Im Schatten der Hexe. Norman Dark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norman Dark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086669
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Inzwischen waren die Dorfbewohner sogar weniger zurückhaltend gegenüber Janet, und Mitch war es leidlich gelungen, sich mit der neuen Grundschule zu arrangieren. Sogar den einen oder anderen Freund hatte er schon gefunden. Ein wenig beneidete ihn Janet sogar darum. Ihr brachte man allenfalls Mitleid oder peinliche Verlegenheit entgegen. Das galt auch für die Schwiegereltern, bei denen Janet immer das Gefühl hatte, man mache sie insgeheim mitverantwortlich für das Schicksal des Sohnes. Ausgesprochen wurde es nicht. Nein, so weit ging man nicht, aber es stand mitunter wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen.

      Und ihre Freundinnen? Für die galt im Grunde genommen das Gleiche. Abgesehen davon, dass kaum eine so recht mit der Situation umgehen konnte, nahm man den Ortswechsel offensichtlich übel, schon wegen der „unzumutbaren“ Entfernung. Nein, stopp, Leslee war die große Ausnahme, rief sich Janet innerlich zur Ordnung. Ihre älteste und beste Freundin kam so oft sie konnte. Sie konnte zuhören und trösten, aber vor allem herrlich albern sein, sodass Janet umgehend in eine andere Stimmungslage versetzt wurde. Ach ja, es wird Zeit, dass du dich mal wieder sehen lässt, altes Mädchen, dachte sie und nahm einen großen Schluck Wein.

      Am nächsten Morgen brachte Janet Mitch wie jeden Tag in die nahe gelegene Fossoway Primary School. Unterwegs war der Junge etwas aufgeregter als gewöhnlich.

      »Kommt er heute?«, fragte er unvermittelt.

      »Wer?«

      »Ach, Mum, du weißt genau, wen ich meine. Der Mann, der das Gestrüpp wegräumt, damit wir endlich ein Gartenhaus haben.«

      »Versprich dir nicht zu viel davon. Es wird mehr eine Ruine sein als ein komplettes Haus, ohne Dach und ohne Türen und Fenster.«

      »Egal, ich finde es trotzdem gei …super. Wer hat schon eine eigene Ruine auf dem Grundstück?«

      Janet lachte über Mitchs Logik, wollte ihm aber nicht den Spaß verderben. Vor dem Schulgebäude, in das unentwegt schwatzende Kinder liefen, hielt sie kurz an und wartete, bis Mitch sicher durch den Eingang verschwunden war. Sie widerstand der Versuchung, noch schnell in Kinross etwas einzukaufen, weil sie den Gärtner nicht warten lassen wollte.

      Als sie zu Hause ankam, stand der alte Mann tatsächlich schon vor der Tür. Er trug Arbeitskleidung und hatte allerlei landwirtschaftliches Handwerkzeug und auch verschiedene Geräte dabei. »Hello«, sagte er knapp und reichte Janet seine kräftige, verarbeitete Hand. »Fraser, aber Sie können mich Tim nennen. Nein, nicht der aus der Fernsehserie. Aber die werden Sie vielleicht gar nicht mehr kennen. War schon in den Sechzigern.«

      »Doch, doch, ich sehe mir gerne alte Serien an.«

      »Also bei mir kommt der Tim von Timothy. Das stammt von Timotheos. Meine alten Herrschaften hatten nämlich eine Schwäche für das Altgriechische.«

      »Interessant, ich mag ungewöhnliche Namen.«

      »Dann wollen wir mal«, sagte er mit freundlichem Lächeln, das ihm aber sichtlich verging, als er das Objekt sah. »Du lieber Himmel, da hat sich die Natur aber zurückerobert, was ihr einst gehörte. Das Gestrüpp hat ja Dornen so dick wie mein … Daumen.«

      Janet verkniff sich das Grinsen, denn sie hatte genau verstanden, dass er zuerst Schwanz statt Daumen hatte sagen wollen. Aber als Dame musste sie derlei Anspielungen überhören. Ihr gefiel der alte Mann auf Anhieb. Er schien das Herz auf dem rechten Fleck zu haben. »Was glauben Sie, wie lange Sie zu tun haben werden?«

      Mr. Fraser zuckte mit den Schultern. »An einem Tag ist das sicher nicht zu bewältigen. Der Wildwuchs muss schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte andauern.«

      »Mein Mann hätte es bestimmt nicht so weit kommen lassen, aber als ich nach seinem Tod hierher gezogen bin, hatte ich ehrlich gesagt andere Sorgen.« Für einen Moment verfinsterte sich Janets Gesicht.

      »Das tut mir leid, das mit Ihrem Mann. Aber eine so schöne, junge Frau wird bestimmt nicht auf Dauer alleine bleiben.«

      »Sie sind ja ein Charmeur, Mr. Fraser«, antwortete Janet gequält lächelnd, wechselte dann aber schnell das Thema. »Wie alt mögen die unbearbeiteten Natursteine wohl sein?«

      »Steinalt, wenn Sie mich fragen. Wahrscheinlich aus dem 16. oder 17. Jahrhundert. Sind Sie Archäologin, oder wozu der Aufwand?«

      Janet lachte. »Nein, mein Sohn lässt mir keine Ruhe. Er meint, eine Ruine auf dem Grundstück zu haben, sei geil. Verzeihen Sie die Ausdrucksweise.«

      »Kein Problem, ich weiß doch, wie die jungen Leute heute reden. Uns hätte man damals den Mund mit Seife ausgewaschen bei diesen Ausdrücken.«

      »Die Zeiten sind zum Glück vorbei, aber Mitch ist noch ein Kind und noch kein Jugendlicher. Der Verlust des Vaters macht ihm schwer zu schaffen, deshalb lasse ich ihm manchmal etwas durchgehen …« Janet räusperte sich. Es war ihr etwas peinlich, mit einem Fremden so intime Dinge zu erörtern. »Was könnte das gewesen sein? Für ein Gartenhaus oder einen Geräteschuppen dürfte es etwas zu solide gebaut worden sein.«

      Jetzt lachte Tim. »Ja, für einen derartigen Luxus hatte man anno dazumal keinen Sinn. Wahrscheinlich haben hier ganz einfache, arme Leute gewohnt.«

      »Na, ich bin gespannt, was Sie freilegen werden. Nehmen Sie sich nur die Zeit, die dazu nötig ist.«

      »Sie haben sich das auch gut überlegt, ja? Ich meine, manchmal ist es besser, wenn über etwas sprichwörtlich Gras gewachsen ist.«

      »Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen. Tatsache ist, dass so ausgeprägte Dornen eine Verletzungsgefahr für lebhafte Jungen bedeuten, und sehr dekorativ ist das Ganze auch nicht.«

      »Gut, dann mache ich mich jetzt an die Arbeit.«

      Einige Stunden später machte sich Janet fertig, um Mitch von der Schule abzuholen. Vorher sagte sie noch Mr. Fraser Bescheid. »Ich fahre jetzt kurz in die Stadt und habe Ihnen Sandwiches und Tee in der Thermoskanne auf den Tisch vor dem Haus gestellt. Und falls Sie mal müssen … Soll ich den Schlüssel hierlassen?«

      »Nein, das möchte ich nicht. Nicht dass nachher noch etwas fehlt …«

      »Sie sehen nicht so aus, als ob Sie mir das Haus ausräumen, Mr. Fraser.«

      »Danke, aber sagen Sie doch Tim. Nein, dann gehe ich jetzt kurz mal verschwinden und dann wieder, wenn Sie zurückkommen.«

      »Ganz wie Sie wollen, Tim.«

      Janet überbrückte die Zeit, indem sie die Scheiben und Seitenspiegel ihres dunklen Mini One D säuberte, und machte sich dann auf den Weg.

      In Kinross kaufte sie im Sainsburys Supermarkt in der Station Road einige Lebensmittel ein, holte noch etwas Frischfleisch beim Hunters Butchers in der High Street und in derselben Straße Kuchen und Brötchen in der Bayne’s Bakery. Mit einer Tasche voll Brot und Gebäck und einem großen Kuchenpaket musste Janet dann einige Stufen vom Bäcker bis zur Straße bewältigen, hatte aber keine Hand frei, das dünne Eisengeländer zu benutzen. Als sie auch noch umknickte, verlor sie den Halt und fiel buchstäblich einem gut aussehenden Mann mit dunkler Wuschelfrisur und unverschämt frechen Grübchen vor die Füße beziehungsweise an die breite Brust.

      »Da hat es aber jemand eilig«, sagte er breit grinsend. »Nicht dass es mir unangenehm wäre, aber Kuchen ist mir lieber auf dem Teller als auf meinem Pullover.«

      »Sorry, ich habe mir wohl etwas viel zugemutet.«

      »Das kommt vor. Wenn ich helfen soll, den zerdrückten Kuchen zu vertilgen – ich bin dabei.«

      »Danke für das Angebot, aber ich denke, mein Sohn und ich werden das ganz alleine schaffen.«

      »Ich hingegen bezweifle, dass ich allein die Sahneflecke von meinem Pulli beseitigen kann. Da wird wohl eine weibliche Hand vonnöten sein.«

      »Verstehe, dann ziehen Sie den Pullover aus. Sie bekommen ihn dann sauber zurück.«

      »Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Darf ich Ihnen die Sachen zum Auto tragen?«

      Janet warf dem frechen, aber durchaus sympathischen Fremden