„Leute, ist das der Katastrophenalarm?“, wollte jemand wissen.
Claude runzelte die Stirn. Auf Regan hatte es noch nie einen solchen Alarm gegeben. Er entsann sich, dass irgendwo zuhause eine Broschüre des Gouvernements herumlag, in der die Regierung Verhaltenshinweise für Notfälle gab. Eine richtige gedruckte Broschüre, mit selbstleuchtenden Ziffern, so dass man sie sogar bei Stromausfall und Dunkelheit lesen konnte.
Sie zuckten zusammen. Dicht am Fenster war ein Polizeigleiter mit blitzenden roten und blauen Warnlichtern und heulender Sirene vorbei geflogen. So dicht, dass er das Fenster beinahe berührt hätte.
Claude und die anderen drängten an die Glasscheibe. Vielleicht konnte man ja sehen, was da draußen vor sich ging.
„Vielleicht ein Großbrand?“, überlegte ein Gast.
„Keine Ahnung“, kam die Erwiderung. „Aber der alte Desmoines hat irgendwas von fremden Objekten erzählt.“
„Was für fremde Objekte? Verdammt, schalte doch endlich mal jemand das verdammte Holo wieder ein!“
„Wie denn? Wir haben keinen Saft!“
Hinter Claude entstand kurzes Gerangel. Er kümmerte sich nicht darum. Er quetschte sich in eine Lücke und sah hinaus.
Paradise war eine Stadt, die in die Höhe strebte. Es war die einzige Millionenstadt auf Regan III. und ihre Bewohner waren stolz auf die Wohntürme und die durchsichtigen Röhren, die sie in den oberen Ebenen miteinander verbanden. Im Zentrum standen diese Türme sehr dicht, in den Randbezirken überwogen flachere Bauten, zwischen denen sich kleine Parks erstreckten. Seit einigen Jahren nahm der Verkehr zu, denn inzwischen wurden viele Bodenfahrzeuge aus dem solaren System importiert und viele Luft-Jeeps bewegten sich in den verschiedenen Verkehrszonen.
Auf Claude hatte die Hauptstadt mit ihrem Verkehrsgewühl schon immer hektisch und chaotisch gewirkt, doch das war kein Vergleich zu dem, was sich seinen Augen und denen der anderen Betrachter jetzt bot.
Zwei der Wohntürme im Zentrum brannten in voller Ausdehnung, bei einem dritten schlugen hohe Flammen aus den oberen Etagen. Vor Claudes entsetzten Augen zerbrach einer der durchsichtigen Verbindungsgänge, durch den sich Hausbewohner zu retten versuchten. Trümmer und Körper stürzten aus großer Höhe hinab. Rhythmisch blitzende Lichter vor den Gebäuden zeigten an, dass sich dort Rettungs- und Löscheinheiten im Einsatz befanden.
Claude zuckte vom Fenster zurück, als dort erneut ein schwerer Polizeigleiter vorbei raste. Dieser zog eine Schleppe aus Rauch und Feuer hinter sich her. Er sah dem Luftfahrzeug schockiert nach und beobachtete, wie es zur Seite sackte und dann auf den Parkplatz vor dem Einkaufszentrum stürzte, wo seine Explosion weitere Fahrzeuge zerstörte. Claude erkannte jetzt, dass Scharen von Menschen auf den Parkplatz hinaus rannten. In wilder Panik versuchten sie auszuparken. Etliche kollidierten und vergrößerten das Durcheinander.
Dann flog ein fremdartiges Objekt am Fenster vorbei.
Claude Pareille konnte die Größe nicht richtig einschätzen. Es mochte die Abmessungen eines Lastwagens haben, bestand jedoch aus einer großen Kugel, hinter der sich zwei kleinere befanden. Die glatte Hülle des Objekts schimmerte in seidigem Grün.
Noch während der Reganer das ungewöhnliche Luftfahrzeug beobachtete, lösten sich mehrere glühende blaue Sterne aus der vorderen Kugel. Sie waren auf den Parkplatz gerichtet. Wo sie einschlugen schienen die Leiber der Getroffenen oder Objekte kurz aufzuglühen, bevor sie zu einer Aschewolke zerfielen.
Ein zweites Kugelobjekt zog vorbei, dann ein drittes, schließlich eine ganze Gruppe.
„Das… Das ist ein Angriff“, ächzte der Mann neben Claude. „Das ist eine Invasion!“
Ein Kugelschiff begann eines der gegenüberliegenden Häuser zu beschießen. Methodisch zerstörte es die Glasfront, ohne Rücksicht auf das, was sich dahinter befinden mochte. Offensichtlich wurden tragende Elemente getroffen, denn ein Teil des Gebäudes neigte sich und fiel dann in sich zusammen, Inventar und Menschen mit sich reißend.
Erst jetzt begannen die Besucher des Pubs zu realisieren, dass sie sich in Gefahr befanden.
Schreie tönten, Hektik breitete sich aus, als jedermann versuchte die Tür zu erreichen.
Claude war gerade hindurch, als er sengende Hitze im Rücken verspürte. Dann kam ein heftiger Stoß, der ihn mit anderen durch den Gang wirbelte. Sein Rücken brannte, als er wieder auf die Füße kam, doch ihn beherrschte jetzt nur ein Gedanke – Wo war seine Familie? Er musste Claudine und die Kinder finden und dann verschwinden, so schnell es nur ging.
Es gab viele Besucher im Einkaufszentrum, die nun nach ihren Angehörigen suchten. Eine Ordnung existierte nicht. Keiner achtete auf die Lautsprecherdurchsagen oder die Handvoll Angestellter, die verzweifelt versuchten, das Chaos zu regeln. Die meisten der Beschäftigten suchten selbst ihr Heil in der Flucht.
Claude begriff, dass er seine Lieben nicht finden konnte, wenn er selber ziellos umher rannte. Claudine war eine kluge Frau. Sie würde zum Luft-Jeep eilen, denn er war ihr einziges Fluchtmittel.
Die Aufzüge waren hoffnungslos verstopft. Hier drängten sich die Leute ohne Rücksicht aufeinander und es gab Körper, die reglos am Boden lagen und immer wieder von Füßen getreten wurden. Claude benutzte eines der Treppenhäuser, schob sich mit anderen die Stufen hinunter zum Parkdeck, auf dem sein Jeep stand.
Er stieß einen Schrei der Erleichterung aus, als er seine Frau und die Kinder am Jeep stehen sah und eilte hinüber. Es gab keine Zeit für Erklärungen. Wie sollte man auch etwas erklären, was man überhaupt nicht verstand? Sie hoben die weinenden Kinder in die Rücksitze und Claudine stieg ein, während Claude den Ladestecker entfernte. Als er sich auf den Fahrersitz schwingen wollte, ergriff ihn eine Hand grob am Arm.
„Raus da, ich brauche den Jeep!“, herrschte ihn ein stämmiger Mann an.
„Sind Sie irre? Das ist meiner“, ächzte Claude und versuchte den Fremden abzuschütteln.
Der ließ nicht locker. Zwei andere Männer beobachteten dies und kamen heran.
„Helfen Sie mir“, keuchte Claude, denn der Fremde begann nun auf ihn einzuschlagen. Claudine schrie und die Kinder weinten immer noch, während er einerseits versuchte, doch auf den Fahrersitz zu gelangen und andererseits bemüht war, den Angreifer loszuwerden.
Dann langten die beiden Männer zu, rissen den Stämmigen nach hinten und prügelten auf ihn ein.
Claude nahm sich nicht die Zeit ihnen zu danken, ließ sich erleichtert in den Sitz sinken und startete den Motor.
„He, Monsieur, nehmen Sie uns mit, ja?“
Claude starrte die beiden Helfer an und wollte schon den Kopf schütteln, dann bemerkte er, dass es sich um zwei sehr junge Männer handelte, die kaum dem Teenageralter entwachsen waren.
„Nun mach schon“, drängte Claudine. „Wir müssen los.“
Jaques beugte sich im Rücksitz vor. „Du kannst sie nicht hier stehen lassen, Papa. Sie haben dir geholfen.“
„Ja, das haben sie“, stimmte Sylvie prompt zu.
„Monsieur, bitte!“
Claudine starrte mit aufgerissenen Augen durch die Windschutzscheibe. „Nun mach endlich!“
Claude sah dies als Aufforderung und nickte den beiden zu. „Es wird eng. Rückt hinten zusammen“, sagte er den Kindern und gab den Jugendlichen ein Zeichen.
Claude hatte keine Ahnung wer sie waren, aber sie hatten ihm geholfen. Doch Claudine hatte vollkommen recht. Es war höchste Zeit, endlich zu verschwinden. Er trat das Beschleunigerpedal durch und der Luft-Jeep ruckte an.
Auf dem Parkdeck herrschte das gleiche Durcheinander wie auf dem Parkplatz vor dem Zentrum. Fahrzeuge kollidierten,