SAVANT - Flucht aus Niger 2. Michael Nolden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Nolden
Издательство: Bookwire
Серия: SAVANT - Flucht aus Niger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752906424
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Die Frau hat ein ganzen Satz Schraubenschlüssel locker!

      Der Pavian beäugt mich misstrauisch. Ich bin ihm mit meinen Ohrfeigen vorausgeeilt. Bertrand dürfte mit den beiden Backenklatschern besser gefahren sein, als mit einem Biss von diesen Zähnen in die Beine oder andere intimere Stellen, die der Affe aus dem Stand erreichen kann. Die tiefe Verbundenheit von blindem Jungen und Primaten ist bewundernswert. Wie er den Jungen zu verteidigen bereit ist! Ich verspüre echten Neid. Weder als Kind noch als Erwachsener habe ich so eine Verbindung kennengelernt. Eine rein emotional gewachsene Freundschaft.

      Guillaume reicht den Kleinsten zu seiner Mutter hinab, ähnlich vorsichtig, wie er ihn zuvor empor gehoben hat.

      »Das wollen Sie dem Jungen doch nicht zumuten?«

      »Halten Sie sich da raus!« Das war eine weitere Ohrfeige, wörtlich, an mich gerichtet. Wäre ich ein bloßer Zuschauer des Lebens, arbeitete ich nicht für die UN. Nein, ich wäre ein Eremit in einer Bar in Brooklyn, der seine Weisheit mit anderen Thekensäufern teilt. So was wie Bukowski wäre schön.

      Bertrand hockt drei Schritte entfernt. Seine Miene ist unergründlich. Kann sein, dass ich es mir mit ihm versaut habe. Vielleicht überlegt er, wie er meinen langen Beinen entfliehen kann. Undenkbar eigentlich, dass er mich für seine Pläne braucht.

      »Sie heißen Trick?« Der herrische Unterton in der Stimme des blinden Jungen ist verschwunden. Ihre Jugendlichkeit ist fort. Die eingetrübten Augen fangen das Glühwürmchenflackern der Fackel ein. Es sieht unheimlich aus.

      »Ich heiße Trick«, antworte ich, fühle mich überrumpelt und ringe mir jedes Wort mühevoll ab.

      »Mr. Trick? Sie müssen sich keine Sorgen machen, Mr. Trick.«

      Ich stutze. Argwöhnisch verziehe ich die Stirn. Das Kind kann es nicht sehen. »Woher willst du von meinen Sorgen wissen?«

      Der Junge lächelt überaus sanft und verständnisvoll. »Ich weiß es nicht«, sagt er. »Zet, er spürt Ihre Unruhe. Er spürt das bei anderen.«

      »Pascale«, wird er von Guillaume angesprochen. »Nicht.« Ein Hinweis, der keinen Widerspruch duldet. »Nicht.«

      Zet hat mich nicht aus den Augen gelassen. Er knurrt. Unwillkürlich lehne ich mich einen halben Meter zurück.

      »Halten, halten«, höre ich Nathalie aus der Grube, in der sie und ihr Freund wie der sprichwörtliche Hase hocken. »Langsamer jetzt. Antoine, hast du ihn?«

      Pascale räuspert sich. »Sie lassen meinen Bruder herab.« Seine Ohren bewegen sich – ich wusste nicht, dass es Muskeln gibt, um Ohren so bewegen zu können.

      »Pascale«, ermahnt Guillaume den Jungen aufs Neue.

      »Deinen Bruder?«, frage ich und will ihm weitere Informationen entlocken.

      »César!« Ein Schreckensruf, ausgestoßen von der Mutter.

      In drei Teufels Namen, ich denke das nur ungern, doch ihre Jump-Scare-Schreie fangen an, mir gehörig auf den Sack zu gehen!

      [Nathalie Pagnol]

      Antoine hält César an den Ärmeln fest. »Keine gute Idee, Nathalie.« Eine Feststellung des Hausa, kein Vorwurf. Wir sind im Stadium der Resignation angelangt, abseits von Kritik und Anschuldigungen.

      Der neue Plan, mit zwei Seilen, zwei Kindern und zwei Affen im Schacht, gefällt ihm nicht. Ebenso wenig wie mir. »Ich weiß, ich weiß«, bestätige ich schnell. »Normalerweise wäre das hier keine Option, Antoine. César soll nur das zweite Seil befestigen. Mehr braucht er nicht zu tun. Hast du gehört, Schatz? Mehr nicht. Keine neuen Ideen da unten! Du bindest das Seil an deinen Bruder. Wir lassen es gleich neben dir hinunter. Damit ziehen wir ihn hoch. Seite an Seite mit dir. Oder fast. Je nachdem, wie viel Platz ihr in dem Schacht habt.«

      »Und Vau«, meint César schulmeisterlich mit tadelnd gekrauster Stirn.

      »Und Vau«, bestätige ich mit zum Schwur erhobener Hand. »Fest versprochen!«

      »Fest versprochen!«, bekräftigt César kindlich ernst, und ich möchte heulen.

      Unter einem pedantisch aufmerksamem Blick meines Sohnes begibt sich Antoine an die Vorbereitungen des Unterfangens, dem neuerlichen Prüfen der beiden Seile, danach dem Umschlingen unter Césars Achseln, so dass der Junge gut gesichert ist und nicht unbeabsichtigt herausrutschen kann. Das zweite Tuchgeflecht kann César Claude so in aller Ruhe überstreifen, ohne Angst vor einem Absturz haben zu müssen. Dadurch, dass wir das verfügbare Material aufgeteilt haben, sind die Stricke nicht stabiler geworden. – Sie werden reißen! – Ängstlich verdränge ich die düsteren Gedanken und fertige unterdessen eine kindgerechte Fackel an. Ob es mir gefällt oder nicht, César muss da unten etwas sehen können.

      »Sei vorsichtig damit. Hörst du?«

      »Fest versprochen!« Er nimmt die Fackel in Empfang. Ich achte darauf, dass seine Hand sie weit am unteren Ende hält. Das Feuer tanzt in die Höhe. In seinem Licht präge ich mir Césars Bild ein. Ein kleiner Held, wie ich es mir nie hätte träumen lassen. Rasch wische ich mir eine Träne weg. Zu langsam jedoch. Seine kleine freie Hand streicht über die feuchte Wange.

      »Ich bin so weit.« Antoine hat sich das andere Ende des Seils um die Hüfte gebunden. »César«, sagt er aufmunternd zu meinem Sohn, »du hängst jetzt an mir. Und ich an dir.« Der Hausa grinst den Jungen an. »Ein echter Bandit!«

      »Ein echter Bandit!«, erwidert César. Ix, der Schwarze Kapuzineraffe, hockt in seinem Nacken, die kleinen Händchen umklammern die Ohrläppchen Césars wie Zügel.

      »Dann los!«

      Die Füße gegen den Fels gestemmt – so hat es Antoine ihm gezeigt – schweben César und Ix in die Tiefe. Oft im Alltag der Erschöpfung nahe, im Rollstuhl gefahren, verlangen wir dem Körper Césars allzu große Anstrengung und Behändigkeit ab. Die kleine Fackel schwenkt ihr Licht über unregelmäßig und rau abstehende Gesteinsvorsprünge, jeder scharf genug, den Jungen zu verletzen oder, bei einer zu ungelenken Bewegung, ihm die Fackel aus der Hand zu schlagen. Wie eine Kerze, die langsam herunter brennt, lässt der Schein der Flammen immer mehr nach. Der Junge selbst ist nach einigen Metern kaum noch zu erkennen. In der spärlichen Helligkeit suche ich nach seinem Gesicht. Parallel dazu lasse ich das Rettungsseil für Claude ins Dunkel hinunter, darauf bedacht, dem Licht nicht zu nahe zu kommen.

      »César? Geht es dir gut? César? Kannst du mich hören?«

      Seine Antwort schallt zart herauf. »Banditen«, meint er, mein kindlicher Dozent aus der Unterwelt, »haben keine Angst!«

      »Guter Junge«, lobt Antoine mehr zu sich selbst als zu mir.

      »Bin da!«, vernehmen wir laut und klar im nächsten Moment Césars Stimme.

      Mein Herzschlag setzt aus, überspringt den gewöhnlichen Takt einmal, zweimal, bevor ich meine Lungen neu fülle, den Staub schmecke, den Ruß der Fackel und ich die Hitze der Flamme unachtsam einatme. »César?«, sage ich hastig, zu ungeduldig. Das Seil gibt nach. Kurz darauf gibt mein Sohn das verabredete Zeichen. Dreimaliges Ziehen am Seil. Raum und Zeit entrückt warten Antoine und ich darauf, dass sich das Signal an der Leine, die für Claude bestimmt ist, wiederholt. – Nichts geschieht. »César? Was ist? Warum sagst du nichts?« – Dann – endlich! Bewegung am Seil. Im Gleichklang meines Herzens – eins, zwei, drei – schwach. Weiter passiert nichts. »Schnell, Antoine, rasch. Das sieht nicht gut aus! Zieh! César? Kannst du mich hören?« Ich gebe ihm das Zeichen nach unten durch. Es dauert, bis die Antwort erfolgt, nach langen Atemzügen, doppelt so vielen Herzschlägen, die dahin galoppieren wollen und nicht dürfen. Nicht jetzt! Ich bekämpfe meine Panik mit aller Macht. – Eine einmalige Vibration irgendwo in der Stoffbahn. Mehr nicht. Es war anders – vereinbart. »Zieh ihn rauf. Antoine, zieh ihn rauf!« Er kann sein Seil nicht loslassen. Natürlich wäre es für mich einfacher, vom Gewicht her leichter, César hinaufzuziehen. Aber ich habe Antoine einen Wechsel am Seil ausgeredet. Ich kann Claude tragen. Und Vau noch dazu. Ich habe mich dazu entschieden! Ich kann!

      »Ich habe César«, sagt mein Freund. »Er