„Woher kennen Sie Cloerkes?“, ächzte Zett.
„Die Welt ist klein“, sagte Bucholtz.
„Herr Bucholtz!“, brachte Zett mühsam heraus, denn sein Kloß im Hals wuchs von Sekunde zu Sekunde.
„Was soll ich sagen“, meinte Bucholtz. „Willem Cloerkes war mein Freund! Als die bosnischen Serben Banja Luka hielten und die Muslime Zenica, da gab es trotz allem diesen schwungvollen Handel mit Konserven und Medikamenten über Mount Vlasic. Außerdem haben die Kriegsparteien sich natürlich gegenseitig Panzer vermietet. Aber Cloerkes hat für beide Seiten den Medikamentennachschub organisiert. Waren Sie da schon bei ihm?“
„Natürlich!“ sagte Zett.
„Auch, als er starb?“
Zett zögerte. Das ging ihm alles viel zu weit. War auch viel zu gefährlich. Er wollte gerade ansetzen zu einer gestammelten Erklärung, die einer Bitte um Entschuldigung sehr nahe gekommen wäre, da sagte Bucholtz leichthin:
„Das müssen Sie mir bei Gelegenheit erzählen. Offenbar teilen wir das Trauma verlorener Freunde. Tot oder im Rollstuhl ... was Cloerkes angeht, so nahm ich manchmal seine Dienste in Anspruch im hollandweit berühmten Welthafen Rotterdam. Da haben wir zur Tarnung Rinderhack durch den Wolf gedreht und eine Klitsche betrieben, die Schiffsklos desinfizierte. Logistik halt! Beim Genever danach hat er Sie eines Tages gelobt über den grünen Klee. Ich kenne also Ihre dalmatische Geiselbefreiung aus erster Hand. Beeindruckend.
Dann ließ ich recherchieren: Kolumbien, als Sie noch für die amerikanische Drug Enforcement Agency tätig waren. Und nach dieser Blaupause ein paar Kilometer nordwestlich von Zadar Cloerkes’ Befreiung, nicht wahr? Vorwiegend eine schauspielerische Leistung. Sie spielen so lange den Clown, bis Sie ein paar Treffer absetzen können und Ihren Schutzbefohlenen rausholen. Vielleicht sechzig Prozent Chance. Nie an einen Partner gedacht?“
Zett schüttelte den Kopf.
„Und warum nicht?“
„Er ist vielleicht der bessere Soldat. Aber mein Partner weiß nie, wann er drohen muss, schimpfen, lächeln oder sich besser vor gespielter Angst in die Hose pisst. Jedenfalls bin ich meinem Partner nie begegnet.“
Bucholtz nickte. „Und Ihre Angst war immer nur gespielt?“
„Sie sind ein ahnungsloser Hirnwichser“, sagte Zett.
Wiederum nickte Bucholtz. Dann deutete er auf sein Gesicht und sagte: „Kosovokrieg. Sprengfalle“, bevor er eine lange Pause machte. Zwischen seinen Narben arbeiteten die unzerstörten Muskelreste. Schließlich hatte er sich wieder im Griff. „Mittelfristig setzen wir Ihre Erfahrungen aus Kolumbien und der dalmatischen Geiselbefreiung ein. Sie beschützen Leute – manche von uns brauchen Schutz. Sie können jemand raushauen, notfalls mit nicht mehr als einem Riesentheater – manchmal muss einer von uns rausgehauen werden. Das ergänzt sich also. Das werden Ihre Aufgaben, mittelfristig, in ein paar Monaten. Vorderhand gedenke ich persönlich die Erfahrungen zu nutzen, die Sie in Cloerkes’ weniger respektablen Jahren erworben haben. während seiner Tätigkeit als ... sagen wir mal Kunsthändler?“
Zett mochte überhaupt nicht, wie milde abfällig Bucholtz über Cloerkes sprach. „Was wollen Sie?“, fragte er barsch und wedelte mit dem edlen, goldgeprägten Leinenband. „Vorderhand!“
„Sie sind ziemlich unverschämt, Zottnow. Betrachten Sie sich als engagiert!“
„Für welchen Auftrag? Vorderhand? Wie lange? Wo? Wie viel?“
„Immer direkt auf den Punkt“, sagte Bucholtz, „was ja bei Kunsthistorikern eher selten ist, mein lieber ... da stoßen wir übrigens auf ein Problem: Soll ich Sie unter vier Augen Zett nennen oder Zottnow? Wir könnten es konspirativ auch so halten, dass die Anrede mit Ihrem richtigen Namen für die Korrektheit meiner Anweisungen bürgt, wohingegen ...“
„Herr Bucholtz“, unterbrach Zett ihn mühsam beherrscht. „Wie Sie wissen, ist für mich der Name Zottnow lebensgefährlich. Thomas Zottnow ist tot. Sonst bin ich tot.“
„Tja, der iranische Auslandsgeheimdienst ist ganz schön pfiffig“, nickte Bucholtz, „und teilt sein Wissen ärgerlich oft mit Hisbollah ...“ Zett hätte ihn gern geohrfeigt. „Und eben, weil Sie es sich nicht leisten können und fast Ihr letztes Geld in die neue Identität gesteckt haben ... so sind Sie das doch vom Broker gewöhnt, oder? ... dass Sie runterverhandelt werden? Ich meinerseits habe gar keine Lust, mit Ihnen zu verhandeln. Sie unterschreiben mir den üblichen Vertrag, in dem Sie das Risiko akzeptieren, beschossen, verstümmelt oder getötet zu werden, sei es durch Schusswaffen, Landminen, Bomben, den Absturz von Flugzeugen, chemische oder biologische Kampfstoffe, Hieb- und Stichwaffen et cetera, et cetera, pe, pe. Und ich biete Ihnen den Sold eines Eins-A Gruppenführers, dreißigtausend im Monat plus Spesen. Plus Bonus im Erfolgsfall. Keine Verhandlungen! Ja oder nein?“
„Euro? Aber ich kenne immer noch nicht meinen ersten Auftrag“, sagte Zett. „Den mit Ursula. Wenn ich das Buch hier richtig deute.“
„Euro! Aber für einen akzeptablen Auftrag finden Sie das Geld okay?“ Zett nickte, ärgerte sich aber sofort, weil ihm sein Nicken zu beflissen vorkam. „Dann sind Sie engagiert – vorausgesetzt, Sie fühlen sich der Aufgabe gewachsen. Über jedes weitere Detail herrscht ab sofort absolutes Stillschweigen!“
„Einverstanden“, sagte Zett, „vorausgesetzt, Sie vergessen den Namen Zottnow!“
Bucholtz reichte ihm die Hand und Zett schlug ein, gerade, als sie den Steinthron passierten.
„Das passt doch alles ganz hervorragend!“ deklamierte Bucholtz. „Nehmen Sie Attilas Sitz hier zu unserer Rechten! Diesen getürkten Hunnenthron. Totaler Blödsinn, wie Sie wissen! Venedig selbst hat seine mächtige Handelskonkurrenz Torcello in Schutt und Asche gelegt – bis auf die Kirche Santa Maria Assunta. Anschließend hat Venedig seine Mordbrennerei dem Attila in die Schuhe geschoben, was nur funktionierte, weil in der Lagune niemand noch verhasster war als Attila. Dass dieser Steinsessel hier Attilas Thron heißt, ist ein grandioser Propagandatrick. Alter Stein eignet sich eben hervorragend für Propagandazwecke, das weiß niemand besser als Sie, Sie haben es ja in Dubrovnik miterlebt nicht wahr? Oder bleiben wir bei der Hunnenpropaganda und dem Clematiusstein mit seinen elftausend Jungfrauen in Köln. Ursula hin oder her, ich brauche einen Neugierigen, der kunsthistorisch denken kann und auch ein bisschen schreiben und der außerdem damit klarkommt, wenn hinter der nächsten Ecke fünf Penner lauern, die auf seine Unterlagen scharf sind. Jemand, der schießt, bevor er sich erschießen lässt. Eine Art wehrhaften Ursulareferenten. Immerhin Ihre Doktorarbeit. Sie wissen doch, wovon ich rede?“
Zett fand das Examen lästig, lästiger noch als Bucholtz’ Kenntnis seiner Tage im belagerten Dubrovnik, doch Bucholtz musste wohl prüfen, wie fest seine kunsthistorische Tarnkappe saß.
„Ursula und ihre elftausend Jungfrauen, die angeblich von den Hunnen gemeuchelt wurden. In Köln wie in Venedig präsent durch Ursulalegendenzyklen, von allerdings sehr unterschiedlicher Qualität, wobei ich Carpaccios Märtyrerinnen vorziehe“, schloss er, als ihm Bucholtz’ ironisch hochgezogene Braue auffiel.
„Woran Sie gut tun. Sehr löblich!“, sagte Bucholtz. „Aber Märtyrerinnen? Ziemlicher Kokolores!“ Er zog Zett mit sich auf die Teufelsbrücke, die ohne Geländer den Hauptkanal überspannte. „Natürlich sind sie umgebracht worden, aber nicht als christliche Märtyrerinnen! Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie das Pfeilmotiv in die Legende kam?“
„Hunnische Standardwaffe?“, riet Zett.
„Jaha“,