Wobei ich mich mitnichten explizit gegen die Amerikaner wende, auch wenn ganz aktuell, am 13. Oktober 2003 in der chilenischen Tageszeitung »El Mercurio« folgende Anzeige erschien: „Internationales Unternehmen sucht ehemalige Militärbedienstete für Tätigkeit im Ausland. Vorzugsweise Offiziere, Offiziersanwärter und Angehörige von Sondereinheiten.“ Offenbar wird also der so genannte Freiheitskampf im Irak mithilfe von Pinochets einstigen Todesschwadronen geführt.
Ich will Ihnen ein idealtypisches Beispiel nennen, wie es anders sein sollte. Als König Johann Sobieski mit seinen Schwanenrittern das belagerte Wien vor dem Türkensturm bewahrte ...“
„Das führt doch zu nichts, alter Haudegen“, meinte Arnavut. Bucholtz drückte auf schnellen Vorlauf und dann erneut auf Wiedergabe.
„Wir alle wissen, dass am Beginn des freien Westens, am Beginn des demokratischen Amerika Söldner aus der alten Welt standen, Männer wie Steuben, wie Lafayette, auch Polen wie Kościuszko und Pulawski, beide enge Freunde meiner Familie. Und niemand ist tiefer bewegt als ich, wenn sich Amerika heute dafür bedankt, indem es Polen im Irak eine Besatzungszone anvertraut ...“
„Halleluja“, murmelte Rawdon vom Neuweltrat.
„Heute jedoch ist die Privatisierung des Krieges durch Demokratien, die es nicht mehr aushalten, wenn das Fernsehen heimkehrende Leichensäcke zeigt, das eigentliche Skandalon.“
„Jetzt kommt die Bergpredigt“, lästerte Tyagaraja.
„Modernes Söldnertum macht es für Demokratien einfach, Krieg zu führen. Es schafft aber auch eine neue Kaste von Kriegsunternehmern, die wie ein italienischer Colleoni oder Wallenstein und Konsorten im Dreißigjährigen Krieg am Konflikt verdienen und am Konfliktende gar kein Interesse mehr haben. So fallen wir mit der Waffentechnologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts in die Kommandostrukturen des siebzehnten Jahrhunderts zurück – eine Entwicklung, die mir Grausen verursacht.
Technologisch geht die Entwicklung längst dahin, das innere Befinden Krieg führender Nationen noch weiter vom Geschehen im Feld abzukoppeln. Geforscht wird nicht nur an körperverstärkenden Kampfanzügen, die Achtzigkilometermärsche ermöglichen und durch Kevlar den Träger weitestgehend vor Verwundung schützen, das wäre ja noch durchaus legitim. Geforscht wird auch an einer Militärrobotik, die mit den bereits heute eingesetzten Drohnen erst ganz am Anfang steht. Bald führen wir Kriege Maschine gegen Mensch und ganz zuletzt Maschine gegen Maschine. Will sagen, wir entmenschlichen den Krieg, nachdem wir ihn jetzt schon entdemokratisiert haben ...“
„Und wenn das Abspielgerät einen Materialschaden hätte?“, fragte Hassan Idrisi.
„Nur noch eine Minute“, vertröstete ihn Bucholtz.
8. Köln, Wallraf-Richartz-Museum. Samstag, 29.11.2003
Punkt Viertel nach fünf durchblätterte Zett seine Brieftasche unter dem amüsierten Blick des Museumswärters, der offenbar entschlossen war, Zett nicht zu kennen, obwohl er ihn nun wirklich oft genug gesehen hatte. Dass er am Ende ohne Ticket eingelassen wurde, war trotzdem nicht verwunderlich – zu seiner Legende gehörte auch die Mitgliedschaft im Verein der Freunde und Förderer des Museums samt Jahresausweis. Das Wunder bestand vielmehr in Zetts rechtzeitiger Ankunft.
Zuerst hatte am venezianischen Flughafen Marco Polo eine zweistündige Sicherheitsübung den Start verzögert, bis sich die Passagiere schon am Bootsanleger stauten. Dann waren Zett und Sanne in die Propellermaschine von Air Dolomiti geklettert, wo ein Defekt im Cockpit für weitere dreißig Minuten Verspätung sorgte. Susanne hatte zwischendurch ein nur halb scherzhaftes Stoßgebet zu den „total süßen“ lila Cherubim gesandt, die Zett ihr im Ursulazyklus der Accademia gezeigt hatte. Nun banden sich, kaum in der Luft, die Stewardessen Schürzen um, bevor sie Snacks servierten – was aber keine Minute wettmachte. Hoffnung schöpften sie erst wieder in München. Lufthansa, für die Air Dolomiti die Strecke bediente, wartete an der Gangway mit einem Kleinbus und den Namensschildern aller Passagiere, die innerdeutschen Anschluss brauchten. Es dauerte zwar noch, bis ihre Koffer umgeladen waren, aber dann sausten sie über das Rollfeld zuerst zu einem Flieger Richtung Münster und dann sofort weiter zu ihrer Maschine nach Köln.
„Bitte!“, hatte Susanne gesagt, diesmal eindeutig scherzhaft, „Geht doch!“
Nach der Landung nötigten die Umstände Zett zu einer drastischen Entscheidung. Als das Gepäckband sich um zehn nach vier immer noch leer drehte – um sechs schlossen die Museen – drückte er Susanne seinen Wohnungsschlüssel in die Hand und spurtete zu den Taxis, gerade mal, dass er noch über die Schulter rief: „Die Adresse steht auf meinem Koffer!“ Während er nun die Treppe stürmte und an mittelalterlichen Bildern vorbei den Saal mit der übereck gezogenen Fensterfront erreichte, der eigens für den Ursulazyklus entworfen war, rechtfertigte er gebetsmühlenhaft seinen Leichtsinn: Wären die Koffer zügig aus dem Schacht gerollt, hätte er Susanne trotzdem in seine Wohnung lassen müssen. Und zwar allein. Er konnte sie ja schlecht im nächstbesten Café absetzen mit der Bitte, schön aufs gemeinsame Gepäck achtzugeben, während er seinen Termin wahrnahm. Hatte er aufgeräumt vor seiner Abreise? Lag irgendwo noch eine Waffe? Würde sie im Kleiderschrank das Schulterholster finden, das beim besten Willen nicht mehr in den proppenvollen Wandsafe passte?
Aber was halfen die Beschwörungen – Bucholtz hatte gefaxt: „unverzüglich“! Was zumindest hieß, dass man sich treffen sollte, bevor das Museum schloss.
Und was konnte Susanne allein in Zetts Wohnung schon schlimmstenfalls anrichten? Kramte sie überhaupt in fremden Schubladen? Und wenn schon! Die Damen Smith & Wesson, SIG Sauer und Makarow sowie alle heiklen Papiere lagen im Safe.
Wirklich?
Bestimmt!
Ganz sicher?
Und Cloerkes meinte süffisant: „Null Risiko bringt null Performance.“
Fünfzehn dichtgehängte Bilder an der Wand, alle in etwa gleich hoch, dafür unterschiedlich breit, älter als Carpaccios Bilder, niemandem verlässlich zugeschrieben und im Vergleich zum venezianischen Zyklus armselig – Zett kannte sie in- und auswendig, hatte er doch den Anstand besessen, wenn schon einen gefälschten Doktor zu machen, sich wenigstens das Thema der Dissertation gründlich anzuschauen. Dort hingen Sargdeckel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die bemalten Deckel jener Kisten, in denen die Gebeine der elftausend Jungfrauen ineinander gepuzzelt worden waren – Wirbel ins hohle Schädelchen, Fersenknochen in die Augenhöhle, Schädel in die Mulde des Beckenknochens, Elle, Wade, Oberschenkelknochen, Speiche hübsch nebeneinander wie ein Satz unterschiedlich abgenutzter Buntstifte – lauter Knöchelchen, die von geschäftstüchtigen Bischöfen aus Kölner Friedhofserde gescharrt und ausgekocht worden waren, um das Gebein vom Fleisch zu erlösen.
Der kleine Kölner Ursulazyklus predigte: Klappt diese Deckel auf und was ihr findet, das sind namenlose Knochen. Eine banale Geschichte, platt erzählt, Schautafeln eines Moritatensängers ohne Intonation und Zeigestock. Das leierte in einem fort. Das verdarb die beste Laune, die aufkommen wollte, sobald man im Saal eintraf und merkte: Man war allein. Vor dem Auftraggeber angekommen. Sogar Cloerkes, körperlich ja nun wirklich nicht gut beisammen, schauderte zurück vor dieser Plattitüde, die ein dreidimensionales Mosaik aus Leichenteilen zugedeckt hatte. Nichts daran hielt dem Vergleich mit Carpaccio stand, nicht mal die gemalten Stoffe, trotz aller Mühe, die sich der Maler gab. Allenfalls die Kissen, die den Rücken von Ursulas Mutter im Wochenbett stützten. Aber der grüngoldene Teppich im selben Bild? Was für ein Qualitätsgefälle! Man kam nicht umhin, zu fragen, wie diese Lumpen passen sollten zur weithin berühmten Textilstadt Köln oder zum regen Handel zwischen der Serenissima Repubblica Venedig und der Freien Reichs- und Hansestadt Köln am Rhein. Zweifellos hingen und lagen in Kölns guten Stuben Orientteppiche derselben Güte, wie Carpaccio sie gemalt hatte. War also der Maler des Kölner Zyklus schlicht unbegabt