Wer schreibt der bleibt?. Rainer Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783742763235
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aber in die KPD ist er auch nicht eingetreten. Er hatte bestimmte Ideale, z.B. kein Alkohol, kein Nikotin, das war so bei dem Jungproletarischen Bund, dem er angehörte, üblich. Im kommunistischen Jugendverband wurde doch hin und wieder über die Stränge geschlagen und das lehnte er ab. Mein Mann sagte, sie haben den Ausdruck „Radaukommunisten“ gebraucht. Und das wollten sie nicht sein. Sie hatten Ideale, sind auf Wanderschaft gegangen, haben gesungen, waren Mitglieder des Vereins „Freie Volksbühne“ und der Fichte Wandersparte. Mein Mann ist erst 1929 in die KPD eingetreten als die große Demonstration in Berlin war, bei der Arbeiter erschossen worden sind, was dieser sozialdemokratische Polizeipräsident angeordnet hatte. (Anm. Karl Zörgiebel war der Polizeipräsident von Berlin. Bei den Mai-Unruhen vom 1. bis 3. Mai 1929, wurden durch das harte Vorgehen der Polizei, zahlreiche Demonstranten und Unbeteiligte getötet oder verletzt.) Mein Mann war bei dieser Demonstration mit Freunden dabei und sagte unter diesem Eindruck, man muss in einer Partei sein um wirklich kämpfen zu können, um wirklich etwas verändern zu können.

      Er hat dann ab 1933 illegal gearbeitet, Flugblätter gedruckt und verteilt, war arbeitslos, hatte dann Arbeit in kleinen Betrieben, Druckereien. Er ist 1939, noch vor Beginn des Weltkrieges, zur Hilfspolizei am Kottbusser Tor eingezogen worden. Natürlich hatte er immer noch Verbindungen zu alten Genossen, die eine illegale Druckerei eingerichtet haben. Und da war er ihnen als ehemaliger Schriftsetzer behilflich, Bleibuchstaben für den Schriftsatz zu bekommen. Diese Sache ist dann aufgeflogen und mein Mann wurde verhaftet. Er wurde wegen Hochverrat zu zweieinhalb Jahren verurteilt und hat die Strafe in Tegel abgesessen. Bevor die Zeit um war, hat er den blauen Schein bekommen auf dem ihm die Wehrfähigkeit, die ihm aberkannt worden war, wiedergegeben wurde. Noch vor Ablauf der Strafe erhielt er die Einberufung. Dann ist er zu den 999ern nach Nordafrika gekommen.

      R.S.: Nach seinem Einsatz im Afrika Corps und der folgenden amerikanischen Kriegsgefangenschaft ist er 1947 nach Deutschland zurückgekehrt. Da gab es ja die DDR noch nicht.

      H.G.: Er ist zunächst nach Süddeutschland gekommen. Von da wurde aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft niemand in die sowjetisch besetzte Zone entlassen. Aber er wollte unbedingt nach Hause, er hatte hier seine Familie und darum hat er sich zur amerikanischen Wachschutztruppe in Westberlin gemeldet, die Objekte bewachte. So wurde er nach Westberlin überstellt. In Westberlin hat er sich in die S-Bahn gesetzt und ist nach Hause gefahren.

      R.S.: Dann kam die Staatsgründung der DDR 1949. Hat er eigentlich mit dem Gedanken gespielt die Seite zu wechseln, in den Westen zu gehen?

      H.G.: Ja, später, aber erst viel später. Sie dürfen nicht vergessen, damals herrschte noch eine Aufbruchsstimmung. Ich habe das ja auch erlebt. Das kann man heute kaum nachempfinden, aber nach diesem schrecklichen Krieg und diesen bitteren Nachkriegsjahren 1946 und 47, da waren die Menschen wieder optimistisch obwohl noch alles in Trümmern lag.

      E.R. Greulich schilderte seine Empfindungen an diese Zeit in einem Interview mit Ursula Reinhold, das in den Weimarer Beiträgen, Heft 5, 1991 erschien, wie folgt:

      Ich war ehrlich bemüht zu helfen, die beste Sache der Welt zur wirklich besten Sache zu machen. Meinem bewussten Tun lag kein Eigennutz zugrunde. Ohne Abstriche meinte ich damals, die große Sache ist in Ordnung, die kleinen hässlichen Dinge muss man ändern. Sicher gab es Keime und Ansätze später deutlicher hervortretender politischer Abscheulichkeiten, doch dagegen stand die Überzeugung, der eingeschlagene Weg ist die einzig richtige Konsequenz aus den Erfahrungen von Krieg und Faschismus. Die negativen Erscheinungen der Weimarer Republik sollten vermieden werden. Heute wird zu leicht vergessen, was uns hinter der Elbe alles angestunken hat. Die fast gänzlich ausbleibende Abrechnung mit dem großen Kapital als dem Hauptnutznießer des Faschismus, die ganze Adenauerei mit den Globkes, mit dem alten Beamten- und Justizapparat, die politische Lahmlegung der Bevölkerung durch den Dollarsegen und dessen Wirtschaftswunder ...

      … Ein guter Wurf war die Gründung der Wochenpost. Walther Victor und Rudi Wetzel bekamen von der SED-Parteileitung den Auftrag, eine überparteiliche Wochenzeitung zu organisieren. Walther Victor holte mich noch dazu, und wir drei legten dann ein Konzept vor, das diskutiert, variiert, wieder diskutiert und dann realisiert wurde. Ich sollte Redakteur werden, lehnte aber ab. Als freier Mitarbeiter habe ich Kurzgeschichten, Erzählungen und vor allem Reportagen für das Familienblatt geschrieben. Bis zu jenem Punkt, da der Spielraum für journalistische Arbeiten immer enger wurde. Selbst einer, der so beteiligt war wie ich, musste da stutzig werden. Die Redaktion schickte mich nach Eisenach, um eine Reportage zu schreiben über die Herstellung des Wartburg, dem damals neuentwickelten Glanzstück. Dort traf ich auf eine deutliche Unzufriedenheit der Arbeiter über die miserabel organisierte Produktion. An die siebzig Wartburgs standen herum und blockierten die Endfertigung, es fehlten die Scheibenwischer. Der verantwortliche Meister nahm mich mit in seinem F 8, wir fuhren zum Zulieferbetrieb und kamen mit einem Dutzend Scheibenwischer zurück. Kinderkrankheiten, dachte ich, in wenigen Jahren werden wir darüber lachen. Welch ein Irrtum. Von Jahr zu Jahr nahmen derartige Produktionsunsinnigkeiten zu. Selbst in der vergleichsweise offenherzigeren Wochenpost durfte über derartige Pannen am laufenden Band nichts erscheinen. Andere Kollegen erlebten ähnliches; im Schriftstellerverband wurde über all das relativ offen und kritisch diskutiert.

      Reinhold: Wann wurde es so kompliziert und unergiebig, dass du aufgehört hast, Reportagen für die Wochenpost zu schreiben?

      Greulich: Etwa Anfang, Mitte der Sechzigerjahre. Diese persönlichen Erlebnisse könnte man genauer an ZK-Beschlüssen und Parteitagsresolutionen festmachen, würde man entsprechendes Material wälzen. Ich sollte über den Schwermaschinenbau „VEB Heinrich Rau“ in Wildau schreiben, die bekannte Fotografin Lotti Ortner kam mit, um Aufnahmen vor Ort zu machen. Ich bekam leicht Kontakt, die Arbeiter schütteten ihren Groll aus über Sinnwidrigkeiten in der Produktion, über Schwierigkeiten mit dem Plan, und die Meister bestätigten es. Hätte ich im Sinne der Arbeiter geschrieben, wäre es nicht gedruckt worden, hätte ich im Sinne der Wochenpost geschrieben, hätten mich die Arbeiter verflucht. Über Wildau schrieb ich keine Zeile und das bedeutete eine Art Zäsur in meinem Autorendasein. Ich wandte mich dankbareren Aufgaben zu, schrieb Romane und Erzählungen. Die bekannten Anstände gab es dabei auch, denn man wünschte die makellose, geschönte Persönlichkeit, aber man konnte doch publizieren. Eine Zeitung erreicht Hunderttausende, ein Buch bestenfalls Tausende. Nicht zuletzt deshalb war die Zensierung der Literatur etwas lockerer. Manchmal konnte man auch eine gewünschte Korrektur zusagen und sie dann vergessen. Denn das Interessante, worüber kaum gesprochen wird, die ideologischen Krümelkacker mochten die absurdesten Einwände haben, das gedruckte Buch hat dann keiner von denen gelesen.

      Zurück zu Hannelore Greulich:

      Das Leben war zwar schwer, aber diese Aufbruchsstimmung war stark. Alle sagten, dieses Dunkle, Schlimme liegt hinter uns, jetzt muss was Neues kommen. Da erschien vielen die Ostzone, die DDR, als erstrebenswertes Ziel. Ich selbst kann mich noch erinnern, dass es diese Jugendausschüsse gab, vor Gründung der FDJ. Da traten dann Emigranten auf, wie Kessler, die später an der Spitze der DDR standen. Das waren damals junge Männer, voller Enthusiasmus. Da waren wir als junge Menschen auch hingerissen. Während man nach Westdeutschland schaute und zum Teil Beklemmungen hatte. Das wissen sie ja selbst auch, dass dort doch wieder so alte Nazis an der Macht waren.

      Es entwickelte sich später dieser Missmut bei meinem Mann, diese Schwierigkeiten beim Schreiben. Dass zu seinem Liebknechtbuch gesagt wurde, was nicht geschrieben werden darf, weil das der sozialistischen Moral widerspricht. Er sagte immer ich will nicht den Revolutionär zeigen, der auf dem Potsdamer Platz steht und redet, sondern ich will den Menschen zeigen. Und Karl Liebknecht war ein interessanter Mensch, so gebildet. Er hatte auch eine langjährige Geliebte und deshalb natürlich familiäre Schwierigkeiten. Aber er wollte sich von seiner Familie nicht trennen. Und dabei hatte er immer noch die politische Arbeit. Mein Mann hat versucht das alles in einem Buch unterzubringen, und es ist schlimm ausgegangen. Es gab immer Katastrophen mit den Manuskripten, dann sollte gestrichen werden, dies und das sollte herausgenommen werden. Dabei ging es mitunter um lächerliche Dinge. Im Liebknecht Buch wird beschrieben, wie er bei einer Reise von London nach Paris, im Coupé mit einer Dame saß. Er war sehr charmant, daraus ist dann gar nichts entstanden. Nur mein Mann hat das sehr hübsch beschrieben, wie er so wohlgefällig die Dame betrachtet,