Lewisohn berichtet von seiner Arbeit an dem Buch Tune In und der damaligen Lektüre jeder einzelnen Musikzeitschrift in den jeweiligen Zeiträumen. Im Juli 1960 fand Lewisohn im New Musical Express den Ausdruck Poppermost im Zusammenhang mit einer neuen LP-Reihe der Firma Top Rank Records. Der dazugehörige Werbeslogan lautete „Toppermost of the Poppermost“. Daraus folgert Lewisohn: „Sie müssen das ja irgendwo herhaben. Sie müssen das im NME gesehen haben“. Die entsprechenden Dokumente werden eingeblendet. Mit einer Mischung aus Begeisterung und Entschlossenheit sagt Lewisohn: „They must have seen that“.
Blackboard Jungle
Lewisohn berichtet von den Hintergründen seiner Recherche. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Toppermost-Poppermost-Slogans gerät Top Rank Records in finanzielle Schwierigkeiten und wird 1960 von EMI gekauft, die das vorhandene Material als Basis für ihr 1962 neu gegründetes Label Statesides Records nutzen. Bei Top Rank Records arbeitete damals Dick Rowe, der nach dem Verkauf 1960 zu Decca wechselte. Dort erlangte er bald danach Berühmtheit als der Mann, der die Beatles nicht unter Vertrag nahm. Unmittelbar nach dieser Absage von Dick Rowe – so stellt sich Lewisohn das enthusiasmiert vor – müssen die enttäuschten Beatles den Poppermost-Spruch gesagt haben, um sich Mut zu machen, ohne zu ahnen, dass die Redewendung möglicherweise ausgerechnet von dem Mann geprägt wurde, der sie gerade abgelehnt hatte.
Nach einigen interessanten Abschweifungen spricht Lewisohn wieder mehrfach (Dauer des Gesprächs insgesamt 36 Minuten) über seine Poppermost-Entdeckung. Er hat sogar eine dazu passende Basecap bedrucken lassen und ruft einen Wettbewerb aus. Aber wie ist Lewisohns Recherche vor dem Hintergrund von Lennons Erläuterung zu verstehen, er habe den Spruch aus einem Film über Liverpool mit Rock’n’Roll-Soundtrack wie in „Blackboard Jungle“? Ist Lennons Erklärung unglaubwürdig? Ich fände es zielführender, den Film ausfindig zu machen, von dem John Lennon spricht.
Die Motorcycle Girls „The Beetles“
Bei meinen Recherchen stieß ich auf mehrere Möglichkeiten. Zunächst bietet sich das Outlaw-Biker-Drama „The Wilde One“ von 1953 mit Marlon Brando (als Johnny in einer schwarzen Lederjacke, Jeans, schwarzen Handschuhen und schwarzen Stiefeln auf einer Triumph Thunderbird 6T) und Lee Marvin (als Chino) an: Damit ließe sich der amerikanische Akzent erklären, mit dem Lennon den Poppermost-Spruch sagt. All das ist in der Beatles-Forschung kein Geheimnis. Ob Lewisohn nichts davon weiß oder es willentlich verschweigt, ist unklar. Er erwähnt zwar, dass Lennon den Toppermost-Spruch mit amerikanischem Akzent sagt, sagt aber nicht, warum. Sehr wahrscheinlich ist, dass sowohl John Lennon als auch Top Rank Records 1960 die Ausdrücke nicht frei erfunden haben. Den Ausdruck „Shoppermost“ gibt es in der Werbung mindestens schon seit den 1940er Jahren.
Der Film „The Wilde One“ war international sehr erfolgreich, hatte großen Einfluss auf die Jugendkultur der 1950er Jahre (mit Marlon Brando als Vorbild für James Dean und Elvis Presley) und wird in einem weiteren Zusammenhang mit den Beatles bekannt: Die Mädchen von Chinos Gang heißen „the Beetles“, sie sind die „Motorcycle Chicks“. Die Beatles-Forschung beschäftigt das nach wie vor, obwohl John Lennon die Herkunft des Bandnamens stets unabhängig von „The Wild One“ erklärt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kultstreifen starken Einfluss auf John Lennon und Stuart Sutcliffe hatte, ist jedoch hoch, auch was die darin dargestellte Macho-Rocker-Mentalität, die Kleidung oder die Frisuren mit den langen Koteletten betrifft. Marlon Brando ist zudem mit Wild-One-Ballonmütze auf dem Sgt. Pepper Cover vertreten und in der Beatles Anthology wird auf den Film hingewiesen. George Harrison vermutet darin, dass die Begeisterung Johns und Stuarts für „The Wild One“ des Ausschlag für den Bandnamen gegeben haben könnte. Der Film wurde zwar zeitweise in Großbritannien verboten, aber es gab zahlreiche Möglichkeiten, ihn Ende der 1950er Jahre bei Privatvorführungen zu sehen.
Violent Playground
„I used to dress like a Teddy Boy and identify with Marlon Brando and Elvis Presley“, sagt Lennon zudem 1980 im Playboy Interview. Und Jürgen Vollmer schreibt in seinen Memoiren: „Zunächst wirkte vor allem John Lennon, der offensichtliche Kopf der Band, auf mich wie ein bedrohlicher Schläger. Während er Gitarre spielte, schob er seinen Körper im Rhythmus der Musik nur leicht nach vorne. Cool. Zurückgehaltene Aggressivität. Er erinnerte mich an den jungen Marlon Brando in „The Wild One“. In The Beatles Anthology wird der Ausschnitt aus „The Wild One“ gezeigt, die Szene, in der Lee Marvin von seinen Biker Girls, den Beetles spricht.
Entgegen anderslautenden Aussagen auf Beatleswebseiten und in Beatles-Büchern fallen aber im Film „The Wild One“ die Begriffe Toppermost und Poppermost nicht. Auch ein „Chant“, das Frage-Antwort-Spiel findet nie statt zwischen den Leadern Johnny und Chino und ihren Gangs. Bei meiner Recherche habe ich mich deshalb auf den von Lennon genannten Film „Blackboard Jungle“ konzentriert, ein sozialkritisches Drama von 1954 aus den USA mit einem bemerkenswerten Rock’n’Roll Soundtrack. Er erzählt von den Schwierigkeiten an einer ethnisch gemischten Schule mit vielen Schwarzen und bedeutet den Durchbruch als Schauspieler für den späteren Oscar-Preisträger Sidney Poitier. Erst von da aus kam ich der Lösung des Rätsels einen Schritt näher: Lennon erwähnt ja einen ähnlichen Film, der jedoch in Liverpool spielt, ohne sich an den Titel zu erinnern. Ich stieß auf „Violent Playground“ von 1958. In diesem Streifen, in dem Rock’n’Roll eine eher negativ besetzte Rolle spielt und doch leitmotivisch präsent ist, verhält sich der Gang-Leader Johnny exakt, wie es Lennon beschreibt.
I’m gonna play rough
Der Film ist sehenswert, weil er Liverpool in vielen Facetten zeigt, so wie John Lennon seine Heimatstadt als 17- und 18-Jähriger erlebt hat: Plätze, Straßen, Autos, Busse, Cafés, Werbetafeln … Auch die Verteufelung der neuen Musik wird so besser verständlich: Katholische Kirche vs. Rock’n’Roll. Die Guten im Film halten den Jive aus den USA für verderblich. Die Bösen sind wie verhext und werden Opfer der wilden Rhythmen. Herausragend dabei ist eine Szene, in der Johnny und seine Gang bei einer Party ekstatisch tanzen, was den Polizisten anwidert.
Lewisohn kennt den Film: Er erwähnt ihn aber lediglich in historischem Kontext mit Bezug auf Liverpool in den späten 1950er Jahren und Rock’n’Roll, aber nicht mit einem Wort im Zusammenhang mit dem Einfluss auf John und seinen Toppermost-Aufmunterungsspruch. Ich hatte das Toppermost-Poppermost-Puzzle beinahe fertig. Der Duktus des Spruchs stammte wohl aus dem Liverpool-Rock’n’Roll-Film. Kleiner Schönheitsfehler: Auch in „Violent Playground“ fallen die Begriffe Toppermost und Poppermost nicht. Und auch eine ausdrückliche Chant-Szene gibt es nicht, obwohl Johnny seine Gang mehrfach aufmuntert oder herumkommandiert. Den Film dominiert ein Song: „Play Rough“ von Johnny Luck mit Ken Jones and his Orchestra. Luck hat eine merkwürdig rauhe und harte und abgesehen vom Refrain feminine Stimme: „I’m gonna play rough, I’m gonna get tough“. Der Song und die vielen vertrauten Schauplätze müssen den 18-jährigen Lennon im Kinosaal beeindruckt haben und eventuell auch einige Szenen und Motive: die Kleinkriminalität von Kindern und Jugendlichen; die Arbeitslosigkeit; die Tanzpartys; Johnny, der nicht ins Grand Hotel eingelassen wird; die Schlägereien und die Maschinenpistole im Gitarrenkoffer; die Dialoge zwischen Priester und Sergeant über Gott vs. Psychoanalyse. „We have to leave quite a lot to God“, sagt der Geistliche dem Polizisten.
Poppers
Ich hätte die Recherche beenden können in der Annahme, dass Lennon die beiden Elemente kombiniert hat: Den Film „Violent Playground“ und den Slogan von Top Rank Records, der erstmals zwei Jahre später im NME auftaucht. Ein witziger Zufall dabei ist die Tatsache, dass die Produktionsfirme von „Violent Playground“ ausgerechnet The Rank Organisation ist, zu der Top Rank Records gehört. Aber sollte