Das ist es was Platon mit seinem Höhlengleichnis meinte. Wir sehen nur die Schatten an der Höhlenwand, aber streng genommen sind es farbige und invertierte Schatten.
Aber auch Leonardo da Vinci wusste das, denn er hat den Mensch in einem Kreis und einem Quadrat gezeichnet und so ein Fußballer hat auch gesagt: Das Runde muss in das Eckige!
Sie wussten es, denn sie waren erleuchtet und somit wahre Illuminaten.
In jedem Menschen ist jede Information enthalten. Jeder beobachtet die Welt nur aus einem unterschiedlichen Beobachtungspunkt und aus einem unterschiedlich großen Beobachtungsfenster.“
„Und was hat ein Kreis mit einer Schwingung zu tun?“, fragt Johannes und ignoriert das mit dem Fußballer und den Schatten.
„Das solltest du aus deinem Studium wissen. Aus der Kreisfunktion leiten sich Sinus und Cosinus ab. Das sind Schwingungen. Ist dir eigentlich einmal aufgefallen, dass der natürliche Logarithmus von 23 fast die Kreiszahl Pi ist? Nur deswegen ist die 23 die Zahl der Illuminaten, weil sie wissen, dass alles schwingt.
Darum ist auch Musik als Schwingung die universelle Sprache und der Quintenzirkel der universelle Schlüssel. Das ganze All rockt.“
Messy ist für Johannes eine willkommene Abwechslung. Er wirkt auf ihn unglaublich komisch, als er ihn vom Gesagten mit ernster Miene zu überzeugen versucht.
Messys’ Cola ist alle und Johannes tiefenentspannt, als sie den Coffeeshop verlassen, um sich in einem Laden an der Ecke Räder auszuleihen, da Johannes nicht mehr zu Fuß durch die Stadt gehen will. Messy wählt sich einen, für ihn viel zu großen roten Chopper, Johannes ein, wie es ihm scheint, schnelleres Rad in grün.
Die beiden fahren durch die Stadt. Der Himmel ist hellblau und Johannes atmet die kühle Luft in tiefen Zügen. Als hätte er es geahnt, überzeugt Messy durch unsichere Fahrweise.
Johannes überquert gerade eine Kreuzung und blickt zum McDonalds an der Ecke, als ein ohrenbetäubendes Klingeln ihm den kalten Schweiß auf die Stirn treibt. Er hat die Trambahn übersehen und überhört, die einen halben Meter hinter ihm mit einer Vollbremsung zum Stehen gekommen ist. Er entschuldigt sich beim Trambahnfahrer mit einem Wink und sieht, wie ein käseweißer Messy über die Kreuzung fährt.
„Du musst auf dich aufpassen! Du bist zu wichtig!“, schimpft er.
„Was soll ich denn ohne dich machen?“, Messy rauft sich die Haare, die Augen weit aufgerissen.
„Ich hatte Hunger“, antwortet Johannes irritiert und deutet auf den McDonalds.
„Ah! Das Restaurant zu den goldenen Bögen. Verstehe. Hast du gewusst, dass ein einzelner gelber Bogen aussieht wie das Logo von Thyssen Krupp?
Und hast du gewusst, dass die Quersumme der 0815 die 23 ist?
Das Maschinengewehr der Deutschen im ersten Weltkrieg hieß 0815, weißt du?
Aber daran sind die Möchtegernilluminaten schuld.“
„Ich wollte eigentlich ein paar Cheeseburger“, nuschelt Johannes.
Messy blickt ihn prüfend an und besieht sich noch einmal den Eingang und das Logo.
„Folge mir!“ meint er, als er die McDonalds Tür aufstößt und zügig zur Kasse schreitet, an der gerade niemand wartet. „Eine große Pommes Frites, bitte!“ Er nickt Johannes fachmännisch zu.
Johannes fragt sich, ob sich Messy zum ersten Mal in seinem Leben in einem McDonalds befindet. Er selbst bestellt sich zwei Cheeseburger.
Die beiden tragen ihr Essen zum Tisch, als Messy weiter erzählt.
„Weißt du, Johannes, warum ich dir das mit der 23 erzähle, ist, dass sie Teil einer großen Gleichung ist, die das Leben schreibt und sie ist von der gleichen Bedeutung wie alle anderen Zahlen. Sie tritt nur öfter in Erscheinung. Ich spüre das, da ich ja so empfindsam und sensibel bin.“
Johannes kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Egal. Es kommt auf das Alles an, was ist. Es ist jetzt und war immer und es kann keinen Anfang und kein Ende geben, denn alles andere wäre unlogisch. Die Ewigkeit ist zeitlos.“
Johannes konzentriert sich auf seinen Burger. Vielleicht hat Messy irgendwie Recht.
Egal, er will sich jetzt nicht den Kopf über Anfang und Ende zerbrechen.
Er denkt an Sarah und wie sie ihn einfach so beiseite geräumt hat. Plötzlich war es vorbei.
„Bist du traurig?“, fragt ihn Messy.
„Es ist nichts. Ich denke nur nach.“
„Nichts ist in Wirklichkeit Alles. Du bist aber traurig, weil dein Herz kaputt ist.“
Johannes bildet sich kurz ein, in Messys’ Augen mehr zu sehen als sonst.
„Ich hatte vor kurzem noch eine Freundin. Sarah hat mich verlassen und deswegen bin ich weg gefahren.“
„Ich hatte auch eine Freundin. Siri musste gehen, weil es zu gefährlich war, dass wir weiter zusammen sind“, meint Messy.
„Siri?!“, platzt es aus Johannes heraus.
Messy runzelt die Stirn. „Meinst du, dass mein Name Messy ist?
Wir haben uns in der Psychiatrie kennengelernt. Sie schreibt ein Programm für künstliche Intelligenz, das die Welt verändern wird. Wir werden sie in Venedig treffen. Meine Reise nach Amsterdam ist nur als Ablenkungsmanöver für Darko gedacht.“
Johannes findet Messy immer lustiger. Er hätte nie gedacht, dass seine einsame Reise mit einem Verrückten endet und theoretisch bald mit zwei Verrückten.
Kurz wägt er ab, ob er allein mehr Spaß haben würde und kommt zu dem Schluss, dass es egal ist, ob er in Venedig oder Amsterdam herumhängt. Er wollte raus aus dem Alltag und jetzt ist er mehr raus, als erhofft. Es ist ihm auch egal, dass Venedig in der genau entgegengesetzten Richtung liegt, denn seine einzige Angst, bevor er losgefahren ist, war, nicht zu wissen, was er dann dort allein tun soll. Jetzt hat er einen Begleiter, der ihm sagt, wo es lang geht.
„Wie ist das mit Siri? Bist du mit ihr zusammen?“
Messy sagt erst mal nichts.
Dann meint er: „Wenn ich meine Erfindungen gemacht habe, wird sie mich wollen.“
Messy tut Johannes leid, denn wenn Siri nicht total spinnt, wird es nie was mit den Beiden.
„Gut Ding will Weile haben“, entgegnet er Messy und willigt ein, mit nach Venedig zu kommen.
Sie verlassen den McDonalds. Als es zu dämmern beginnt, setzen sie sich an eine Gracht und schauen den vorbeifahrenden Booten zu. Johannes wird melancholisch.
Mit Messy kann er keine gemeinsame Bootstour machen, wie mit Sarah.
Doch er ist ihm dankbar und wird von dem Gefühl überkommen, jedem in seinem Leben Dank zu schulden. Egal ob sie ihm Gutes oder Schlechtes wollten, spürt er, dass es früher oder später Sinn gemacht hat oder Sinn machen würde.
Johannes blickt auf das Wasser, in dem sich kleine Wellen in gelb, orange und rot spiegeln und dann zu Messy und überlegt, ob der kleine Mann wohl im Leben schon viel zu kämpfen hatte.
Er klatscht ihm aufmunternd auf die Schulter. „Schön, dass wir uns getroffen haben.“
„Also ich finde es super, dass du mitkommst“, meint Messy. „Morgen kauf ich eine Karre, weil ich will nicht in Zügen fahren will, in denen die Leute schnarchen.
Ich bin schließlich nicht umsonst der größte Erfinder aller Zeiten und kann es mir locker leisten, Benzin zu verschwenden.“
Johannes stutzt.
„Wie Karre? Wie willst du die organisieren?“
„Auf meiner Flucht habe