Wer schreibt der bleibt?. Rainer Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783742763235
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dem Revolutionär zu tun? Und mit seinen hehren Zielen, dass er so gern schöne Frauen sieht und sich mit ihnen unterhält?“

      Und so ging das immer weiter. Die Parteiversammlungen im Verband wurden immer ritualhafter. Es wurde nicht mehr so von der Leber weg gesprochen. Das hat meinen Mann sehr beschäftigt, weil er ein so grundehrlicher Mensch war.

      Schon am 17. Juni wuchsen seine Zweifel und ich war eigentlich diejenige, das mache ich mir heute noch zum Vorwurf, die oft gesagt hat, „ach na ja das sind doch Dinge, die sich schon klären werden, das sind Schönheitsfehler.“ Obwohl ich niemals in der Partei war und dazu gar keine Veranlassung hatte. Aber ich wollte eben auch, dass er innerlich zur Ruhe kommt und sich mehr seiner schriftstellerischen Arbeit widmet.

      E.R. Greulich schilderte seine Erinnerungen an diesen Tag im Interview mit Ursula Reinhold so:

      Wir wohnten damals in der Immanuelkirchstraße. Unserem Haus gegenüber befand sich eine Abteilung der Bekleidungsfabrikation von „Fortschritt“. Stimmengewirr frühmorgens ließ uns auf den Balkon treten. Die Betriebsangehörigen versammelten sich vor der Toreinfahrt. Hinter roter Fahne und selbstgebasteltem Transparent, „Nieder mit den Normen“, formierten sie sich zur Demonstration und marschierten den Prenzlauer Berg hinab. Wir lebten mitten in der aufgeheizten Atmosphäre und waren doch erschrocken. Ich dachte, eine Demonstration gegen die Partei. Dann korrigierte ich mich: Gegen die falsche Politik der Partei. Doch wer hält das so präzise auseinander? Es ist ernster als wir ahnten, wusste ich jetzt, und machte mich auf zum Sekretariat des Schriftstellerverbandes in der Friedrichstraße. Mit einem Hexenschuss geschlagen, humpelte ich krumm und am Stock den ganzen Weg zu Fuß. Straßenbahnen standen leer und verlassen auf den Schienen, Geschäfte waren geschlossen, aus den Seitenstraßen strebten Demonstranten in lockeren Haufen zur Stadtmitte. Ihre Losungen waren hastig gemalt, aber eindeutig, ihre Parolen klangen aggressiv, teilweise hasserfüllt. Je näher ich dem Sekretariat kam, desto heftiger brodelte es überall. In der Friedrichstraße sah ich einige junge Burschen, die eine Republikfahne herunterholten und verbrannten. Deutlich erkennbar, eine Schar aus dem Westteil der Stadt. Kollegen, die mit und nach mir eintrafen, berichteten von ähnlichen Trupps, die Zeitungsstände ansteckten, Kioske demolierten und Autos umkippten. Wir verbarrikadierten das Haus und bewaffneten uns mit Stuhlbeinen. Sämtliche Versuche, telefonisch oder per Kurier die Kreisleitung, die Bezirksleitung oder das ZK zu erreichen, blieben den ganzen Tag erfolglos. Stefan Heym hat diese Episode in seinem Nachruf ironisch vermerkt. Ohne das Eingreifen von westlicher Seite zu übersehen, wurde nicht nur mir bewusst: das Desaster ausgelöst hatten Fehlentscheidungen der Regierung und Parteiführung. In einem Artikel im ND, gleich am nächsten Tag, unterstrich es der Ministerpräsident Otto Grotewohl mit dem Satz: „Wenn man eine Fackel auf Beton wirft, kann nichts brennen.“ Sehr bald schon wollte es die Parteispitze nicht mehr wahrhaben. In einer Sitzung des Parteiaktivs im Schriftstellerverband, kurze Zeit nach dem 17. Juni, machte ich meinem Unmut über das Versagen der Parteiführung Luft. In meinem ganzen Parteileben bin ich, salopp gesagt, nicht so brachial zusammengeschissen worden wie an diesem Abend von Michael Tschesno-Hell, Gründer und damals Verlagsleiter des Verlages Volk und Welt. Mit Marx, Engels, Lenin und selbstverständlich Stalin, bewies er mir meine politische Unreife, mein Kapitulieren vor dem Klassenfeind, meinen ideologischen Defätismus. Wie Brecht hat er nicht argumentiert, von dem der Satz stammt, wenn das Volk der Regierung nicht passe, dann müsse sich die Regierung halt ein anderes Volk wählen.

      Hannelore Greulich weiter:

      Also kurzum, es kann in den Siebzigerjahren gewesen sein, aber ich weiß es nicht mehr genau, da kam mein Mann eines Morgens, er hatte bis in die Nacht hinein gearbeitet, und gab mir ein paar Blätter. Er sagte, „lies dir das durch, das ist ein Entwurf.“ Da war das ein Brief an seine Partei in dem er seinen Austritt aus der Partei erklärt und einen Ausreiseantrag stellt. Da können sie sich ja vorstellen, was hier los war und wie wir diskutiert haben. Ich habe wirklich Angst um meinen Mann gehabt. Er war so deprimiert; ich hatte manchmal Angst er tut sich was an. Er war mit sich, der Welt und seiner Partei nicht zufrieden. Andererseits fürchtete er auch immer, wenn er jetzt aufsteht und sich öffentlich äußert, es könnte der Partei schaden. Er wollte ihr ja nicht schaden. Die alten Genossen hatten eine starke Parteidisziplin, die sie auch durch dick und dünn hochgehalten haben. Viel später ist er zu der Erkenntnis gekommen, dass das ein Fehler war. Da hat er nicht nur zu mir, sondern auch zu anderen gesagt, dass ein Schriftsteller ein Künstler keiner Partei angehören darf. Das schränkt ihn ein in seiner künstlerischen Arbeit. Und da ist natürlich was dran.

      R.S.: Der Brief mit dem Parteiaustritt wurde nie abgeschickt?

      Gr.: Nein. Damals war ich diejenige, die gesagt hat: „Gut, wenn wir das tun, wie stellst du dir deine weitere Arbeit als Schriftsteller vor? Als Schriftsteller wirst du so nicht weiterleben können.“ Mir war klar: Er war ja doch parteipolitisch geprägt und er war auch nicht der Mensch der sich vielleicht gesagt hätte, na gut ich geh rüber und schreiben jetzt Schmonzetten.

      R.S.: Aber er hat Abenteuergeschichten geschrieben, wie „Die Verbannten von Neukaledonien“. Das hätte sicher auch im Westen Leser gefunden.

      H.G.: Aber ich hatte eben Angst, denn er war doch zu sehr verwurzelt um hier wegzugehen; mir wäre es leichter gefallen. Meine Eltern lebten ja in Westberlin. Aber seinetwegen hatte ich Angst. Bloß auf der anderen Seite habe ich ihn natürlich durch meine Kompromissbereitschaft oder Feigheit auch in gewisser Weise gebremst. Das muss ich heute sagen.

      R.S.: Dieses Wort Feigheit verwendete er auch, ich zitiere ihn: „Abschließend auf einen Nenner gebracht: Ich habe mich nicht vor die Parteiführung hingestellt und meine Kritik herausgeschrien. Ich war feige. Nach zwölf Jahren Widerstand, Verhaftung, Zuchthaus und Stacheldraht hatte man mich das Fürchten gelehrt. Dennoch habe ich mich nach 1945 für eine bessere Welt engagiert. Es dauert lange, bis man entdeckt, dass die an der Spitze anderes tun als sagen, und wenn sie denken, dann vor allem an sich. Länger noch dauert es, bis man das in allen Dimensionen begreift. Dann aber ist man zu alt, um wiederum den Kampf aufzunehmen, diesmal gegen einstige Gefährten.“ Zitat Ende.

      H.G.: Er war ja auch hin und her gerissen. Er hat zwar oft genug etwas gesagt; es war auch nicht so, dass er immer den Schnabel gehalten hätte und immer ja und amen gesagt hat, er hat schon versucht sich gegen bestimmte Dinge zu wehren, darum – wie hat er sich immer ausgedrückt – „ich hab ein rotes Kreuzchen in meiner Akte.“ Man begegnete ihm immer mit einem gewissen Misstrauen, und dass das auch realistisch war, haben wir dann erst 1990 erfahren. Mein Mann hat zwar nie seine Akten bei der Stasiunterlagenbehörde einsehen wollen, aber durch eine Bekannte haben wir doch etwas erfahren, eine verrückte Geschichte:

      1990, als das Parteiarchiv aufgelöst wurde, ist sie dabei gewesen. Da waren Leute, die alle Akten herausrissen, zerrissen in die Ecken warfen. Sie hat nach einer bestimmten Sache gesucht, nach einem Manuskript, weil sie gehört hatte, dass das Parteiarchiv zerflattert. Sie hat das, was sie suchte, nicht gefunden, aber – aber so etwas könnte man noch nicht einmal in einem Roman schreiben - sie guckt so und sieht auf einem Blatt mit Schreibmaschine geschrieben, den Namen Greulich. Sie nimmt das Blatt auf und findet noch zwei andere dazu. Sie hat sich das durchgelesen und es uns gebracht.

      Ich habe eine Kopie davon, das Original ist im Archiv. Da ist mein Mann schon verdächtigt worden, eine Plattform zu bilden (lacht), ich werde ihnen das mal vorlesen, das ist grotesk. Es ist ein Bericht: Besprechung mit dem Genossen Kurella. Ein Bericht des Sekretärs des Schriftstellerverbandes und Parteisekretärs, am 25.10 1958 an das ZK der SED. Nach einigen Anschmierereien über andere Kollegen, wird der Name Heinz Brandt erwähnt. Ist der ihnen ein Begriff? Heinz Brandt war in den KZ‘s Auschwitz und Buchenwald inhaftiert. Seine Geschwister waren in der Sowjetunion den stalinschen Repressionen zum Opfer gefallen, sie sind umgebracht worden. Er ist hier in hohe Funktion gekommen, war beispielsweise Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin. Mit seiner Vergangenheit ist er jedoch nie fertig geworden, Er, ein innerlich zerrissener Mensch, ist 1958 in den Westen gegangen und von dort hat ihn die DDR wieder hierher entführt. In der DDR hat er dann im Zuchthaus gesessen, bis ihn die Bundesrepublik freigekauft hat. Später hat er in der internationalen Gewerkschaftsbewegung gearbeitet und war Gründungsmitglied der Grünen. Heinz Brandt hat in grauer Vorzeit, in den Fünfzigerjahren, mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Gerhard Bengsch gearbeitet,