Libri Cogitati. Stefan Heidenreich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heidenreich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847643081
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klären, ob ›Intelligent Design‹ kurz ›ID‹ genannt, eine religiöse Vorstellung war oder aber eine Wissenschaft. Also auf Fakten und Versuchen gegründet und experimentell überprüfbar.

      Der Grundgedanke dieser neuen Theorie (oder sollte man Religion sagen?) bestand darin, dass eine perfekte Welt wie die unsere nicht zufällig entstanden sein konnte. Der einzige Unterschied zur bisherigen Schöpfungstheorie bestand lediglich darin, dass kein Gott personifiziert und mit einem Namen versehen wurde.

      Dass eine solche Gerichtsverhandlung ausgerechnet in den USA stattfand, hing mit Sicherheit damit zusammen, dass sich die amerikanische Verfassung auf den Glauben an Gott stützte. Dieser Glaube fand sich, für alle sichtbar, selbst auf der Ein-Dollarnote wieder, die die Worte „In God we Trust“ zierten. (wir vertrauen auf Gott!)

      Dieser Glaube und die Evolutionstheorie standen also im direkten Widerspruch zueinander und führten bei vielen Menschen zu einer Desorientierung, mit der sie nicht mehr umgehen konnten. Solange Menschen eine Religion verfolgten, glaubten sie an eine höhere Macht. An jemanden, der über allem wachte und uns für unsere Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen würde. Dabei war es völlig egal, welcher der verschiedenen Religionen man angehörte und an welchen Gott oder welche Götter man glaubte. Früher wurde Menschen während ihrer Kindheit mehr oder weniger der Glaube an Gott und seine Allmächtigkeit vermittelt.

      Dieser Glaube geriet allerdings mit Verbreitung der Evolutionstheorie immer mehr ins Abseits. Zunehmende Kriminalität als Folge mangelnder Moralbegriffe war eine Entwicklung, die man immer wieder beobachten konnte.

      Es stellte sich die Frage, ob dies auch eine mögliche Ursache für die Ziellosigkeit war, die wir bei nachfolgenden Generationen immer häufiger feststellen konnten, und die so manche Eltern oftmals bis an den Rand der Verzweiflung führte. Kein Wunder also, dass die Anhänger der ID um ihre Anerkennung kämpften. Und vielleicht würde eine solche Anerkennung wenigstens einen Teil der einst vorhandenen Moral in unser Leben zurückbringen. Doch, wie gesagt, machten uns übersinnliche Phänomene, die weder mit dem Glauben noch mit der Wissenschaft im Einklang standen, einfach Angst. In früheren Zeiten löste man bestimmte Probleme auf eine andere Weise. Im Mittelalter wurden Menschen, die nicht in die allgemeine Logik oder Glaubensvorstellung passten, kurzerhand verbrannt. Heute beschränkten wir uns lediglich darauf, sie zu verleugnen. Die Medien dienten uns dabei als geeignetes Werkzeug. Ein kleiner Hinweis hier, eine kurze Verleugnung dort, und schon verlor ein Mensch über Nacht alles, was er war und hatte. Nicht zuletzt sogar seine Ehre.

      In jedem Fall jedoch seine Glaubwürdigkeit.

      Wem nützte da ein kleines Dementi als Einzeiler auf Seite sieben, wenn der Ruf eines Menschen bereits über mehrere Tage lang in den Schlagzeilen öffentlich hingerichtet wurde?

      Nun, wo war er also geblieben, der Unterschied zur Hexenverbrennung?

      Es galt die Devise, was wir nicht erklären konnten, das gab es auch nicht. Für sogenannte übersinnliche Dinge diente in unserer Vorstellung der Computer in unseren Köpfen als Energiequelle. Schließlich wussten wir seit der Erfindung der Ätherwellen, dass es möglich war, bestimmte Energien durch die Luft zu transportieren, auch wenn diese für das menschliche Auge nicht sichtbar waren.

      Um diese Wellen und die damit transportierten Informationen wie zum Beispiel die neuesten Nachrichten, den Wetterbericht oder auch nur Musik auffangen zu können, bedurfte es teilweise nicht einmal eines Empfangsgerätes. Wenn man nah genug an der Quelle dieser Information wohnte, dann war es oftmals sogar möglich starke Sender in der heimischen Küche zu empfangen, wo die elektrische Herdplatte als Wiedergabegerät fungierte.

      Alles bestand also nur aus Physik. Sender und Empfänger.

      Doch lagen unsere Wissenschaftler damit wirklich richtig?

      Funktionierte unsere Welt wirklich so einfach?

      Im Laufe der letzten drei Monate kamen der Gruppe immer mehr Zweifel. Alles begann mit der Frage, wo endet eigentlich unsere Welt. Von der Erde hatten wir uns längst erhoben, und laut einer amerikanischen Fernsehserie sollten wir nun in fremde Welten aufbrechen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hatte. Nachdem wir uns selbst über viele Jahrtausende als Zentrum des Seins verstanden, machten wir uns auf einmal ganz klein.

      Die Erde wurde in unseren Köpfen, fast über Nacht, kleiner als ein Stecknadelkopf im Heuhaufen. Es gab zu viel zu entdecken. Und auch die Studenten fragten sich, wie wohl jeder von uns, was uns da draußen erwarten würde.

      Wo befand sich das Ende? Und wie sah es aus? Befand sich unser Weltall in einer Kuppel? Oder in einer Glaskugel?

      Man konnte es mit den kleinen Glaskugeln vergleichen, die einem Schweizer Erfinder zu Reichtum verhalfen. Die Idee dazu hatte er, nachdem er während eines Schneesturms mehrere Stunden in seinem VW-Käfer eingeschlossen war.

      Es handelt sich um die Kugeln, in denen sich eine kleine Landschaft, eine Flüssigkeit und ein paar weiße Krümel befanden. Man nahm sie in die Hand, schüttelte sie kurz durch und beobachtete, wie sich der Schnee in der Kugel langsam über die bunte Landschaft in ihrem Inneren legte.

      Befanden wir uns in einer ähnlichen Kugel? Gab es jemanden, der uns kurz schüttelte und dann beobachtete, wie wir darauf reagierten?

      Nach einiger Zeit erschien den angehenden Philosophen auch diese Vorstellung unglaubwürdig. Denn in welcher Kugel sollte sich derjenige befinden, der unsere Kugel schüttelte, und so weiter.

      Für sie wurde es zu einer Frage, auf die es niemals eine Antwort geben konnte. Es musste etwas anderes sein, woraus unser Leben bestand.

      Was wäre also, wenn alles nur für uns existierte?

      Was wäre, wenn wir uns unsere Welt, wie wir sie kannten, selbst erschaffen hatten, so wie der Buchautor es andeutete?

      Wir wären nicht mehr als das Produkt einer geistigen Energie, die weder Raum noch Zeit bräuchte. Alles, was wir erlebten, wäre nur vorhanden, weil wir etwas brauchten, das wir verstehen könnten. Aus jener geistigen Energie erschaffen, die uns selbst ausmachte.

      Waren diese Gedanken vielleicht der nächste logische Schritt?

      Dachten wir einmal zurück. Versetzten wir uns zurück in unsere Kindheit. Lange bevor man uns die Welt, wie wir sie kannten, erklärt hatte. Damals war etwas anders.

      Das Stichwort hieß Fantasie. Das größte Gut, welches wir besaßen. Nur in der Fantasie waren wir frei von sämtlichen Zwängen des Lebens.

      Man sprach dabei oft von dem schlichten Gemüt eines Kindes. Man konnte behaupten, dass Kinder freier waren als Erwachsene. Kinder konnten in ihren Träumen über unsere Welt fliegen. Sie frei von allen Regeln erfassen. Vielleicht konnten sie unsere Welt sogar neu entstehen lassen. Michael Ende versuchte genau das in seiner unendlichen Geschichte zu beschreiben. Ich denke, also bin ich.

      Es gab unzählige Seiten, die die sieben jungen Leute zusammengetragen und für sich ausgewertet hatten.

      Sie sprachen den ganzen Abend über die verschiedensten Für und Wider ihrer Arbeit.

      Was der Professor wohl dazu sagen würde?

      Es war inzwischen 22.00 Uhr und er schon drei Stunden überfällig.

      Gerhard saß gerade mit seiner Tochter Julia am Tisch und wartete auf das warme Abendessen, welches Marlis seit einer Stunde in der Küche vorbereitete. Er hatte Julia, nachdem sie ihn wieder einmal in ihrem Lieblingsspiel an der Playstation besiegt hatte, ins Badezimmer geschickt, damit sie sich vor dem Essen noch die Hände wusch.

      Marlis hatte inzwischen den Tisch gedeckt und der aus der Küche strömende Duft bestätigte ihm wieder einmal, dass er eine Köchin der Extraklasse geheiratet hatte. Eigentlich hatte er seit damals ein schlechtes Gewissen. Für ihn hatte sie ihr Studium aufgegeben und sich, seitdem sie damals schwanger geworden war, völlig ihren häuslichen Aufgaben hingegeben. Sie war einfach eine fantastische Mutter und Ehefrau. Seit einigen Jahren die Ehefrau eines Anwalts, der oftmals bis in die späten Abendstunden arbeitete.

      Marlis war gerade wieder auf den Weg in die Küche, als das Telefon klingelte.