21 www.heiligenzitate.com
In Buch 10, 24, 35 heißt es dazu im 24. Kapitel (in der Übersetzung von Joseph Bernhart: „Siehe, welchen Raum ich durchmesse in meinem Gedächtnis, um Dich zu suchen, Herr, und es war nicht außerhalb, wo ich Dich gefunden habe. Denn ich finde nichts von Dir, was nicht ein Erinnern wäre von der Zeit her, da ich Dich kennen lernte. Denn seitdem ich Dich kennen lernte, habe ich Deiner nicht vergessen. Und wo ich Wahrheit fand, da fand ich meinen Gott, die Wahrheit selbst, und seit ich Wahrheit kennen lernte, habe ich ihrer nicht vergessen. So also, seit dem Tage, da ich Dich kennen lernte, wohnst Du in meinem Gedächtnis, und dort finde ich dich, sooft ich Deiner gedenke, und freue mich in Dir. Das sind meine heiligen Freuden, die Du, auf meine Armut sehend, in Deiner Erbarmung mir geschenkt hast.“
Diesen Gott feiern nun alle Tage die Predigt und Exegese, das Gebet und Lehre des Bischofs Augustinus, darum ringt seine Praxis als Seelsorger, aus einem Grund, wie ihn Buch 11, woraus nun noch ein Ausschnitt mitgeteilt werden soll, entfaltet. Dieser Abschnitt, der um das Verstehen des ersten Satzes der Heiligen Schrift ringt: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“ (Genesis 1,1) kann auch wie eine Schule des Betens gelesen werden, denn er geht der Frage nach, warum ich dem allgegenwärtigen und allwissenden Gott überhaupt etwas von mir sagen und erzählen soll? Ist dies nicht ein logischer Unfug, ist es nicht töricht? Nein, schreibt Augustinus, es ist der Grund einer liebenden Beziehung, denn der Grund des Liebens selbst ist das freie innige und entfaltete und währende Mit, das Gespräch, das Cor ad cor loquitur, wie Lieben selbst als bleibende gegenseitige Angewiesenheit (vgl. 1 Kor 13), in Gott selbst und auch zwischen ewigem Schöpfer und sterblich-ewigem Geschöpf als auf Ewigkeit hin angelegtes Ereignen und Geschehen:
„Weißt Du vielleicht nicht, o Herr, was ich Dir hier sage, da Ewigkeit doch Du bist, oder siehst Du nur zeitweise, was in Zeit geschieht? Wozu erzähle ich Dir alle diese Dinge hier? Gewiss nicht, damit Du sie erst von mir erfährst, nein, die Liebe zu Dir will ich wecken in mir und in denen, die das hier lesen, damit wir alle ausrufen: ‚Groß ist der Herr und sehr zu loben’ (Vgl. Psalm 96,4). Ich habe es bereits gesagt und will es wieder sagen: ‚Aus Liebe zu Deiner Liebe tu ich dies’. Wir beten und bitten Dich doch auch, obwohl ‚die ewige Wahrheit’ sagt: ‚Euer Vater weiß, was euch notwendig ist, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Vgl. Mt 6, 8.)
„Unser Herzensfühlen zu Dir hin zu öffnen, das drücken wir tiefinnen aus, wenn wir Dir unser Unglück nennen und Deine Barmherzigkeit über uns bekennen, damit Du uns vollendet frei machst, wie Du es schon begonnen, und wir endlich aufhören können, unglücklich zu sein als in uns selbst versperrt, und glückselig werden in Dir.
Du hast uns doch gerufen, arm zu sein am Geist, mildesanft mutig, traurig auch, weil hungernd und dürstend nach werdender Gerechtigkeit, voller Erbarmen, herzenslauter und friedsam. (Vgl. Mt 5, 3-9.)
So habe ich Dir so vieles erzählt – das, was ich sagen konnte und wollte – , weil aber Du zuvor gewollt hast, dass ich Dir, meinem Herrn, meinem Gott, bekenne, denn Du bist gutgütig und Deine Barmherzigkeit währt und währt – ewig.
(Vgl. Psalm 118,1.)“
(eigener Übersetzungsversuch von Markus Roentgen)
Literatur:
Ernst Dassmann, Augustinus. Heiliger und Kirchenlehrer. Stuttgart u.a. 1993.
Henri Marrou, Augustinus (=rororo Bildmonographie 8). Hamburg 1988. Des heiligen Augustinus Bekenntnisse (Confessiones), übersetzt von Alfred Hoffmann : Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, aus dem Lateinischen übersetzt. VII. Band (= Bibliothek der Kirchenväter Bd. 18) Kempten/München 1914. F. van der Meer, Augustinus der Seelsorger, Köln 1951.
Leben und Werk IV
Ein Höhepunkt der „Confessiones“, die sogenannte Ostia-Vision im neunten Buch, an dessen Ende er den Bericht vom Sterben seiner Mutter Monika setzt, ist der einzigartige Bericht über die Gotteserfahrung von Ostia; Gedanken dazu sollen die spirituelle Hinführung zu Augustinus Bekenntnissen im vierten Angang beschließen.
Es ist nach der Taufe des Augustinus, geschehen in der Osternacht des Jahres 387 in Mailand.
Augustinus gibt seine bisherige berufliche Karriere (als Rhetoriklehrer) auf, ihm schwebt ein zurückgezogenes mönchisches Leben vor. In Cassiciacum am Comer See, wo er sich auf die Taufe vorbereitet hatte, kann er nicht mehr bleiben, dazu reichen die finanziellen Mittel nicht aus. Er will zurück in seine Heimat. Auf der Reise dorthin kommen sie, Augustinus und seine Mutter, nach Ostia nahe Rom, um dort ein Schiff zurück nach Afrika zu nehmen. In diesen Tagen des Herbstes 387 kommt es dort zwischen den beiden zu einem Gespräch, das, von Augustinus später beschrieben, nachgeschrieben, zum Schönsten in den Confessiones zählt.
Stil, Inhalt und Spiritualität sind einzigartig – es ist der Bericht einer gemeinsam erfahrenen Gottgegenwart in der Weise eines immer tiefer und weiter und höher sich schwingenden Gespräches zwischen zwei Menschen, einem Mann, einer Frau.
Solches lässt sich nicht zwingen und machen. Wer es einmal erlebt hat, wenn ein Sprechen allmählich wirklich zum Gespräch wird, wenn zwei einander hören, erweitern, vertiefen, wenn Inniges entsteht, wenn die Herzen zusammen finden, dass plötzlich nicht mehr unterscheidbar ist, wer nun spricht, wer hört, wenn darin Schwingen, Weite, Tiefe und Höhe entstehen, wenn die Worte einander ergänzend finden, wenn Ohr und Herz und Atem wie eins werden – und die Zeit wie im wundersamsten Kinderspiel sich aufzuheben scheint, jedenfalls nicht mehr bemerkt wird, wenn lautere Gegenwart entsteht, ohne dass der eine, die andere sagen könnte, wie – dann, wenn D u solches schon einmal im Leben erfahren hast, dann ist vielleicht eine Ahnung da von dem, was zwischen Augustinus und seiner Mutter sich in Ostia ereignete!
Sie lehnen am Fenster im kleinen Zimmer, schauen hinaus in den Garten, da fragt Monika, vielleicht in der Ahnung, dass ihr Leben kurz vor der Neige steht, nach dem ewigen Leben, nach dem, wie es wohl ist, im Himmel?!
Etwas, was niemand weiß, was kein Auge je geschaut, was keines Menschen Herz je erreicht – aber was zugleich Grund und Ziel allen Sehnens, allen Verlangens ist, wonach zumindest unser Ahnen sich ausstreckt.
Nun ist dieses denkwürdige Gespräch, im Rückblick des Augustinus aufgeschrieben, nicht voraussetzungslos, es besteht aus Kraftquellen, die Augustinus inwendig erfasst hatten, ebenso wie Einsichten darin mit vermittelt werden, die dem Bekenntnischarakter des Gläubigen entsprechen, und also Zeugnis sein wollen.
Auszumachen sind als Kraftquellen des Ostia-Berichtes bis in Form, Sprache und Inhalt, Plotins Enneaden als philosophischer Hintergrund dieser Seelenaufstiegsmystk, also ein an ewigen Ideen orientiertes Denken, das platonisch-neuplatonischen Ursprungs ist; hinzu kommt, bis in die Fülle des eingearbeiteten Schriftwortes hin, die Autorität der Heiligen Schrift als Bewusstsein für das Ereignishafte der Geschichte Gottes mit Menschheit, Israel, und Weltganzem im Glauben des Christusgeschehens, welches dann drittens nochmals konkret erfahrbar wird im Zusammensein nun vor Ort des Augustinus mit seiner Mutter Monika, also nicht eine philosophisch-theologisch-spirituelle Spekulation eines einzelnen Menschen, vielmehr die konkrete Gesprächspartnerin vor Ort, zu einer ganz klar datierbaren Zeit, unmittelbar vor dem Tod der Mutter. Im Rückblick also ein höchst bedeutsames Ereignis, gleichsam das Finale, das Vermächtnis im Zusammensein mit der Person, die, nach Auskunft Romano Guardinis, als einzige nicht weg zu denken ist aus der Gesamtentwicklung, die Augustinus genommen hat. Mit ihr geschieht das mystische Erleben, die Erfahrung der Berührung Gottes, des id ipsum (das Du, Eine, Ewiggleiche) für einen vollen gemeinsamen Herzschlag, nicht in einsamer Kammer, sondern im Du-Gespräch, vielleicht so, wie es Hölderlin einzigartig fasste im Zentrum seines Gedichtes Friedensfeier: „Viel hat von Morgen an,/ Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,/ Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.“ (Schlussfassung) In der zweiten Fassung des Gedichtes hieß es noch: „Viel hat erfahren der Mensch. Der Himmlischen viele genannt,/ Seit ein Gespräch wir sind/ Und hören können voneinander.“22