Kräften sein, wenn wir im Königspalast ankommen.«

      Diese Sorge um meine körperliche Befindlichkeit machte mir erst recht Angst. Was um Himmels Willen wollten die im Königspalast von mir Gefangenem? Verstohlen schaute Franca, die neben mir saß, zu mir herüber und lächelte in sich hinein, während ihre Mutter redete.

      Als Wurzeln des Staates Femina nannte die Präfektin zum einen die große Auswanderungswelle Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem aus der Pfalz, infolge einer durch strenge Winter verursachten Hungersnot, zum anderen die matrilinear organisierten Dörfer in der Opateria im damaligen Vizekönigreich Neuspanien. Viele der deutschen Auswanderer gelangten zunächst nach Pennsylvanien,