Prolog
Dies ist eine Geschichte über John. Er wurde vor vielen Jahren in einer Hafenstadt an der Westküste von England, nördlich von Wales, geboren. Seine Geburt fiel dabei in den Herbst des Jahres, in dem Winston Churchill als 42. britischer Premierminister vereidigt wurde, und dadurch gleichzeitig als Vorbild für Johns zweiten Vornamen Pate stand. Obwohl der kleine John Winston wenig davon mitbekommen haben dürfte, waren die Monate vor und nach seiner Geburt davon geprägt, dass der zweite Weltkrieg nach England kam und ein deutscher Bombenregen über Teilen seiner Heimatstadt niederging. Er wuchs dennoch bescheiden, aber nicht ärmlich, mit wechselnden Bezugspersonen auf. Sein Vater fuhr zur See und seine Mutter hatte während dessen andere Flausen im Kopf, so dass er nach einiger Zeit bei seiner Tante und ihrem Mann ein neues, zwar fürsorgliches, aber auch strenges Zuhause fand. Im frühen jugendlichen Alter riss ihn erst der Tod seines Onkels und dann der seiner Mutter, jeweils kurz bevor er mit ihnen ihre aufkeimenden Beziehungen intensivieren konnte, erneut aus der Bahn. Nichts schien bei diesem Jungen wirklich geradlinig zu verlaufen. Bis auf die Musik. Darin fand er endlich Erfüllung auf seiner leidenschaftlichen Suche nach Geborgenheit und er spürte, dass er nichts anderes wollte als sich ihr bedingungslos hinzugeben. Dieser Hingabe und seinem musikalischen Talent verdankte er, dass er zusammen mit seinen Freunden tatsächlich etwas zustande brachte, was sich davor niemand vorzustellen gewagt hätte. John, die Hauptfigur dieser Geschichte, ist kein geringerer als der bemerkenswerte Musiker und Künstler John Lennon, der sich neben vielen anderen Dingen insbesondere auch dadurch auszeichnet, dass er mit den Beatles aus rein musikalischem Interesse eine Musikgruppe gründete, aus der nur wenige Jahre später die bislang erfolgreichste Band der Welt werden sollte.
Bevor diese Geschichte über John beginnt, soll zum allgemeinen Verständnis der komplexen Natur seines Wesens noch eine kurze Erläuterung erfolgen. Eine Besonderheit an Johns Leben ist, wenn man seine frühe Jugend außer Acht lässt, dass fast seine vollständige Entwicklung von einem rebellischen, sich gerade am Ende seiner Pubertät befindenden Anfang-Zwanzig-Jährigen zur mythischen Ikone der Friedensbewegung und die anschließende Zeit mit all ihren Auswirkungen bis heute unter den Argusaugen der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit beschränkte sich dabei nicht nur auf seine Verehrer und die Medien. Für John interessierten sich, neben anderen, auch die Politik und Individuen, die ihm nicht nur wohlwollend gegenüber standen. Eine von Johns frühen Eigenarten war, dass er oftmals genau das sagte, was ihm gerade in den Sinn kam und dass er vorher nicht darüber nachdachte, weil es ihm entweder egal war oder er sich damit vor äußeren Einflüssen schützen wollte. Seine Äußerungen und Bemerkungen waren bissig und zynisch und einige derjenigen, an die sich diese Äußerungen richteten, sahen sie nicht zu Unrecht als bewusst verletzend an. Einerseits wurde er gerade wegen dieser unkonventionellen sprachlichen Gepflogenheiten geschätzt, denn es konnte passieren, dass er sie durchaus intelligent einsetzte. Andererseits gab es Momente in denen er wegen seiner Aussagen von den Medien zerrissen wurde. Sein Mitstreiter Paul McCartney wies eine besondere Eigenschaft auf, die dazu führte, dass er und John gute Freunde wurden, denn Paul war in der Lage, die ordinäre Energie von John zu absorbieren und sie ihm mit gleicher Münze zurück zu zahlen. So konnte es vorkommen, dass sich John und Paul gegenseitig, nur so zum Spaß, die schlimmsten Schimpfwörter und Beleidigungen zuriefen und beide am Ende das Gefühl hatten, dass es ein ganz schöner Wettstreit gewesen war. Es fiel John nicht leicht, zu verstehen, dass er andere Personen nachhaltig verletzen konnte, denn das war niemals sein eigentliches Bestreben. Er wurde nachdenklicher und lernte schliesslich Yoko kennen, die in der Lage war, ihm bei der Neuausrichtung seiner ihm innewohnenden Energie in geordnete Bahnen behilflich zu sein. Sein Wesen reifte, und gleichzeitig entfremdete er sich von Paul, der verzweifelt versuchte, seinen alten John zu behalten. Der alte John verschwand zwar nie vollständig, aber er entwickelte sich in weniger als zehn Jahren zu einem verständnis- und liebevollen Menschen, dem die Hand zur verbalen Ohrfeige nur noch selten ausrutschte, und wenn sie es doch einmal tat, dann traf sie mit zunehmend hoher Wahrscheinlichkeit an die richtige Stelle.
John war bisweilen etwas verärgert, wenn Paul oder George Martin, der ehemalige Produzent der Beatles, in der Zeit nach deren Auflösung, eine Begebenheit anders wiedergaben, als er sie in Erinnerung hatte. Zum Beispiel stritten sich John und Paul über die Urheberschaft des Textes von eleanor rigby, und Martin schrieb er 1971 eine Postkarte, der man ein wenig seine Erregung anmerken kann, weil dieser eine Falschaussage über seinen Beitrag zu dem ersten Top-Ten-Hit please please me der Beatles gemacht hatte. Bemerkenswerterweise unterschrieb John auch erregt geschriebene Briefe immer mit „Alles Liebe, John“ und setzte oft kleine Karikaturen und wenige bis mehrere Kreuzchen (Küsse) hinzu. Wahrscheinlich hatte in den genannten Fällen ein Journalist oder jemand, der eine Biografie über die Beatles oder eines von deren ehemaligen Mitgliedern schreiben wollte, Paul oder Martin interviewt. Die beiden hatten dann, in dieser Situation – so wie es oft halt eben ist – einfach gesagt was ihnen gerade in den Sinn gekommen war, ohne gründlicher darüber nachzudenken.
Ich selbst habe weder John noch einen anderen Beatle jemals getroffen. Ich schildere in diesem Buch mein persönliches Bild von John, welches sich in mir durch Bücher, Dokumentationen, seine veröffentlichten Briefe, meine Phantasie und ganz besonders durch seine Musik geformt hat. Seine Musik, gerade die zusammen mit den Beatles geschaffene, war und ist für mein Leben immer eine Quelle für Inspiration gewesen. Sie hat mich schon in meiner Jugend derart beeinflusst, dass ich eigene Musikstücke komponierte und diese gemeinsam mit meiner Band vorgetragen habe. Auch dieses Buch wäre ohne seinen Einfluss nicht entstanden. Einen gewissen Teil von mir hat John mit geformt. Mein Leben wäre sicherlich ganz anders verlaufen, wenn es John nicht gegeben hätte, und das ist der Grund dafür, dass ich mich bei ihm bedanken will und zwar damit, dass ich den vielen Geschichten, die es über sein Leben bereits gibt, diese, die von mir stammt, hinzufügen möchte. Es handelt sich dabei um eine Folge von kurzen und längeren Abschnitten, in diesem Buch Strophen genannt, die aus manchmal langen, aber auch aus kurzen Sätzen bestehen. Vieles davon ist nicht neu, anderes hingegen schon. Ich hoffe, dass meine Erzählungen John gefallen.
1. Strophe – Schreiben
Am Anfang steht die Frage, wie man beginnen soll. Welche Gedanken hat John sich diesbezüglich bei seinen Büchern gemacht? War alles von vornherein klar, oder hat es sich allmählich entwickelt, in welcher Reihenfolge seine einzelnen Geschichten und Gedichte angeordnet werden sollten und welcher Titel für das Buch vorgesehen war? Es gibt wahrscheinlich mehr Methoden, ein Buch zu schreiben, als es Bücher gibt, und es ist sicherlich so, dass es für immer ein Geheimnis bleiben wird, welche John angewendet hat. Aber es ist erstaunlich, dass er schon 1964 sein erstes Buch veröffentlichte, insbesondere auch deswegen, weil Literatur und Popmusik zu der damaligen Zeit zwei völlig getrennte Medienbereiche waren und es nahezu unvorstellbar schien, dass ein Pop- oder Rockmusiker ein Buch schreiben könnte. Es trug den Titel in his own write, was bei der deutschen Veröffentlichung ein Jahr später in in seiner eigenen Schreibe übersetzt wurde. Das entspricht leider nur der wortwörtlichen Übersetzung des Buchtitels und ist bereits ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Übersetzer seines Buches nicht viel Mühe gemacht haben, Johns Wortwitz, der, in Anbetracht seiner Herkunft, sehr eng mit der englischen Sprache verbunden war, so wiederzugeben, wie er im Original gewesen ist. Das soll nicht heißen, dass die deutsche Originalausgabe nicht lesenswert wäre, aber sie hätte, zugegebenermaßen mit sehr viel mehr Aufwand und kreativer Wortschöpfungsenergie, besser gemacht werden können, als sie war. „In his own write“ bezieht sich auf das englische Idiom „in his own right“, was man mit so etwas wie „in eigener Verantwortung“ oder „auf eigene Rechnung“ übersetzen kann. Die deutsche Übersetzung weist hier keinerlei Bezug mehr zu irgendeiner anderen Redewendung auf. Eine der dem Originaltitel zugrunde liegende, nicht unähnliche Redensart ist „sich selbst treu bleiben“, die in der Vergangenheitsform zu „sich selbst treu geblieben“ wird. Diese Form kann leicht in das sehr ähnlich klingende „sich selbst treu geschrieben“ umgewandelt werden, was dem Titel von Johns Buch schon sehr nahe kommt, aber leider schon für ein anderes Buch vergeben ist. Johns literarische Schöpfung war voll von solchen wortspielerischen Streichen, die aus einer vorhandenen Floskel eine neue, zum Verwechseln ähnliche machte, die einen ganz neuen Sinn ergab. Und dieses Geschick erkannten auch die Kritiker. Wider Erwarten wurde Johns Buch, auf dem ein Aufkleber ihn als „der schreibende Beatle!“