Er täuschte sich. Das Regiment hatte eine eiserne Disziplin, die Karl bald kennenlernen sollte. Und eine strenge Etikette. Aber noch trug er keine Uniform.
Private war die Bezeichnung für den einfachen Soldaten. Auch Prewitt war Private und der führte Karl zu einem Gebäude, in dem ein Zwei-Winkel-Soldat hinter seinem Tresen stand.
Karl würde die Rangfolgen beim Militär rasch erlernen. Der einfache Soldat, oder „Gemeine“ nannte sich hier in Amerika „Private“. Dann folgten der Gefreite, der „Corporal“ mit zwei Winkeln und der Feldwebel „Sergeant“ mit drei Winkeln. Der First-Sergeant war der Hauptfeldwebel der Kompanie und hatte die Raute zu den drei Winkeln. Das waren die Unteroffiziere in einem Regiment, aber es gab noch eine Reihe spezieller Funktionsträger. Ein Drei-Winkel-Sergeant mit einem waagrechten Balken zwischen den Winkeln war der „Quartermaster-Sergeant, Companygrade“ und sorgte als Quartiermeister-Feldwebel der Kompanie für deren Unterkünfte und Versorgung. Ein Drei-Winkel-Sergeant mit einem nach oben gewölbten Bogen zwischen den Winkeln war ein „Sergeant-Major, Companygrade“ und praktisch der Verwaltungs-Unteroffizier der Kompanie. Quartermaster-Sergeants und Sergeant-Majors gab es auch mit drei Balken, bzw. Bogen als Regiments-Dienstgrade.
Die Unteroffiziere trugen die Uniformen der Mannschaften und waren durch ihre Winkel gekennzeichnet, zusätzlich trugen alle Unteroffiziere ab dem Sergeant eine rote Schärpe. Im normalen Dienst um die Taille, mit den Quasten an der linken Hüfte und wenn sie Unteroffizier der Wache waren, von der rechten Schulter zur linken Hüfte.
Die Offiziere begannen beim Unterleutnant, dem Second-Lieutenant, gefolgt vom (Ober-) Leutnant, dem First-Lieutenant. Offiziersdienstgrade waren durch schmale Schulterstreifen markiert, die in Form von schmalen „Schachteln“ an der Schulternaht entlang liefen. Diese „Boxes“ waren in der Farbe der Waffengattung unterlegt. Orange Wolle für die Dragoner, gelbe für die Kavallerie, Mittelblau für Infanterie, Rot für Artillerie, Smaragdgrün für Mediziner und Dunkelblau für den Stab. Jeder der Schulterstreifen war goldbestickt eingefasst und zeigte die Abzeichen des Ranges. Beim Second-Lieutenant waren die Boxes leer, doch der First-Lieutenant trug vorne und hinten in den Boxes einen schmalen Balken. Beim Hauptmann, dem Captain, war es ein Balkenpaar. Diese Offiziere waren sogenannte Company-Grades, das heißt, Kompanieoffiziere. Jede Kavalleriekompanie hatte drei Lieutenants und einen Captain.
Zwei oder drei Kompanien wurden zu Schwadronen zusammengefasst. Diese „Squadrons“ bezeichnete man bei Fußregimentern als Bataillon. Kompanieoffiziere trugen lange Uniformröcke mit einer einzelnen Knopfleiste, Bataillons- oder Regimentsoffiziere hatten eine doppelte Knopfreihe. Jedem Bataillon oder jeder Schwadron stand ein Major vor, auf dessen Schulterstücken vorne und hinten ein goldenes Eichenblatt prangte. Ein silbernes Eichenblatt kennzeichnete den Oberst-Leutnant, den Lieutenant-Colonel, der stellvertretender Regimentskommandeur war. Geführt wurde das Regiment von Der Oberst, der Colonel trug die silbern gestickten Abzeichen des amerikanischen Adlers auf den Schulterstücken und der grimmige Blick des Adlers musste stets nach vorne, auf den Feind zeigen. Auch die Offiziere trugen die rote Schärpe, allerdings aus feinerem Material.
Der Colonel führte das Regiment. Zumindest ließen die Sergeants ihn in dem Glauben, denn die Feldwebel waren in Wirklichkeit der Leim, der ein Regiment zusammenhielt und formte, wie man Karl rasch begreiflich machte.
Doch zunächst wurde Karl in eine Liste eingetragen, dann kratzte der Soldat mit den Winkeln sich ausgiebig im Nacken. „Nun gut, wollen mal sehen, was wir alles haben.“
Der Tresen vor Karl begann sich rasch zu füllen. Zwei Paar graue Wollstrümpfe, die, wie Karl später ausgiebig feststellen konnte, mörderisch kratzten, zwei Paar weißer Baumwolleinteiler, die vorne geknöpft wurden und am Hintern eine aufknöpfbare Stoffklappe hatten, zwei lange Hosen in der Farbe des sächsischen Blau. Die Hosen wurden stets lang über Schuhen oder Stiefeln getragen und zu diesem Zweck befanden sich unten an jedem Hosenbein Knöpfe, an die zwei breite Wollstege aus dem gleichen Hosenstoff befestigt wurden. Diese Stege wurden vor den Absätzen der Schuhe oder Stiefel unter diesen durchgeführt und verhinderten so, dass die Hosenbeine nach oben rutschen konnten. Die Hose hatte einen Reitbesatz, was bedeutete, dass sie am Gesäß und an den Innenseiten der Beine eine zusätzliche Lage Stoff aufwies. Eine einzige kleine Tasche, hoch oben an der Hüfte, mochte reichen, eine Taschenuhr zu verstecken. Wenn die Uhr klein genug war. Aber Karl hatte ohnehin keine Uhr.
Zu der Hose gab es leinene Hosenträger, die durch Messingschieber längenverstellbar waren. Die Uniformjacke war dunkelblau, nur Hüftlang. Stehkragen und Außennähte waren gelb paspeliert. An den Ärmeln befand sich eine zusätzliche Winkelartige Paspel, deren Spitze zum Oberarm wies.
Der Soldat mit den zwei Winkeln wies sichtlich stolz auf die gelben Paspeln. „Das sind unsere Farben. Gelb für die US-Kavallerie. Nicht orange, wie bei den Dragonern. Das sind ohnehin nur berittene Fusslatscher.“
Karl hatte keine Ahnung, was das heißen sollte, aber er nickte zustimmend und das schien den anderen zu gefallen. Dann kam die weiche Mütze, die an die Feldmützen der preußischen Milizen erinnerte, mit dem breiten gelben unteren Rand und den gekreuzten Säbeln aus Messing.
Doch damit nicht genug. Karls Augen wuchsen in dem Maß, in dem sich auch der Stapel zusehends vergrößerte. Ein langer Mantel in sächsischem Blau mit einem Cape, das bis zu den Hüften reichte, eine graue Wolldecke, ein Schnappsack, Feldflasche, ein weißes Bandelier mit einer großen Messingplakette vorne, das den amerikanischen Adler zeigte und ein weißer Koppelriemen mit einem ovalen Schloss und den eingegossenen Buchstaben U.S. darin. Oben auf den ganzen Haufen legte der Soldat einen Säbel, der Karl gewaltig und äußerst unhandlich vorkam.
„Okay, Private“, sagte der Zweiwinkelsoldat zufrieden. „Gaul und Sattel bekommst du später. Hier ist noch dein Feldbesteck. Ich denke, du wirst gelegentlich essen wollen.“
Prewitt war so freundlich und half ihm, das ganze Zeug zu einem anderen Gebäude zu tragen. Es war ein langgestreckter Bau mit zwei Geschossen. Prewitt legte die Sachen auf der Veranda ab und wies nach oben. „C-Kompanie liegt im Obergeschoss. Lass dich von Sergeant O´Malley einweisen. Der ist dein Zug-Sergeant, okay?“
Prewitt verschwand und Karl musste zweimal gehen, bis er die Sachen im Obergeschoss hatte. Inzwischen wusste er, dass ein Sergeant drei Winkel am Ärmel hatte und so machte er sich auf den Weg, O´Malley aufzutreiben. Nicht nur der Name verriet den Iren. Auch seine fuchsroten Haare und das rollende R mit dem er sprach.
Er zeigte Karl das Bett und die davor stehende Kleiderkiste. Karl stopfte die Sachen in die Kiste, schob den Säbel unter das Bett. Er hatte das Glück, im unteren zu schlafen. Sofern der über ihm liegende kein Bettnässer war, was O´Malley mit einem süffisanten Grinsen angedeutet hatte. Der Raum beherbergte eine komplette Kompanie. Zumindest die Mannschaften davon. Rund 50 Kavalleristen, wobei die Sergeants in separaten Kammern schliefen und die Offiziere eigene Unterkünfte besaßen.
Karl setzte sich auf das Bett, stieß sich den Kopf am oberen Rahmen an, fluchte unterdrückt und blickte die lange Reihe der Doppelbetten entlang. Nun war er also US-Kavallerist. So dachte er zumindest. Eine Reihe von Sergeants und einige Wochen auf dem Exerzierplatz belehrten ihn eines Besseren.
Die Ausbildung zu Fuß erinnerte ihn tatsächlich ein wenig an die Freischarkompagnie von Hauptmann Wenzel. Auch wenn Gottfried Wenzel nie so akribischen Wert darauf gelegt hatte, dass der Öffnungswinkel der aneinander gestellten Füße im „Achtung“ exakte 37 Winkelgrade zu betragen hatte. Karl lernte es. Ebenso wie das Exerzieren zu Fuß und mit dem Säbel. Der Kavalleriesäbel Modell 1840, mit der leicht gekrümmten Klinge, war eine mörderische Waffe. Wenn nicht für den Angegriffenen, so doch auf jeden Fall für jenen, der die schwere Klinge führte. Nicht umsonst nannte man den Säbel spöttisch den alten Handgelenksbrecher. Säbel und Scheide waren aus blankem Stahl, der Fangkorb mit dem Handschutz aus Messing. Am Korb war ein Fangriemen aus weißem Leder mit einer geflochtenen Quaste befestigt. Man legte den Riemen um das Handgelenk, damit der Säbel im Gefecht,