Kapitel 3
„Blaubanner-Schwert“, schwerer Kreuzer des Blaubanners,
auf Heimatkurs im nördlichen Meer.
Die Blaubanner-Schwert machte sich für die Nacht fertig. Die Enternetze waren über die Decks gespannt. Es würde den Schniefern schwerfallen, sie rasch zu durchschneiden und das Schiff zu betreten. Die beiden seitlichen Laufgänge, die sich längs des Kreuzers zogen, waren bereits gesperrt. Nur ein Lebensmüder würde bei Dunkelheit auf ihnen entlang gehen. Zu leicht konnte ein Schniefer ein Messer oder seine Kampflanze ins Ziel bringen. Das Schiff wurde nur noch von den schwachen Lichtern der Lampen erhellt. Die wenigen Scheinwerfer blieben dunkel. Nur im Notfall würde man die Generatoren starten, um sie mit Strom zu versorgen und einen Angreifer sichtbar zu machen.
„Nachtdunkel und Ruhe“, schallte die Durchsage durch das Schiff. Alle Fenster und Bullaugen wurden nun von Holzblenden verschlossen, nur von der Brücke am Heck des Kreuzers hatte man noch freie Sicht.
„Mondklare Nacht“, sinnierte Maria. „Gefällt mir nicht.“
Jones stieß ein zustimmendes Grunzen aus. Mondlicht gefiel keinem Seemann. Viele Kilometer weit konnte man das Schiff in der Nacht erkennen, wenn die Lichter des runden und des langen Mondes über das Wasser fielen.
„Immerhin“, flüsterte Jones. „Wir sehen auch etwas. Wenigstens kann sich kein Schniefer ungesehen über die Reling schwingen.“
„Nachtdunkel und Ruhe“, rügte Venloe aus dem Dunkel der hinteren Brücke. Der Erste Offizier stand neben dem Rudergänger, der das leise knarrende Steuerrad bewegte und den Kreuzer auf Kurs hielt.
Jones nickte bestätigend und blickte kurz hinüber. Von Venloe war nichts zu erkennen. Nur der Schnurrbart des Rudergängers schimmerte schwach im Schein einer winzigen roten Lampe, die den Kompass erhellte und dem Mann oder der Frau am Ruder jeweils die Richtung wies.
Dann trat die stämmige Gestalt Venloes aus dem Dunkel. Ein wenig neidisch beobachtete Jones, wie der Erste Offizier das vor der Brust hängende Fernglas vor die Augen führte und seinen Blick über die Wasseroberfläche schweifen ließ. Venloes eigenes Fernglas. Als Erstem Offizier stand es ihm zu. Jones musste sich immer das Leihglas für den Wachoffizier nehmen. Nun, eines Tages würde auch er sein eigenes besitzen.
Jones dachte an das Fernglas des Kapitäns. Das war ein Fernglas. Es machte die Nacht zum Tage und holte den Horizont so nahe heran, dass man ihn greifen konnte. Es war ein altes Glas, stammte aus dem Bringer. Der Kapitän hatte es von Seiner Hochheit, dem Oberherrn, persönlich geschenkt bekommen, damals, als die Blaubanner-Schwert unter seinem Kommando dessen Sohn gerettet hatte.
Jemand tippte Jones auf die Schulter und er zuckte ein wenig zusammen. Irgendwie saß ihm der Schreck vom Vortag noch in den Gliedern. Der Schniefer-Bolzen hatte seinen Helm zerschossen und Jones war nahe am Ertrinken gewesen, als die Kampftaucher ihn an Bord brachten. Angeblich konnten die Taucher drei der Bestien töten, aber Jones bezweifelte das. Schniefer waren furchtbar schnell und Kampftaucher neigten zu hemmungsloser Übertreibung.
„Offiziersanwärter Jones, Sie sollen sich sofort beim Kapitän melden.“ Die Stimme des Matrosen war nur ein Flüstern.
Jones nickte und machte Venloe leise Meldung. Bedauernd kniff er Maria in den Hintern. Die Offiziersanwärterin gab keinen Laut von sich, aber Jones wusste, dass sie ihn verstanden hatte. Auch wenn der Kapitän ihn jetzt zusammenstauchte, würde Maria ihn später wieder aufrichten. Sie hatte da so ihre besonderen Fähigkeiten.
Als Jones dem Matrosen die Treppenstufen ins Schiffsinnere folgte, sah er die Verwunderung in den Augen des Mannes. Keiner lächelte so entrückt, wenn es zum Kapitän ging. Aber was wusste der Matrose schon von Jones nächtlichen Plänen?
Am Ende der Treppe betraten sie die kleine Schleuse. Eine Schallschleuse, denn das Innere des Kreuzers war isoliert. Wasser trug Schall unglaublich weit und jeder Laut außerhalb der Isolation bedeutete in der Nacht ein Risiko für das Schiff. Es war gefährlich genug, dass Masten, Segel und Takelage stets knarrten und Lärm produzierten, doch dies war nicht zu vermeiden.
Als Jones und der Matrose den isolierten Bereich betraten, traf sie der Lärm im Inneren wie ein Schlag. Jones hörte die Matrosen in der Mannschaftsmesse. Sie trugen wieder einen ihrer Wettkämpfe aus. Auch in der kleineren Offiziersmesse war deutlich zu hören, dass eine rege Diskussion im Gange war. Der Matrose tippte grüßend an seine Stirn und wies nochmals in Richtung des Hecks, dorthin, wo sich die Kabine des Kapitäns befand.
Jones erwiderte den Gruß. Er ging den zentralen Hauptgang entlang, vorbei an der Treppe, die hinunter zum Magazin, den Tanks, dem Brennstofflager und dem Maschinenraum führte. Vor der Kabine des Kapitäns stand ein weiblicher Ehrenposten. Die Narbe in ihrem Gesicht, deutliche Ätzspur eines Schnieferangriffes sehr persönlicher Art, und ihre legere Haltung, verrieten die erfahrene Seesoldatin. Sie war klug genug, um Jones ein Mindestmaß an Salut zu entbieten, und nicht so dumm, sich bei einem so niedrigen Dienstgrad ein Bein auszureißen. Was auch schade gewesen wäre, wie Jones mit einem kurzen Blick auf ihre Beine feststellte. Ach, was sollte das? Wer war schon so beschränkt, sich mit einer Seesoldatin einzulassen? Die verspürten höchstens Lust, wenn sie einen Schniefer plattmachten, wenn überhaupt. Jones hatte überzeugende Gerüchte gehört, dass sich die Männer und Frauen der Seesoldaten ausschließlich durch Zellspaltung vermehrten, ohne jenes Drumherum, das Jones eigentlich besonders viel Spaß machte.
„Offiziersanwärter Jones“, meldete der Ehrenposten mit lauter Stimme. Selbst in einer winzigen Kammer würden Seesoldaten noch so tun, als müsste ihre Stimme ein gefülltes Stadion übertönen. Shib, diese Leute hatten einfach kein Maß.
Jones trat in das Allerheiligste des Kapitäns und nahm Haltung an. Der alte Graubart blieb an seinem Schreibtisch sitzen und grüßte nachlässig zurück.
„Setzen Sie sich, Jones.“ Die Stimme klang freundlich und Jones entspannte sich etwas. Das klang nicht nach Ärger. Der Graubart hieß Malter und musste fast vierzig Jahre alt sein. Schier unglaublich alt. Jones hatte gerade erst das siebzehnte Lebensjahr erreicht.
Der Kapitän war in ein Schreiben vertieft und schien sich nicht an der langsam wieder steigenden Nervosität von Jones zu stören. Dieser versuchte sich abzulenken und blickte sich in der Kabine um. In einer kleinen Vitrine standen zwei Schiffsmodelle. Das der Blaubanner-Schwert, die der Kapitän derzeit kommandierte, und das der Blaubanner-Blut. Beim Bringer, das war ein Schiff. Der Kapitän hatte als Offizier auf der Blaubanner-Blut gedient, aber jeder im Bannerland kannte das Flaggschiff. Es war eines der letzten alten Schiffe. Und wenn „alt“ das Synonym für Qualität war, so war die Blut uralt. Man sah es schon an den Modellen. Die gedrungene Form der Schwert, mit ihren drei aufragenden Masten, dem langen Rammdorn am Bug und dem hohen Heckaufbau der Brücke. In der Mitte der Drehturm des Raketengeschützes, davor der kleinere Turm des Dampfkatapultes. Was für ein Unterschied dagegen die Blaubanner-Blut. Viel kleiner und dabei wesentlich schlanker geformt. Ihre Brücke befand sich in der Mitte und die Gefechtstürme waren an Vorder- und Hinterdeck aufgestellt. Ursprünglich hatte sie zwei Schornsteine besessen, doch einer von ihnen war durch Masten ersetzt worden, als die Brennstoffe immer knapper wurden.
„Jones?“ Die Stimme des Kommandanten schreckte ihn aus seinen Gedanken. „Sie sind jetzt siebzehn Jahre alt, nicht wahr? Zwei davon haben Sie ja nun auf unserer Schwert verbracht, wie?“
Jones nickte knapp. Das waren schließlich keine Neuigkeiten.
„Nun, Sie werden uns verlassen, Jones.“
Jones schluckte. Das allerdings war eine Neuigkeit. Es war nur nicht klar, ob sie sich als gut oder schlecht erweisen würde. Er setzte eine möglichst neutrale Miene auf. „Kapitän?“
Jones spürte, wie sich das Schiff ein wenig zur Seite neigte, als eine Windböe die Segel erfasste. Er glich die Neigung des Schiffes aus und beobachtete, wie der Kapitän im Reflex einen Schreibstift auffing, der vom Tisch zu rollen drohte.